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Jllustrirter Volks-Novellist.
IV. Band. 4. Heft.
Schulter des Mädchens lehnend; „was hättest du dann gethan, Haneli?" —
Obwohl die Versuchung in einer so verfänglichen Frage an das Mädchen herantrat, lag doch in diesem Augenblicke über seinem Antlitz ein so milder frommer Abglanz, daß es jedem Maler gewiß als ein erwünschtes Vorbild zu einer Kirchenheiligen hätte dienen können. „Du Böser," lächelte es, ich hätte, denk wohl, eine Sünde begangen und die Strafe davon erwarten müssen. Und doch bin ich froh, fügte es nach einer kleinen Weile hinzu, daß der geistliche Herr, der dort sitzt, jetzt meine Herzensgedanken nicht kennt; dem einmal möcht' rch sie im Beichtstuhl nicht anvertrauen!" — „Ja," sagte Christi nun auch seinerseits ernster werdend, „der Mann sieht wirklich wie ein harter Eiferer aus. Gottlob, daß es bei uns in der Beziehung besser geworden ist, als es auch schon war." —
Mit diesen Bemerkungen war unter den zwei Liebenden die sich als gute Menschen kannten, eine Streitfrage erledigt, der schon ungezählte Tausende von Menschenleben auf Scheiterhaufen, in Kerkern und auf Schlachtfeldern zum Opfer gefallen sind. Freilich mußten 'die einfachen Gemüther bald erfahren, daß das Blut dieser Opfer immer noch raucht.
Für jetzt jedoch hatte Haneli nur noch ein Bedenken auf dem Herzen, das es in jungfräulicher Schamhaftigkeit sich aber auSzusprechen scheute. Es senkte den Blick auf die im Schooße gefalteten Hände und lehnte nun seinerseits die Wange auf Christis Schulter an. „Ich kann mir denken," sagte dieser, „was dir noch im Sinne liegt; du möchtest wohl wissen, wie es einst mit unsern Kindern gehalten sein solle."
Haneli nickte schweigend und erröthend ja; doch fügte es leise hinzu: „Aber das überlaß ich dir, Christi; werden die Kinder, wenn wir solche bekommen sollten, nur so brav und gut wie du es bist, so werden sie wohl von Gottes Hand behütet sein, in diesem und jenem Leben, ob sie meines oder deines Bekenntnisses seien."
„Nein," erwiederte Christi ernst, „darüber soll immer dein Wille entscheiden. Du wärest immer die Mutter, und wir können täglich sehen, wie viel enger und tiefer Mutter und Kind verbunden sind als Kind und Vater, wie lieb sich diese zwei auch haben mögen."
Der Zug rollte aus dem leichten Nebel, der das Rheinthal überzog in die höhere Landschaft hinauf, und die Sonne brach mit ihrem allesbelebenden Lichte über die Waldberge herein. Das gleichförmige Gemurmel der „Ave Maria's" verstummte in dem Wagen, um einer natürlichen Neugierde und Bewunderung über die großartiger sich gestaltende Gegend Platz zu machen. Ueber die bewaldeten Vorberge ragten schon einzelne Parthien der Haupthöhen des Juras auf, und auch Haneli mußte seine Blicke nach diesen im Morgengolde glänzenden Höhen schweifen lassen. Erst vorgestern war es von dort herabgestiegen, und wie viel Schmerzliches, wie viel ungeahnt Beglückendes hatte es in dieser kurzen Zeit erleben müssen!
Bei diesem Ueberdenken wollte es von einem bedrückenden Gefühle befangen werden, gegen das es mit aller Macht an- zukämpfen hatte, wenn es sich nicht einer die ganze Tagesfreude gefährdenden trübseligen Stimmung preisgeben sollte. Was werden die Leute sagen, wenn es heute schon als Braut zurück- kehrte, während es erst vor zwei Tagen als eine Dienstsuchende, die sich und die Mutter von ihrer Arbeit ernähren wollte, fortgegangen war! Der Neid der Aermeren und an dienstbare Verhältnisse Gewohnten mochte sagen, da sehe man wieder einmal, wie weit es her sei mit der Arbeitslust und der Ge- schicklichkeit einer Bauerntochter, die sich einmal ihr Brod selbst
verdienen sollte; die ehemaligen Standesgenossen flüsterten dagegen gewiß mit vornehmem Achselzucken ihre Bemerkungen über die Heirath der Tochter vom Neuhofe mit dem einstigen Hüterbuben, während Arm und Reich sich gemeinsam die Frage stellen mußte, wie das so plötzlich habe kommen können, und ob nicht irgend ein verborgener Hacken dahinterstecke. Wenn aber die Klatschsucht einmal eine solche Frage stellen kann, dann ist die böswillige Erfindung ja nie um hundertfache Antwort verlegen; das wußte Haneli nur zu gut. Freilich konnte es sich darauf vertrösten, daß es stets nicht nur gegen , alle Menschen gleich freundlich gewesen, sondern auch Hunderten jede Wohlthat erwiesen hatte, die in seinen Kräften gestanden. Drum mochte es ihm auch nicht an Vertheidigern seines guten Namens und seiner Ehre fehlen. Wohl dem, der sich in zweifelhafter Lage einer solchen Zuversicht getrösten kann, obschon Keiner sich auf die dankbare Erinnerung der Menschen zu stark verlassen darf
Mit dumpfem Rollen fuhr der Zug in die unterirdische Nacht des Hauensteines hinein. Haneli hatte sich eines Schauers nicht erwehren können auf diesem unheimlichen Wege, und auch jetzt mußte es sich in unwillkürlicher Aengstlichkeit näher an seinen Begleiter schmiegen. Es athmete erleichtert auf, als die Dämmerung von weitem wieder in den tiefen Felsengang her- einbrach, und auch es mußte in den allgemeinen Ruf freudiger Bewunderung der fremden Reisenden einstimmen, als ver Zug in das sonnenschimmernde Tageslicht hinausbrauste. Dort erhoben sich aus einem Walde grüner Fruchtbaume die Thürme I von Olten, an welchem sich das Silberband der Aare herab- schlang; drüben ragte auf bewaldeter Bergkuppe das alte Ge- j mäuer der Wartburg empor, und am Waldrande des abfallen- i den Berghanges hob sich aus dem Schattengrün ein rother Hausgiebel ab. „Deine Heimath, Haneli!" sagte Christi leise mit dem Finger hinüberdeutend.
„Meine arme Mutter!" flüsterte das Mädchen bewegt, während ein feuchter Schimmer in seine Augen trat. —
Das waren die einzigen Worte, welche bis zum Bahnhöfe nach Olten hineingesprochen wurden. Dort schwirrte wieder ein buntes Gedränge durcheinander und Haneli traf da auch auf viele Bekannte, namentlich unter den Bahnangestellten. , Es wurde mit manchem freundlichen Zunicken begrüßt; aber noch mehr verwunderte Blicke folgten ihm, als es an dem Arme des stattlichen jungen Mannes durch die Menge dahin- schritt, und sogleich begannen nun unter den Bekannten auch die Fragen über wer und was, wie das eben gebräuchlich ist. Einige jüngere Bahnangestellte, die dieses Thema eifrig behandelten, während sie dem sich entfernenden Paare nachschau- ten, sollten von einem Fremden, der neben ibnen stehend, ebenfalls mit dem Basler Zuge angekommen war, etwelche Auskunft erhalten. Unaufgefordert sagte der Reisende, indem er sich höflich an die plaudernde Gruppe wendete: Wenn sich die Herren so stark interessiren um das Pärchen dort, so kann ich Ihnen wenigstens soviel sagen, daß es seine Bekanntschaft in Basel in einem Hause gemacht hat, das man nicht gerne bei seinem richtigen Namen nennt. Die Polizei freilich weiß sich auch ohne Namen zu helfen, und so haben denn die Liebesleute eine Art von Brautnacht auf dem Lohnhofe gefeiert. Haha — wahrhaftig, man sollte es kaum glauben, wenn man sie so vornehm dahinstolzieren sieht."
Die neugierigen Bahnhofangestellten, denen die Vorgänge auf dem Neuhofe wohl bekannt waren, machten große Augen bei dieser Mittheilung; doch war es offenbar, daß sie nicht geneigt waren, dem Gehörten sofort Glauben zu schenken. Der Fremde sagte deßhalb rasch: „Uebrigens — um Verzeihung,
