182 Jllustrirler Volks-Novellist. IV. Band. 6. Heft.

war folgender: Der Kirchbauer hatte sich, sobald der Trümmer­schutt von der Brandstätte weggeräumt war, daran gemacht, den Keller seines ehemaligen Hauses tiefer zu graben, da er den Neubau auf der nemlichen Stelle aufführen wollte und Hiebei wurde nun in einer Tiefe von mehrern Fuß unter dem alten Kellerboden ein unerwarteter Fund gemacht. Es war ein altes Gewehr von gewöhnlichem Aussehen, nur daß es, abgesehen von dem Steinschlosse, schwerer und in seinen For­men plumper war, als die heutzutage gebräuchlichen Ordonnanz­gewehre. Uebrigens waren Lauf und Schloß von starkem Roste angefressen, während der Kolben, vielleicht weil er auf eine trockene Steinplatte zu liegen gekommen war, der modern­den Fäulniß, welche sich am Schafte bemerklich machte, wacker widerstanden hatte. Daher waren auch einige auf demselben eingegrabene Worte noch ganz deutlich erkennbar, die aber von den Auffindern des Gewehres keiner zu entziffern vermochte. Sie riefen daher den jungen Arzt eines Nachbardorfes, der eben des Weges kam, herbei und dieser sagte, nachdem er den Fund aufmerksam betrachtet:Die Worte heißen Inberte, ega- lite, tratorvitä, vive in röpudligue t'ranhuiso, oder zu deutsch: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit es lebe die französische Republik! Offenbar ist das 'alte Ding ein Franzosengewehr, das wohl schon die sechszig ^ahre unter dem Boden gelegen haben wird "

Die Nachricht von diesem Funde löste die Zungen der alten Leute, die bisher nur in räthselhaften Sprüchen sich über den Brand geäußert, um so mehr, als die Jüngern mit neugierigen Fragen drängten. Es kam dabei manches ganz oder halb Vergessene wieder zur Sprache, viel Ungeheuerliches und Fabelhaftes, das in irgend einem Gedächtnißwinkel der alten Dörfler stecken geblieben war; aber aus dem Unwesent­lichen oder nicht zur Sache Gehörigem schälte sich für den Unbefangenen doch allmählig ein Kern heraus, den wir hier in seinen Hauptzügen wiedergeben wollen.

Es war an einem stürmischen Februartag des Jahres 1798, als ein Trommler von zwei Pfeifern begleitet das Dorf durchzog. Alle drei trugen militärische Kleidung, die Pfeifer mächtige Federbüsche auf den breiträndigen Dreiröhrenhüten. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, trommelten und bliesen einige Tacte des alten Bernermarsches und dann verlas der Tambour ein kleines Schreiben, vor dem er jedesmal, wenn er es unter dem breiten Bandelier Hervorzog militärisch salu- tirte, als ob er vor einem hohen Offizier stände. Zwar wur­den ihm die Worte, trotz aller Anstrengung seiner Stimme, durch den scharfen Wind sozusagen von den Lippen weggebla- sen, so daß sie kaum in nächster Nähe deutlich zu verstehen waren; aber dennoch war der Inhalt derselben schon in den entlegensten Häusern bekannt, als der Ausrufer noch keinen Drittheil seines Weges zurückgelegt hatte und überall gingen im Begleite der Kunde bange Besorgniß und Schrecken mrt. Da und dort freilich ließ sie auf den Gesichtern der Männer einen kecken stolzen Ausdruck aufleuchten und manche arbeits- rauhe Hand ballte sich zur Faust zusammen, die mit einem herausfordernden Zornworte auf den Tisch oder die nächste Wand niederfuhr.Sie sollen nur kommen, die Donners­schießen, hieß es da, denen wollen wir sagen, was sie noch nicht wissen."

Von solch männlichen Trotzworten wurde jedoch im Hause des Kirchbauers oder vielmehr der Kirchbäuerin nichts ver­nommen. Der Kirchbauer war nemlich schon vor vielen Jah- ! ren gestorben und obwohl es der vermöglichen und damals ! noch jungen Wittwe keineswegs an Freiern gefehlt hatte, so

war sie doch keinen Augenblick in ihrem Entschlüsse, bei ihren zwei kleinen Kindern zu bleiben, wankend geworden. Jetzt freilich war das längst vorüber; die treue Mutter war nun­mehr eine alte Frau, und die Kinder, ein Sohn und eine Tochter herangewachsen. Wären sie es nicht gewesen, wenig­stens der Sohn nicht, dann hätte er am folgenden Morgen auch nicht gegen die Franzosen ins Feld ziehen müssen! Denn das war es, was der Trommler das Dorf hinauf ausrief, ein Aufgebot all« militärpflichtigen Mannschaft gegen die Franzosen.

Der Sohn der Kirchbäuerin war nicht von dem Holze, aus welchem die ächten Soldaten geschnitzt werden. Zwar war er großgewachsen, wie nicht Viele seiner Altersgenossen im Dorfe; aber sei es nun, daß er gerade von einem allzu- raschen Wachsthume Schaden genommen, oder hatte er ein Erbtheil von dem ebenfalls früh kränklichen Vater davonge- tragen die Wahrnehmung, daß der einzige Sohn zu keiner rechten, frischen Jugendkraft erstarken konnte, hatte der Mutter schon manche schlaflose Nacht gebracht. Da war es freilich besser bestellt um die einige Jahre jüngere Schwester, um des Kirchbauers Vreneli, das emporblühte wie eine Rose im Maienthau.

Aber jetzt, nach dem Kriegsaufgebot sah auch diese sonst so frische Rose bleich und geknickt aus, als ob ein giftiger Frost sie durchzittert hätte. Sie hing an dem immer stillen und hingebenden Bruder nur um so inniger, weil sich mit der natürlichen Schwesterliebe ein verborgenes Mitleio paarte, weil ihre Seele von einer Ahnung angeweht war, daß sie ihn bald verlieren werde; aber da die Verwirklichung dieser Ahnung nun plötzlich dadurch nahe gerückt wurde, daß das sorgsam behütete Leben weitweg vom Vaterhause, im wilden Streit- und Kampfgewühl gewaltsam ausgelöscht werden sollte dieser Gedanke erfüllte das Schwesterherz selbst mit bangen Todes- fchauern. Zwar suchte der Bruder zu trösten, so gut es gehen mochte; aber Schwester und Mutter fühlten nur zu wohl, daß , er selbst des Trostes bedürftig wäre und so stiegen Kummer und Klage im Haufe der Kirchbäuerin höher und höher, je tiefer der trübe Winterabend sank.

Bei dem erhobenen Allarme hatten sich Knechte und Mägde in die Nachbarhäuser zerstreut und so- saßen die drei bekümmerten Menschen noch immer auf der nemlichen Stelle um den runden Familientisch, wie sie sich bei der schlimmen Botschaft fast vor Schrecken gelähmt hingesetzt hatten, als die Stube schon von dunkler Nacht erfüllt wurde. Keines dachte weder an die Besorgung des Viehes noch an die Zubereitung des Nachtessens, bis endlich der junge Kirchbauer sagte:Ich muß doch auch meine Militärsachen vom Gaden herabholen und zurüsten. Zünd mir ein Licht an, Vreneli."

Kaum war er zur Thüre hinaus, als die beiden Frauens­leute in ein bisher nur mühsam verhaltenes lautes Weinen ausbrachen. Darüber beachteten oder hörten sie nicht, daß Jemand in die nachtdunkle Stube tretend, still neben der Thüre stehen blieb und erst als der junge Soldat mit dem Licht in der Hand und die Montirungsstücke am Arme zurück- kehrte,- sahen sie, daß sie einen Zeugen ihrer Klagen gehabt hatten. Es war jedoch nur einer der Knechte, der schwarze Jörg, wie er im Hause gewöhnlich genannt wurde.

Jörg, der seinen Beinamen von den großen schwarzglän­zenden Augen, den starken schwarzen Brauen und Haaren und der etwas dunkeln Gesichtsfarbe erhalten hatte, war erst seit etwa einem halben Jahre im Dienste der Kirchbäuerin. Er habe auch noch nie als Knecht gedient, hatte er gesagt; wurde aber gleichwohl von der Kirchbäuerin, der sein augenscheinlich