Preis per Jahrgang (Band) Fr. 7. 20 Cts.; das Heft 60 Cts. (Es kann nur auf den ganzen Jahrgang abonnirt werden.)
Vierter MmI.
7. M.
Das vergraben^ Gewekr.
Von Jakob Frey.
Schluß.)
ie Vorgänge, welche der junge Kirchbauer den Seinigen schlicht und wahrheitsgetreu erzählte, gingen zur nemlichen Zeit schon mit den seltsamsten Uebertreibungen und Auslegungen durch das Dorf. Im Munde der Leute wurde das Austallende zum Ungeheuerlichen, und gerade das Unglaublichste fand, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, den
meisten Glauben. Die von der Kirchbäuerin ausgesprochene Vermuthung, der Jörg möchte ein vornehmer Herr sein, der aus irgend einem Grunde in dem abgelegenen Dorfe und in der wenig beachteten Stellung eikes Bauernknechtes ein Versteck gesucht, wurde als eine selbstverständliche und ausgemachte Sache angenommen; aber warum hatte er das gethan und warum konnte er jetzt wieder aus seiner Verborgenheit hervortreten? In der Beantwortung dieser zwei Fragen hatte die Phantasie der Dörfler einen weiten Spielraum und sie benützt denselben auch nach besten Kräften. Allmählig jedoch machten sich zwei Hauptansichten geltend, die sich so ziemlich nach dem Wenigen, was von politischer Partheischeidung jener Tage in das einsame Dörfchen gedrungen war, einander gegenüberstell- ten. Die Einen sagten: Der Jörg ist ein junger regiments- fähiger Herr von Bern, der auskundschaften wollte, wie die Dorfbewohner ihre Treue und Anhänglichkeit gegen die gnädigen Herren und Obern bewähren würden; diejenigen, welche sich etwa ein unehrbietiges Wort hätten zu Schulden kommen lasten, werde er sich schon gemerkt haben, um nach dem Kriege mit ihnen Abrechnung zu halten. Dieser Ansicht schloß sich selbst der Untervogt an, der mit geheimnißvollen Andeutungen zugleich merken ließ, er habe wohl gewußt, warum er dem Jörg die Erlaubniß als Ersatzmann für den Kirchbauern ein- zutreten, so ohne alle Widerrede ertheilt habe. Andere dagegen schüttelten den Kopf zu dieser Ansicht und meinten, der Hacken von der ganzen Geschichte werde gerade am entgegengesetzten Ende zu suchen sein. Ah ba, sagten sie, warum sollte sich denn ein Regimentsherr bei uns verstecken müssen um zu erfahren was vorgeht, macht doch der Untervogt selbst schon einen Bericht an den Landvogt, wenn nur irgendwo eine Frau die Milch übersieden läßt — gar nicht zu reden vom Dorf- hatschier; aber die Franzosen und Patrioten, ja die verstehen
sich auf die Sache. Der Jörg ist ein heimlicher Kundschafter der Franzosen, der sich vorher schon bei dem Obersten May und andern Herrn einzuschmeicheln wußte; oder der Teufel weiß, ob die mit ihm nicht gar unter Einer Decke stecken! Hört man doch täglich, daß selbst unter den gnädigen Herren keiner mehr weiß, wb er dem andern über Barteslänge hinaus trauen dürfe. Ja, ja, laßt den Krieg nur zu Ende gehen und dann wollen wir sehen, wer Recht behält; aber Gott erbarm sich unserer Leute, die verkauft und verrathen sind, bevor sie nur einen Franzosen sehen werden. —
Von diesem Meinungsstreite schien unter allen Dorfbewohnern diejenige Person am wenigsten berührt zu werden, die das meiste Interesse daran hätte haben sollen. Des Kirchbauern Vreneli äußerte nie ooer nur höchst selten ein Wort darüber, selbst wenn Mutter und Bruder eifrig über das Für und Wider hin- und Herrederen. Kam aber das Mädchen Abends in sein Kämmerlein, so zog es das blitzende Kreuzlein aus dem wohlverwahrten Kästlein hervor, drückte es an das Herz und die Lippen und betete dann inbrünstig zum Herrn aller Heecschaaren, daß er den lieben braven Jörg in seine schützende Obhut nehmen wolle. —
Indessen gewannen diejenigen, welche Jörg für einen Kundschafter der Franzosen oder wenigstens der franzosenfreund- lichen „Patrioten" erklärten, mehr und mehr die Oberhand. Und in der That gaben die dürftigen Berichte, welche von den im Felde liegenden Dörflern nach Hause gelangten manchen bedenklichen Grund zur Befestigung dieser Ansicht. Ueber- einstimmend war die Klage, daß im Heere der Vaterlandsvertheidiger weder Zutrauen noch Ordnung anzutreffen sei, so daß man kaum wisse, wo die schlimmern Feinde zu suchen seien, im eigenen Lager oder in demjenigen der Franzosen, die wenigstens noch jenseits der blauen Juraberge stehen. „Als gestern, so berichtete einer der Soldaten seinen Angehörigen, unserer Compagnie zum ersten Male scharfe Patronen ausgetheilt wurden, zeigte es sich, daß die eine Hälfte derselben mit grobem Sand gefüllt waren, die andern aber welche wirklich Pulver enthielten, keine Kugeln Huten, oder nur solche, die für unsere Gewehrläufe viel zu groß waren."
Nicht minder bedenklich waren die Nachrichten, welche Jörg speziell betrafen. Da wisse man gar nicht mehr, was man denken solle, hieß es. Während der ganzen Zeit seit dem Ausmarsche sei er, alles zusammengerechnet, kaum einen ganzen Tag bei der Compagnie gewesen und da habe man eigentlich erst nicht gewußt, ob er oder der Hauptmann zu comman- diren hätten; wenigstens habe sich der Letztere über Alles und Jedes berathen mit Jörg. Wo dieser aber die übrige Zeit zubringe und was er treibe, das wisse vielleicht nicht einmal
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