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allen Göttinnen der Huld und Grazie abgelauscht sein. Hinter ihr ritten noch mehrere junge Damen, die jede für sich an andern: Orte als ein Stern der Schönheit erschienen wäre; so aber mußte ihr Glanz erbleichen unter den blendenden Strahlen der siegreichen Sonne. Wer jedoch geglaubt hatte, diese Schönheitssonne sei die rechtmäßige Gemahlin des vom Glücke gehätschelten Bürgermeisters, wäre in großem Irrthum gewesen. Sie war vielmehr die Tochter eines stolzen italienischen Edel- Hauses, die Waldmann als eidgenössischer Botschafter am mai- ländischen Hofe kennen gelernt hatte und von der unwiderstehlichen Macht seines Wesens bezwungen, ihm über die Alpen nachgefolgt war; aber obwohl sie ihm Elternliebe, Heimathund Ehre geopfert, mußte sie es sich doch gefallen lassen, daß der unbeständige Mann seine Gunst auch noch andern Frauen zu- wendete. Fast alle, die jetzt hinter ihr drein ritten, waren Mitbewerberinnen um den Besitz seines wetterwendischen Herzens; aber Bianca wußte doch, daß sie keine derselben auf die Dauer aus dem Besitze dieses Herzens zu verdrängen ! vermochte, wenn sie auch vorübergehend die Qualen der wil
desten Eifersucht zu erdulden hatte.
Und auch jetzt auf dem Wege zur Stadt schenkte Waldmann seiner schönen Begleiterin nicht die Aufmerksamkeit, welche ihre reizende Liebenswürdigkeit verdient hätte. Sein scharfes Auge schwebte unabläßig über die Menge weg, die sich dem Zuge Zu beiden Seiten nachdrängte und auf seine Stirne lagerte sich allmählig ein Schatten, als ob eine ungeduldige Erwartung in ihm getäuscht werde. „Warum blickst du so finster, was fehlt dir mein Waldmann?" flüsterte Bianca den schlanken Leib von ihrem Sattel fast bis an sein Ohr hinüberneigend; ich sehe dir's an, daß du unzufrieden bist." Aber statt einer Antwort zog Waldmann plötzlich den Zügel seines Pferdes an, haschte mit seiner Rechten eine Rose, welche seine Begleiterin am Busen trug und warf dieselbe unter die Menge hinaus. Unter den Tausenden hatte es vielleicht kaum ein Auge gegeben, welches diese Blitzschnelle bemerkt haben würde; aber Bianca hielt mit einem heftigen Rucke ihren Zelter an, während ihr aufflammendes Auge dem Fluge der geraubten Rose folgte. Diese fiel in wohlgezieltem Wurfe auf das Haupt eines jungen Mädchens nieder, das neben einer schwarzgekleideten und tief verschleierten Frauengestalt stand.
Biancas feine Lippen zuckten krampfhaft zusammen, während ihr dunkles Auge sich mit einem unheimlich auflodernden Feuer in den Anblick des Mädchms einbohren zu wollen schien. Freilich war es aber auch ein Anblick, der zwar jedes unbefangene Auge hätte erquicken müssen, aber ein von Eifersucht geleitetes Frauenauge eben so sehr von Furcht als Neid erfüllen konnte. Gesicht und Gestalt, die rn ein helles, weitfaltiges Seidenkleid gehüllt war, schienen gleichsam nur ein körpergewordener Blüthenhauch, der Duft einer Blume zu sein, welcher Menschengestalt angenommen hatte.
Bianca war eine Meisterin in der Beherrschung ihrer Gemüthsbewegungen und doch klang ein Ton verhaltenen zornigen Schmerzes in ihren Worten nach, als sie lächelnd sagte: „Dein Auge hat dich noch nie getäuscht, mein edler Ritter, die Rose blüht am schönsten neben der Lilie."
„Nein," erwiederte Waldmann in Gedanken verloren laut, als er sah, wie das Mädchen die zugeworfene Blume verwirrt in der Hand hielt, die weiße Rose schmückt sich am besten mit der rothen."
Bianca preßte die Lippen zusammen und ihre Lider senkten sich über die großen Augen herab, als ob sie diesen Spiegel ihrer Seele verhüllen wolle, während ihr Zelter durch den Thorbogen in die Straßen der Stadt einlenkte.
Volks-Novellist. IV. Band. 10. Heft.
Der Zug, der außer den Damen noch aus einem stattlichen Männergefolge bestand, zog nach dem Rathhause, wo seiner auf Kosten der guten Stadt Baden ein reichlicher Bewillkom- mungs-Jmbiß wartete. —
Was heut zu Tage alle Gemüther verletzen und den beliebtesten Magistraten der Eidgenossenschaft einem unvermeidlichen Sturze entgegenführen müßte, war in jener Zeit bereits zu einer Gewohnheitssacke geworden. Der wachsende Wohlstand, der sich einer großen Körperkraft zugesellte, hatte schon seit längeren Jahren, aber besonders in Folge der Burgunder- kriege, die alte Sitteneinfachheit verdrängt und dieselbe in eine ungebändigte Genußsucht umgewandelt. Und namentlich galt Baden für den Tummelplatz des ausschreitendsten Uebermuthes; wandelten doch selbst Nonnen und Aebtissinnen am Arme hoher geistlicher Würdeträger durch seine Straßen, das Haupt mit Blumen bekränzt und das ernste Ordensgewand gegen ein üppiges weltliches Kleid umgetauscht.
So vergeudete der im Jahr 1492 zum Abte in Cappel gewählte Ulrich Trinkler einen guten Theil des Klostervermögens bloß in Badefahrten. Er hielt in den Bädern mehrere Wochen lang für allerlei lustiges Volk offene Tafel und offenkundig wurde gesagt, daß er mit beinahe allen Nonnen des Frauenklosters in Baden in vertrautem Umgänge stehe. — Die Klosterfrauen zu Töß erkauften sich für schweres Geld päpstliche Bullen und Jndulgenzeu, um nach Baden fahren und daselbst unter dem Scapulier weltliche Kleider tragen zu dürfen, falls sie, wie sich die päpstliche Erlaubniß in verständlicher Verblümtheit ausdrückte, im Kloster nicht' alle nöthigen Hülfsmittel finden könnten, ihre Gesundheit wieder herzustellen. Zu solch' ausschweifendem Treiben wurden beinahe alle Volksstände auch noch durch das Geld gereizt, welches fremde Fürsten mit vollen Händen ausstreuen ließen, um die kriegserfahrenen Schweizer für ihren Dienst zu gewinnen. So trieb um jene Zeit namentlich der französische Botschafter Roggomartin sein Spiel in allen größern Schweizerstädten und besonders in Baden. Hier hielt er, wie der Chronist P. Anselm erzählt, fürstliche Gastereien, bezahlte die Badenfahrten vieler Weiber, öfters die Zehrung aller Gäste in sämmtlichen Wirthshäusern, hatte beständigen Zulauf von feilen Dirnen und übte großen Muthwilleu; aber nicht nur dieß; es geschah, daß die Töchter der angesehensten Familien des Landes diesen fremden Gunst- und Geldspenden: öffentlich nachzogen! —
Wer wollte es nun dem schönen und lebenslustigen, reichen und tapfern Bürgermeister Zürichs bei solchen Zeitsilleu verargt haben, wenn er zu seiner Badcufahrt mit einem Gefolge wie das heutige erschien? — Hatte er bei solcher Gelegenheit doch schon einmal neben seiner Frau nicht weniger als sechs Favoritinnen mitgebracht und war gleichwohl der Liebling des Volkes und der einflußreichste Eidgenosse geblieben! — Vom Standpunkte dieser Zeitanschauung müssen auch die nachfolgenden Vorgänge beurtheilt werden, um so mehr, als sich in denselben zeigt, wie der Mangel an sittlicher Selbstbeherrschung den größten Theil des Trauerflores gewoben hat, mit welchem das Ende des durch sein ganzes früheres Leben vom Glücke so hochgetragenen und ruhmvollen Mannes umhüllt ist.
, Von der Stadt Baden führte damals nur ein schmaler und steiler Weg, der außer zu Fuß bloß von einem einzeln gehenden Pferde zurückgelegt werden konnte, nach den großen Bädern hinunter. Dieser Weg war jetzt einsam, da sich alles Volk um das Rathhaus herumlagerte, wo Waldmann mit seinem Gefolge abgestiegen war; deßhalb wären die beiden
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