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Unsere Wasserläufe.
Eine Betrachtung von A. Bernstein.
Siehst du die Wolke über Fluren streichen, Begrüße sie als Gast von Seegestaden, Der auf zur Höhe steigt, mit segensreichen Geschenken für das Erdenrund beladen; Denn was auf diesem blüht in Lebensfülle,
Entstieg dem Meer dereinst in Wolkenhülle.
Wenn das Sonnenlicht über die weiten Meereswogen dahinstreift, so folgt ihm ein Luftstrom auf der endlosen Bahn. Der Luftstrom saugt die Dünste auf, die durch die Wärme losgelöst worden sind von der Wasserfläche. Er trägt sie in Wolken- gestalten aufwärts zu den Höhen des Erdenrundes, die ihre nackten Felsen im Himmelslichte sonnen. Dort oben aber lagert der Luftstrom seine Wasserbürde als Schnee und Regen ab und bildet in Thälern und zwischen Wäldern das große Sammelbecken der Gletscher, deren Schmelzwasser abwärts fließt und durch Feld und Wald und Flur die Segensfülle der Wasserläufe verbreitet.
Die Wolke fragst du vergeblich nach der Himmelsgegend, wo sie ihr Wasser aufgesogen, und nach dem Bergziele ihrer Wanderung, wohin sie ihre Bürde tragen wird. Sie ist ein loses, lockeres Gebilde, das da getragen wird von Luftwaffen, die nach eigenen Gesetzen das Erdenrund umwandern. Was von dem an die Tiefen ge- feffelten Meere sich loslöst, folgt fessellos dem Zuge. Aber was da heimkehrt in das Meer, dem ist die Straße vorgeschrieben in Felsenriffen, in Steingeländen, in Hochseen, welche die Wasser aus tausend kleinen Rinnsalen ansammeln, um sie als Gefälle abwärts zu senden. Je tiefer die Wanderung, desto mehr sammeln sich von allen Gebirgsgeländen aus allen überströmenden Teichen die herbeiströmenden Genossen. Bald trieft der Boden der Wälder, bald rieselt der Wiese entlang ein Büchlein abwärts. Da kommt ein Waldbach rauschend angestürzt, der den kleinen Genossen in seine Arme nimmt und ihn zum Wirbel eines größeren Sees führt, der mit lauterem Schwall nach der Tiefe den Überschuß seiner Massen als Wafferfall hinabschleudert. Und unter Tosen über Felsstücke dahin stürmend, bricht er sich eine Straße hindurch zwischen Felsenwänden und Hügelabhängen, um in einem immer breiter und bequemer werdenden Bette sich den Dünen zu nähern, wo er in Windungen den Heimweg zu dem Meere findet, das er als luftiger Gast dereinst verlassen hat.
Die Wolke kann dir den Weg nicht angeben, den sie durchmeffen hat, und weiß nicht die Gebirgskuppe zu bezeichnen, wohin sie der Wind tragen wird, um ihre Wasser- last in Empfang zu nehmen; aber das Waffer, von oben heimströmend, kennt seinen Weg. Es wandert in die Ewigkeit des großen Meeres hinein, aus dem alles gespeist wird mit belebender Kraft, und das alles wieder aufnimmt, wenn es den Lebenslauf vollendet hat.
Mehr noch als alle Stürme, welche die Wellenberge hoch auftreiben, mischen alle rückfließenden Gewässer im mächtigen Sammelbecken des Meeres alle Lebensreste aus