Decheniana (Bonn) 141, 296-311 (1988)
Fließgewässer im Ballungsraum Ruhrgebiet Ökologische Grundlagenerhebung in der Stadt Bochum
Burkhard Thiesmeier, Jürgen Rennerich und Siegfried Darschnik Mit 6 Tabellen und 2 Abbildungen (Eingegangen am 25. 6. 1987)
Kurzfassung
Von 1984-1986 wurden in Bochum, einer Großstadt im mittleren Ruhrgebiet, alle Fließgewässer kartiert und faunistisch sowie chemisch-physikalisch untersucht. 38 Bachabschnitte und Bachläufe werden unterschieden, die sowohl zur Emscher als auch zur Ruhr entwässern, wobei ca. 70% der Gewässer kürzer als 1 km sind. Weiterhin wurde eine historische Fließgewässerkarte erarbeitet, die den Verlauf der Bachläufe in den Jahren 1840/1843, also vor den industriellen Umstrukturierungen zeigt. Es wurden 64 Arten oder höhere Taxa gefunden. Die Mehrzahl der Tiere zählt zu den ubiquitären und euryöken Bachorganismen. Die wichtigsten Störeinflüsse wie Zerschneidung und Isolation der Bachläufe, sowie Teichanlagen, Regenüberläufe, Verbauung u. a. werden dargestellt und im Zusammenhang mit den faunistischen Ergebnissen und der historischen Situation diskutiert.
Abstract
In the urban area of Bochum, a city in the middle part of the industrial beit of the Ruhr, all running waters were localized and studied from a faunistical and a chemo-physical point of view during the period of 1984-1986.
38 brooks and part of brooks (leading to the Emscher as well as to the Ruhr) have been distin- guished, about 70% of them being shorter than 1 km. Furthermore a historical map was reconstructed showing the runnig waters at 1840/1843, so before the fundamental industrial changes.
64 species of higher taxa were found, mainly belonging to ubiquitous and less adaptive groups of runnig water animals. The main influences in urban areas as fragmentation and isolation, ponds and floot retarding Systems, outlets, canalization etc. are shown and discussed with the faunistical results and the historical Situation.
1. Einleitung und Problemstellung
Die Fließgewässer in der Großstadt sind gekennzeichnet durch extreme anthropogene Überformungen, die zu einem weitgehenden Verlust der natürlichen und naturnahen Abschnitte geführt haben.
Während bei Bachläufen in der freien Landschaft der Bezug zu natürlichen Verhältnissen noch hergestellt, beschrieben und zur Bewertung herangezogen werden kann (z. B. LWA 1982, LÖLF & LWA 1985), ist dieses in einer dichtbesiedelten Stadt kaum noch möglich.
Die noch vorhandenen Fließgewässer zeigen Auswirkungen einer Vielzahl von Stör- faktoren, die sich im Laufe der Jahrzehnte in unterschiedlichster Art und Weise beinflußt und überlagert haben. Besonders die Zerrissenheit und die daraus resultierende Isolation vieler Teilabschnitte erschwert die Einordnung in ein übergordnetes Bachsystem, wobei jeder einzelne Fließabschnitt durch das Zusammenwirken der verschiedensten Beeinflussungen charakterisiert wird.
Die vorliegende Arbeit ist ein erster Ansatz einer ökosystemaren Bearbeitung von Fließgewässern im städtischen Bereich. Dabei stand zunächst die Erfassung des gegenwärtigen Zustandes mit den hauptsächlichen Störeinflüssen im Vordergrund: ein erster Schritt in die Richtung einer allgemeinen Bewertungsgrundlage für Bäche im besiedelten Bereich. Gleichzeitig erfolgte ein historischer Vergleich, um das ehemalige Fließwassernetz aufzuzeigen, wie es vor den industriellen Umstrukturierungen der letzten 140 Jahre bestanden hat. Nur vor diesem Hintergrund ist es möglich — im Vergleich mit regionalfaunistischen Arbeiten aus angrenzenden Gebieten (z. B. Thienemann 1912, Beyer 1932, Dittmar 1955, Darschnik, Engelberg, Rennerich & Thiesmeier 1982, Braukmann 1984) — die Habi-