befahrbarer Schotterweg flußabwärts. Erst in den achtziger Jahren wurde eine Fahrweg- verbindung zwischen dem Ulagan-Hochland und dem Tschulyschman-Tal hergestellt, doch konnten wir uns nicht vorstellen, daß es jemals einem Fahrzeug gelingen sollte, über diese in den Steilhang gesprengte Serpentinenstraße hinauf- oder auch hinunterzufahren. Im Tal stießen wir auf eine kleine Sägestation, wo eine Handvoll Männer, die notdürftig in Zelten hausten, Eisenbahnschwellen schnitt. Das Holz konnte nur aus dem Ulagan-Hochland stammen und mußte demnach von dort bis ins Tal transportiert worden sein.

Dieser enge, tief eingeschnittene mittlere Talabschnitt weist ein günstiges Klima auf, weshalb darin viele Hochgebirgsvögel im Winter und auch bei Wettereinbrüchen Schutz suchen. Besonders nach Nordosten zum Tschulyschman-Plateau hin, wo das nur schwer erreichbare Altai-Naturschutzgebiet liegt, ragen steile, über 1000 m hohe Felswände auf, während die Hänge auf der gegenüberliegenden Seite in mit Büschen bewachsenen Geröllbahnen auslaufen. Der karge Talboden ist mit Gesteinsbrocken übersät, und nur am Ufer zieht sich eine schmale Baumreihe mit Pappeln und Birken entlang.

Wir biwakierten unmittelbar neben einem Menhir, einer der schon zur Steinzeit von Menschen senkrecht aufgestellten Felsplatten. Nonnensteinschmätzer suchten zwischen dem Geröll auf dem Talboden Futter und flogen damit zu ihren Nestern in den Steilhängen. Die mit den Zippammern nahe verwandten (nur mit schwarzen anstatt braunen Kopfstreifen gezierten) Felsenammern fütterten bereits ausgeflogene Jungvögel. Ebenso die Hausrotschwänze, die hier leicht mit Gartenrotschwänzen verwechselt werden können, weil die Männchen der asiatischen Unterart phoenicuroides einen rötlichen Bauch besitzen. Auch ihr Gesang unterscheidet sich deutlich von dem mitteleuropäischer Vögel.

Zu den häufigsten Fels-Busch-Bewohnern dieser Landschaft zählte ein kleiner Laubsänger, der dem Dunkellaubsänger in Gestalt, Verhalten und auch Stimme sehr ähnelte. Der geringe Unterschied in seinem Gesang bestand hauptsächlich darin, daß sich die Strophen anstatt aus vier meist aus fünf Silben zusammensetzten. Die Vögel waren genauso scheu wie die Dunkellaubsänger, wechselten jedoch im Gegensatz zu diesen beim Singen ständig ihren Platz und zitterten dabei mit den Flügeln. Es waren Graulaubsänger (vgl. OM Nr.8/1992).

Am Fluß lebten zahlreich Flußuferläufer und Gebirgsstelzen, darüber in den Felsen Klippentauben. Nur einmal sahen wir zwei Felsenschwalben vor einer steilen Felswand kreisen. In den Uferbäumen sangen vereinzelt Baumpieper, Kohlmeisen, Buchfinken und Goldammern, wurden jedoch flußabwärts immer häufiger. An der Tschultscha-Mündung weitete sich das Tal, und es wechselten sich nun kleine Mischwälder mit Steppen-, Grün- und Ackerland ab. Hier hörten wir am Abend die Wachtel rufen und in der Nacht eine Zwergohreule. Weiter unterhalb, bei der kleinen Siedlung Koo, verfolgte ein Jungfernkranich im Tiefflug einen Hund und landete danach auf einer großen Kiesbank im Fluß, vielleicht dem Brutplatz. Aus einem dichten Brennesselbestand tönte die Stimme des Buschrohrsängers.

Hier, am unteren Tschulyschman, hatte der Deutsche C. Wache schon 1906-1908 970 Vögel gesammelt, die von Hesse (1913) besprochen wurden und zum Teil noch heute im Naturkundemuseum Berlin zu sehen sind. Danach wurde dieses Gebiet von den Ornithologen P.P. Suschkin, H. Johansen und F.F. Folitarek aufgesucht. Ihre Beobachtungen stimmen noch heute mit den unsrigen gut überein.

Nach fünf Tagen erreichten wir schließlich das Dorf Balyktscha und einen Tag darauf die Tschulyschman-Mündung am Teletzker See. Hier herrschten nun Birkenwälder vor, in denen wir Baumpieper, Grauschnäpper, Gartenrotschwanz, Wacholderdrossel, Kohlmeise, Buchfink und Goldammer als die häufigsten Arten notierten. Ein singender Bergfink kündigte bereits die nördliche Taiga an. Neben der Schiffsanlegestelle stießen wir auf ein kleines Zeltlager, wo wir auf das nächste Passagierschiff nach Artybasch warten wollten. Anders war von hier aus nicht mehr weiterzukommen.

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