DIE VOGELWARTE

BERICHTE AUS DEM ARBEITSGEBIET DER VOGELWARTEN

Fortsetzung von: DER VOGELZUG, Berichte über Vogelzugforschung und Vogelberingung

BAND 15 HEFT 4 NOVEMBER 1950

Einhundert Jahre Deutsche Ornithologen-Gesellschaft.

Vortrag am 1. Oktober 1950 in Wiesbaden. Von Erwin Stresemann.

Früher als in allen anderen Staaten haben die Freunde der Vogelkunde in Deutschland daran gedacht, sich zu einem Verein zusammenzuschließen, denn bei uns hatte die Beschäftigung mit der Vogelwelt schon seit dem Ende des 18. Jahr­hunderts ihre besondere Richtung genommen. Bei den Gelehrten der seefahrenden Nationen stand zunächst die Erforschung der exotischen Vogelwelt und ihrer natürlichen" Anordnung in hohem Ansehen, eine Tätigkeit, die nur den engen Kreis der Sammler und Berufszoologen zu fesseln vermochte; hier dagegen be­faßten sich die Ornithologen hauptsächlich mit der heimischen Vogelwelt und brachten es dabei bald zu überragenden Kenntnissen vor allem der Lebensweise. Gemeinverständliche Werke, die zwischen 1791 und 1810 aus der Feder von Bechstein, Johann Andreas Naumann, Johann Wolf, Bernhard Meyer erschienen, machten die Ornithologie binnen kurzem volkstümlich, und als Johann Friedrich Naumann sich entschloß, von 1820 an das Werk seines Vaters,Die Naturgeschichte der Land- und Wasservögel des nördlichen Deutschlands und angrenzender Länder", in stark erweiterter Fassung neu herauszugeben, konnte er des Erfolges von vornherein so gut wie gewiß sein. Der strahlende Morgen deutscher Ornithologie war nun gekommen. C. L. Brehm rief 1824 eine ornithologische Zeitschrift ins Leben, die erste der Welt. Er nannte sieOrnis, oder das Neueste und Wichtigste der Vögelkunde" und verhieß, die Hefte alle 36 Monate auszugeben, jedes 612 Bogen stark. Ja sogar die Gründung eines Vereins deutscher Ornithologen wurde schon 1827 eifrig betrieben: Der kühne Plan ging aus von Ph. J. Cretzschmar, dem Organisator des Senckenbergischen Museums in Frankfurt am Main. Aber noch war die Zeit für solche Unternehmungen nicht reif; dieOrnis" hörte 1827 auf zu erscheinen, nachdem sie es zu nur 3 Heften gebracht hatte, und auch von Cretzschmars Absichten war bald keine Rede mehr.

Noch 20 Jahre vergingen, bis der Gedanke eines Vereins und einer Zeitschrift bei uns den nötigen Anklang fand. Naumann hatte inzwischen sein großes Werk, dieNaturgeschichte der Vögel Deutschlands", mit dem 12. Band (1844) ab­geschlossen und war unter den Freunden der Naturgeschichte berühmt geworden. Einer seiner feurigen Verehrer, der Eiersammler Eduard Baldamus (1812 1893), damals Religionslehrer am Herzoglichen Gymnasium in Koethen, war es, der in dem hier S. 211 wiedergegebenen Aufruf die Anhänger der Vogelkunde ermunterte, sich vom 27. 29. September 1845 in Koethen zu versammeln und dort zu organi­sieren. Seine Absicht glückte: Die Koethener Versammlung, von 32 deutschen Ornithologen besucht, ist zum Keim der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft geworden. Man beschloß dort nämlich unter J. F. Naumanns Vorsitz, einen Verein deutscher Ornithologen zu gründen, der sich als ornithologische Sektion der (1822 von Lorenz Oken gegründeten) Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte

15 Drost und Schüz, Die Vogelwarte.