Mitt. Ver. Sächs. Ormthol. 8, 2001: S. 567-575
Zwei Arten Aaskrähen (Corvus corone, C. cornix) in Sachsen?
von Siegfried Eck
Herrn Professor Dr. WILHELM MEISE zu seinem 100. Geburtstag am 12. Sept. 2001 gewidmet
Vorbemerkungen
Seit der grundlegenden Arbeit von WILHELM MEISE (1928) weiß zumindest in Sachsen jeder Vogelbeobachter, daß Raben- und Nebelkrähe nur die Namen zweier recht unterschiedlich gefärbter geographischer Vertreter ein und derselben Vogelart sind, der Aaskrähe (Corvus corone). Beide haben in Deutschland längs der Elbe ein in Ost-West- Ausdehnung etwa 200 km breites und offensichtliches Mischgebiet (vgl. STEFFENS et al. 1998: Karte Abb. 160). Selbst inmitten großer Städte wie Dresden kann man diese Vögel aus nächster Nähe auf ihre Färbung und ihr Gebaren hin betrachten, und es ist nicht allzu kompliziert, auch Brutpaare etwas genauer, d. h. betreffs ihrer Färbung mit guter Optik ins Auge zu fassen. Diesen Umstand haben sich in jüngerer Zeit einige Autoren wie AUBRECHT (1979), SAINO & VILLA (1992) oder RlSCH & ANDERSEN (1998) zunutze gemacht, um Krähen-Paare in der Kontaktzone von Raben- und Nebelkrähe (Österreich, Norditalien, Amrum) auf ihr Fortpflanzungsverhalten im Zusammenhang mit ihrem Färbungsmuster hin zu untersuchen. Soweit ersichtlich, wurden die erwachsenen Vögel auf Distanz gemustert. Den Autoren war selbstverständlich bekannt, daß die Bestimmung eines Vogels als corone oder cornix selbst dann, wenn man den Vogel in der Hand hat, oft nicht einfach ist; ein rundum schwarzer Vogel kann z. B. Mischlinge zu Eltern haben (STEINIGER 1950).
Nach MEISES klassischer Arbeit haben sich namentlich RICHTER (1958), BÄHRMANN (1960) und ECK (1984) mit der Variabilität mecklenburgischer und sächsischer Aaskrähen, d. h. hauptsächlich mit Mischlingen
anhand von Balgmaterial befaßt und herausgefunden, daß die Mischlings-Phänotypen einer bestimmten Regel ihrer Ausprägung unterworfen sind (RICHTER 1. c), die in Sibirien und Mittelasien zwischen sharpii und orientalis die gleiche ist (BLINOV et al. 1993: 102, ECK nach Material in St. Petersburg), obwohl nach Untersuchung des Cytochrom- b-Gens das Verwandtschaftsverhältnis zwischen corone und cornix ein engeres sei als zwischen cornix (in der Form sharpii) und orientalis (KRYUKOV & SUZUKI 1998). Im übrigen stimmen die westlichen Raben- und Nebelkrähen morphologisch auffallend überein. Besonders betont wird immer wieder der Umstand, daß das Mischgebiet in Europa recht schmal sei; seine Länge beträgt jedoch immerhin etwa 1.200 km (BURTON 1995: 231-232). BURTON (1. c.) beschreibt auch detailliert die räumliche Verschiebung der europäischen Mischzone im 19. und 20. Jahrhundert. Eine konzentrierte Darstellung des Verhältnisses zwischen Raben- und Nebelkrähe bieten HAFFER & BAUER (in GLUTZ
von Blotzheim & Bauer 1993: 1858- 1864). Sie ziehen vorsichtige taxonomische Schlüsse und bleiben bei einer Art, C. corone.
Dennoch wird wieder in jüngster Zeit geltend gemacht, die beiden westpalaearktischen Populationsgruppen um corone und cornix als verschiedene Spezies anzusehen. SANGSTER et al. (1999: 153) genügten dafür im wesentlichen die verschiedene Färbung, aber sie verweisen auch auf Untersuchungen in Italien über Habitat-Präferenzen und Benachteiligung der Hybriden. Auch HELBIG (2000: 182—183) spricht von verschiedenen Arten und diskutiert interessante Möglichkeiten ihrer genetischen Differenzierung. Der Befund von SAINO & VILLA (1992), wonach
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Senckenbergische Bibliothek Frankfurt a. Main