ORNITHOLOGISCHE MITTEILUNGEN

5. Jahrgang Nr. 8 August 1953

Der Gesang der Vögel

(Physiologisches und Phonetisches) Von Michael Abs, Bonn

Der Vogelgesang gehört zu den differenziertesten Artmerkmalen der Vögel. Die Stimmbildung der Vögel erstreckt sich auf das ganze Atmungssystem, bestehend aus den Luftsäcken, Bronchien, der Syrinx, der eigentlichen Schallquelle, der Luftröhre, dem oberen Kehlkopf (Larynx) und dem Rachenmundraum. Dagegen beschränkt sich die Stimmbildung beim Menschen auf den oberen Kehlkopf und den Mundraum. Die Gabelungsstelle der Luftröhre in die Bronchien ist der Sitz des unteren Kehlkopfes, der Syrinx. In der Syrinx befinden sich die inneren Paukenhäute es sind dies Haut­falten, die durch die aus den Lungen strömende Luft zum Schwingen gebracht wer­den. Die Singvögel besitzen zudem noch die äußeren Paukenhäute. Die inneren und die äußeren Stimmlippen sowie die Halbmondfalte spielen eine geringere Rolle als Schallquellen. Die tonerzeugenden Hautfalten in der Syrinx werden sowohl durch antagonistisch wirkende Muskelpaare als auch durch den Luftdruck, der in dem clavi- culären Luftsack herrscht, und der die Syrinx wie auch die Bronchien und Teile der Luftröhre umgibt, gespannt. Beschädigt man den Luftsack etwa durch öffnen mit einer Nadel, so daß kein Überdruck mehr vorhanden ist, so kommt es zu keiner Stimmäußerung.

Von der Akustik her gesehen entspricht der Stimmapparat des Vogels dem Bau einer Zungenpfeife (17).Die Membranen, die Paukenhäute also, wirken als mem- branöse Zungen mit aufgezwungener Elastizität", formuliert Rüppell (17). D. h.: Die Schwingungen eines Körpers, der nur unter Druck und Zug elastisch ist, fähig harmo­nische Schwingungen auszuführen, werden auf die Luft übertragen und erscheinen als Klang. Es entsprächen dann in dem Vergleich mit der Zungenpfeife die Bronchien dem Windrohr, die Luftröhre und der Rachenmundraum dem Ansatzrohr. In Ver­suchen ließen sich akustische Gesetzmäßigkeiten der Zungenpfeife in der Luftröhre nachweisen. Außerdem - sind beide Syrinxhälften als akustische Eigensysteme aufzu­fassen. Das bedeutet, daß jeder Klang auf gekoppelten Schwingungen beruht. Ände­rungen der Klanghöhe und Klangfarbe werden bewirkt durch: Änderung des Luft­stroms, Änderung des Druckes im claviculären Luftsack, Änderung der Spannung der schwingenden Membranen, Verkürzung der Luftröhre, Verschließung der Larynx oder Änderung im Dämpfungswert der Wandungen.

Den Rhythmus der Lautäußerungen bringt Groebbels (10) in Zusammenhang mit gleichzeitig ausgeführten Flügel- und Halsbewegungen des Vogels, die Zustandsände- rungen in den Luftsäcken hervorrufen (17), (28).

Ein noch ungelöstes Problem müssen wir in der Beziehung des Gesanges zur At­mung sehen. Es ist die Frage, wie sich der Gesang in den Wechsel von Inspiration und Exspiration einfügt. Hierüber gehen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander. Rüppell hält zwar eine inspiratorische Phonation für möglich, betrachtet aber die Syrinx doch als einen nur bei Exspiration wirksamen Apparat (17). Groebbels dagegen meint, daß eine Stimmerzeugung bei Inspiration und Exspiration möglich sei. Für den Gesang sind also die Druck- und Strömungsverhältnisse im Atmungssystem und die Atem­frequenz von Bedeutung. Nach dem Bericht Boxbergers (2) haben Untersuchungen ergeben, daß der Star 88 bis 96 Atemzüge, das Rotkehlchen 92 bis 102 in der Minute machen. (Der Mensch macht gewöhnlich 20 Atemzüge in der Minute.) Andererseits veröffentlichte Lange (16) Beobachtungen von Lerchen, die 6,8 min. im Extrem un­unterbrochen sangen. Auch bei den Lerchen muß man eine Atemfrequenz annehmen,

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