ORNITHOLOGISCHE MITTEILUNGEN

6. Jahrgang Nr. 3 März 1954

Vögel und Landschaft in der Camargue

Von Wolfgang von Westernhagen, Preetz/Holst.

Zusammen mit Herrn Dr. H. Föh, seiner Frau und Herrn W. Bergmann unternahm ich eine Studienfahrt in die Camargue, wo wir vom 28. 4. bis 12. 5. 52 Gäste der Societe d' Acclimatation waren und dank des frdl. Entgegenkommens des Herrn Tallon in einem der Häuser des Reservats in Salin de Badon wohnen konnten. Im gleichen Jahr reiste eine Gruppe dänischer Naturfreunde unter Leitung von Herrn C.A.Blume in die Camargue, dessen Bericht freundlicherweise für diese Arbeit zur Verfügung gestellt wurde. Im Früh­jahr 1953 suchte ich anläßlich einer Südfrankreichfahrt die liebgewonnene Landschaft zwi­schen den Rhonearmen abermals auf.

Ausgangspunkt für einen Besuch des Rhonedeltas ist die an römischen Baudenk­mälern reiche Landstadt Arles in der Provence, wo sich der Fluß in die beiden Arme der Grand und Petit Rhone teilt. Zwischen ihnen und der Meeresküste erstreckt sich die Camargue, bekannt als Land der Salicorniasteppen, Salzlagunen, Stierherden und Flamingos. Jenseits der Großen Rhone liegt eine einsame Stein wüste, die Crau; westlich der Kleinen Rhone reicht die Lagunenlandschaft der Petite Camargue bis zu dem Städtchen Aigues Mortes.

Man kann sich nicht leicht einen Begriff von der Weiträumigkeit der Camargue machen, zumal der große Etang du Vaccares mit 12 km Ausdehnung in der Breite und in der Länge inmitten des Gebietes die Erreichung manches interessanten Punk­tes nur auf Umwegen gestattet. Endlos ziehen sich die sandigen Wege zwischen den zahllosen Salzteichen hin. Weite Strecken muß man über Salicornia und ausgetrockne­ten Lehmboden bei glühender Sonnenhitze zurücklegen oder Stunden durch die Etangs waten, etwa um die drei Waldrelikte Phönizischen Baumwacholders, die Bois de Rieges zu besuchen.

Will man von Arles aus die Camargue durchmessen, kann man die Straße nach Les Stes. Maries einschlagen, jenem Ort am Mittelmeer, wo zu Pfingsten die Zigeu­nersippen Frankreichs zusammenströmen. Bei dieser Fahrt durch das Rhonedelta fällt eine bemerkenswerte Änderung der Landschaft auf, von den Obst- und Wein­gärten im Binnenland zu den Reisfeldern und weiter über die Steppen und Salzteiche bis zum breiten Streifen des Meeresstrandes. Mit der Landschaft wechseln auch die Vögel, die draußen im Mündungsgebiet des großen Stromes ihre Brutheimat haben.

Siedlungen, Gärten, Parks

Als wir am 28. 4. 52 morgens um 4.30 Uhr in Arles den Schnellzug LyonMar­seille verließen, umfing uns hundertfältiger Nachtigallengesang aus Gärten, Parks und Hecken. Bis tief in die Camargue, soweit noch ein Tamariskengebüsch reicht, ist die Nachtigall wohl der häufigste Singvogel.

Läßt man die Stadt hinter sich, kommt man durch eine Landschaft von Gärten mit Aprikosen-, Pfirsich-, Kirsch- und Mandelbäumen und vorbei an Weinfeldern. Die bebauten Flächen sind durch Zypressenwände gegen den Mistral abgeschirmt, jenen starken Nordwind, der während langer Zeit des Jahres aus dem Rhonetal wie aus einer Düse über das Küstenland bläst. In den Gärten sind Stieglitz, Mönchs­grasmücke u. Nachtigall gemein. Wir sahen auch Grünfink, Schwarz- kehlchen und Sprachspötter. An den Häusern fehlen Haussperling,

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