ORNITHOLOGISCHE MITTEILUNGEN
6. Jahrgang Nr. 4 April 1954
Vögel und Landschaft in der Camargue
Von Wolfgang von Westernhagen, Preetz/Holstein (Fortsetzung)
Ich folgte einer Richtung, in der eifrig rufend Bartseeschwalben hin- und herpendelten und erreichte einen Teich, wo der plötzlich freiwerdende Blick auf die durch das Ufergebüsch umrahmte Wasserfläche einen nicht erwarteten Eindruck hervorrief. Kühlung suchend vor den schon stechenden Strahlen der Morgensonne stand eine Herde von fünfzig Stieren im seichten Wasser und äugte mißtrauisch zu mir herüber. Die halbwild aufwachsenden Camarguerinder suchen keineswegs die Bekanntschaft des Menschen, sondern wahren zumeist einen beträchtlichen Abstand und jagen, wenn sie überrascht werden, erschreckt davon. Zwischen der Stierherde und meinem Ufer schwamm Nest bei Nest der Bartseeschwalbe auf einem Teppich von Wasserhahnenfuß. Die Art ist im Rhonedelta überall häufig und hat mehrere große Brutplätze.
Die Trockensteppe
Winterliche Regenfälle überschwemmen weite Teile des Mündungsgebietes der Rhone und machen aus dem Land eine unpassierbare Schlamm- und Wasserwüste. Sonne und Wind trocknen im Frühjahr den Boden und lassen ihn zu einer steinharten Lehmkruste erstarren, die in charakteristische, vielseitige Platten aufreißt. So bilden sich Trockensteppen, mit weitstehenden Salicornia-Stöcken bewachsen, die eine ihnen eigene Vogelwelt beherbergen. Charaktervögel dieses Landschaftstyps sind Brach- schwalbe, Triel, Seereg-enpfeifer und Kurzzehenlerche, deren Brutbeginn vom Abtrocknen der Lehmflächen abhängig ist. Die ersten Brachschwalben erschienen östlich Salin de Badon Anfang Mai und sie begannen einige Tage später mit der Eiablage. Langanhaltender Regen setzte große Flächen unter Wasser und brachte die Brüten ernsthaft in Gefahr. Am 20. 5. machte ich eine Ansiedlung von 20 Paaren südwestlich Sambuc aus, deren Gelege größtenteils noch nicht vollzählig waren. C. A. Blume und Begleiter besuchten am 22. 5. einen Brutplatz am Grand Mar und fanden noch keine vollen Gelege.
Die küstennahen Salzseen und ihre Inseln
Für viele Brutvögel der Camargue ist das Abtrocknen überschwemmter Gebiete und das Sinken des Wasserspiegels in den küstennahen Salzteichen Voraussetzung für den Brutbeginn, der daher spät liegt. Draußen in der äußersten Zone der Camargue, wo das Salz des Meeres alles Leben beherrscht, verdunstet unter der Sonne des Frühjahrs das Wasser in den Lagunen und es tauchen kleine und große Inseln auf, die von Seeschwalbeh, Möwen, Säbelschnablern und Flamingos als Brutplätze ausersehen werden. Im Laufe des glutheißen Sommers trocknen viele Teiche völlig aus und der Boden bedeckt sich mit einer schimmernden Salzschicht.
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