Illustrierte Wochenschrift für Tier= und Pflanzenfreunde
für Sammler und Liebhaber aller naturwissenschaftlichen Zweige. Organ des Verbandes der Aquarien- und Terrarien - Freunde und vieler anderen Vereine.
No. 18.
Sonntag, den 6. Mai 1900.
2. Jahrgang.
Die Kultur des Feigenbaumes.
ine Obstart, welche nicht allgemein bekannt ist und doch sehr viel Freude bereitet, ist die Feige (Ficus carica). Viele werden allerdings denken, dass dieselbe für unser Klima nicht passt, da es ja kalt und rauh ist. Aber das ist nicht der Fall, denn aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Pflanze wenig anspruchsvoll ist, was Klima und Bodenverhältnisse betrifft. Ausserdem ist es eine Pflanze, die uns jährlich Früchte liefert und wenn das Jahr günstig, können wir sogar zweimal diese aromatischen Früchte ernten.
Will man Feigen anpflanzen, so sucht man sich einen geschützten Platz aus, womöglich in der Nähe einer Wand, welche die kalten Winde abhält und die Wärme mehr sammelt; südliche Lage ist nicht unbedingt nötig. Man pflanzt anfangs Mai in der Entfernung von 2—3 m und 20 cm von der Wand entfernt kräftige Pflanzenstecklinge, schneidet dieselben auf drei Augen zurück und giesst gehörig an; in der Regel entwickelt sich aus jedem Auge ein Trieb, den obersten lässt man als Leittrieb, die beiden anderen als Seitentriebe. Wenn die Triebe lang genug sind, bindet man sie an das Lattenspalier oder an gespannte Drähte, dadurch wird dem Baum die erste Form gegeben.
Im Juni werden die jungen Triebe wieder eingestutzt, es entwickeln sich alsdann eine Anzahl Triebe, welche man nach allen Seiten an die Rückwand regelmässig vertheilt und lose anbindet.
Die Pflanze wird sich den Sommer hindurch gut entwickeln und uns durch ihre schöne frischgrüne Belaubung erfreuen. An Wasser darf man es nicht fehlen lassen, da sie einen feuchten Boden liebt, auch ein schwacher Dungguss ist sehr vorteilhaft für das Wachstum.
Hat sich die Feigenpflanze kräftig entwickelt, so wird man bis zum 1 leihst beobachten können, dass in den Blattwinkeln kleine grüne Früchte hervorgekommen sind; dieselben bleiben über den Winter an der Pflanze und kommen erst im nächsten Sommer zur Reife. Die Pflanze wird, wenn an einer Wand oder freistehendem Spalier gezogen, mit dem 1 lauptstamm und den stärksten Nebentrieben angebunden, die kleinen Zweige lässt man frei wachsen, da die Pflanze eine freie Bewegung liebt. Hat man keine Rückwand zur Verfügung, so kann sie ebenso gut als Buschform gezogen werden, ja sie trägt in diesem hall beinahe noch reichlicher Früchte. Die Schösslinge, die jährlich massenhaft aus den Wurzeln treiben, schneidet man ruhig ab. Wenn die Pflanze älter wird, kann man dann von den kräftigsten