Illustrierte Wochenschrift für Tier- und Pflanzenfreunde

für Sammler und Liebhaber aller naturwissenschaftlichen Zweige. Organ des Verbandes der Aquarien- und Terrarien-Freunde und vieler anderen Vereine.

No.

i4- Sonntag, den 6. April 1902. j 4« Jahrgang

Die Wildente.

Plauderei von Emil Stender, Hamburg. Mit zwei Original-Abbi 1 d ungen.

'in hellklarer Sommermorgen lockt uns schon frühzeitig hinaus zu einem Ausfluge auf ein benach­bartes Moor. In strahlender Bläue wölbt sich der Himmel über uns und lässt erhoffen, dass auch der nachfolgende Tag schön bleiben wird; einige winzig leichte, wie von Elfenhand hingezauberte Silberwölkchen, die ab und zu am Hori­zonte erscheinen, verschwinden schon wie unter der Einwirkung unseres Blickes und ungehindert lächelt die Sonne auf uns herab. Zitternd flutet ihr Strahlen­meer über dem Röhricht, das den Rand eines grösseren Moortümpels umsäumt, an dem wir jetzt entlang schreiten.

Als unsere Augen die silberne Blanke des Wassers vor uns überfliegen, ge­wahren wir einige kleine, hastig dem gegenüber wuchernden Schilf- und Binsen­gewirr zurudernde Vögelchen. Junge Wildenten sind es, wie uns schnelles und näheres Zusehen lehrt, gewarnt von der drüben wahrscheinlich im Schilf ver­steckten Mutter durch leise Lockrufe. Unsere Annäherung ist der wachsamen Alten gewiss ganz überraschend ge­kommen, denn wir beobachteten hierbei die grösste Vorsicht; wussten wir doch, dass unterhalb der überhängenden Moor­kante, die an dieser Seite den Tümpel

als Ende eines ehemaligen Torfstiches abschliesst, ein besetztes Wildenten Nest sich befand, welches von uns bei einer früheren Exkursion zufällig hier entdeckt wurde. Die 12 Eier darin, grauweiss von Farbe, hart- und glattschalig, die von der brütenden Ente erst im letzten Augenblicke unserer Annäherung ver­lassen wurden, blieben unberührt von unserer Hand liegen, wohl aber merkten wir uns genau die Fundstelle, um später das Vergnügen geniessen zu können, die hier ausgeschlüpften Jungen zu beob­achten. Täglich führte nun unser Weg dort hinaus, denn wohl wussten wir, dass die sorgsame Mutter ihre gleich nach der Geburt vollkommen flüggen Jungen auf das Wasser führt, woselbst es dann schwer hält, sie wieder aufzufinden, zu­mal wenn ein Tümpel oder Teich ge­wählt wird, der nicht ganz in der Nähe des Nestes liegt, was häufig der Fall ist. Hier inmitten von Röhricht und Pflanzengewucher verbringt die kleine Gesellschaft ihre erste Jugendzeit fast ganz im Verborgenen, so dass uns heute ein besonderer Glücksstern günstig war, der uns trotzdem für einige Augenblicke den reizenden Anblick gewährte, die kleinen Wildlinge bei ihrem Thun zu belauschen.