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bin der Vogel Bülow. Williwall ist hier wohl die Bezeichnung für die herrliche, wallende, wogende Flötenstrophe dieses Vogels, der wegen seines merkwürdigen, kunstvollen Nestbauesauch »gelleWeber« genannt wird. Als Wetterprophet gilt dem Landmann häufig der Grünspecht, der durch seinen »wiehernden« Ruf aus dem Walde ihm nahenden Regen ver­kündet. Er nennt ihn »Boschhengst«, d. h. Waldhengst. Zieht im Frühling oder Herbst der Winkel des Kranich- zuges am Himmel daher, so sind aller Blicke auf die »Krunekraniche« gerich­tet. Ob hier die Farbe der grauen Vögel oder ihr Ruf für das Bestimmungswort ausschlaggebend gewesen ist, kann streitig sein. Wir glauben eher an das letztere; denn hier zu Lande bekommt man unseres Wissens nie einen ruhenden Kranich zu sehen. Nur die Stimme der Vögel und ihre charakteristische Zug­ordnung sind dem Volke bekannt. Saust durch die Luft ein Sperber, Habicht oder sonst ein Raubvogel, so ist man schnell mit der Bezeichnung bei der Hand. Diese ganze Sippschaft führt nach ihrer Tätigkeit des Niederstoßens auf eine Beute die Bezeichnung »Stotvogel«, d. h. Stoßvogel. Je nachdem der be­treffende Raubvogel Tauben oder Hühner behelligt, ist er ein »Tuwenstöter« oder ein»Hühnerstöter«. Die Schwarzdrossel heißt »Gaidling« oder »Merling«. Am Rhein selbst ist die Bezeichnung Mer­ling, in weiterer Entfernung von ihm wohl Gaidling am gebräuchlichsten. In­teressant ist auch hinsichtlich der popu­lären Ausdrücke eine gewisse »Sprach­grenze«. Das Rheintal selbst ist bei uns die »Rhinkant«, d. h. Rheinkante. Das Hinterland der linken Rheinseite ist »datt Binnenland« und die rechte Rheinseite »gönn Kant«, die andere Kante, zum Teil also das Industriegebiet. Je nach­dem man sich in dem einen oder andern Landstrich aufhält, hört man auch die einzelnen, verschiedenen, populären Be­zeichnungen mehr oder weniger häufig anwenden. Jedoch wollen wir diese ört­lichen Unterschiede hier nicht näher in Betracht ziehen, sondern unser Thema mehr allgemein ausführen. Das halb­kugelige Nest der Schwarzdrossel, das

wohl den meisten Naturfreunden bekannt sein wird, heißt im Volk »Gaidlingspott« bezw. »Merlingspott«, d. h. Topf. Nach seinem kugelförmigen Neste mit dem seitlichen Eingange nennt man un- sern allerliebsten Weidenzeisig (Phyllo- pHeuste trochilus), den Leiermann in der Vogel weit, dessen »Zappensiepen, zap- pensiepen« uns überall entgegenklingt, »Backöfelchen«, d. h. Backofen. Bei dieser Bezeichnung muß man an die alten Backöfen unserer Landleute denken, die in ihrer Form uns einen Fingerzeig für die Erklärung dieses volkstümlichen Namens geben. »Winterkönig« heißt bei uns vielfach der Zaunkönig, fast der einzige Sänger, der dem Winter zum Trotz durch die Schneelandschaft sein frohes Liedchen schickt. Der Kohl­meise hat das Volk auf ihr Futter ge­sehen. Es will bemerkt haben, daß sie eine »Beimeis« ist, d. h. daß diese Meise Bienen frißt. Jedoch wird dies nur höchst selten der Fall sein. Die genaue Beob­achtung lehrt, daß dieser muntere Vogel meist Fliegen, Käfer und sonstige nicht- stechende Insekten, die vom Honigduft angelockt das Flugloch der Bienen be- schleichen, aufnimmt. Der Vogel gehört zu unseren allernützlichsten Insekten­fressern. Schade um jede arme Meise, die wegen eines puren falschen Glaubens an Schädlichkeitseitens derlmker sterben muß. Die Namen »Rotsterz« für Rot­schwänzchen und »Rotbörschchen« für Rotkehlchen erklären sich von selbst durch die Färbung der bezeichneten Körperteile. Muscicapa grisola, der graue Fliegenschnäpper, der von einem trockenen Aste oder vom Dachrand her nach den vorüberfliegenden Insekten hascht, wird »Dachhexe« genannt.

(Schluß folgt.)

Der Seidenschwanz

in Freiheit und Gefangenschaft. 5 )

Von H. Kalbe, Rudolstadt. Mit einer Originalzcichnung.

nter den Wintergästen der Vogel­welt, welche unser Thüringer Land besuchen, fesselt der Seiden-

*) Weiteres über die Naturgeschichte des Seidenschwanzes siehe »Nerlhust Bd. II, S. 75'