Der Obstbau. 1890.

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recht beurteilen, welchen weiten Weg der Obstbau bis zur Vollkommenheit noch zu machen hat.

Der feinere Obstbau wird noch viel zu wenig in Anwendung gebracht, und doch ist er es, wel­cher auf beschränktem Raum den höchsten Ertrag abwirft.

Die vielen Vorurteile, welche gegen den Form- und Spalierobstbau gehegt werden, tragen die Schuld daran, daß derselbe so langsame Fort­schritte macht; andererseits ist es wieder die Un­kenntnis bezüglich der Behandlung der Spalier­obstbäume. Mit Geringschätzung sieht der Landwirt auf die Spalierbäume, von deren Ertrag er sich wenig verspricht. Aber wie erstaunt wird er nach wenigen Jahren sein, wenn die Bäumchen mit den schönsten Früchten voll behängen sind, während vielleicht die vielen Hochstämme keinen Ertrag aufzuweisen haben! Bei einer sachge­mäßen Spalierobstanlage wird und muß der Erfolg ein sicherer sein, das beweisen die vielen Beispiele solcher Anlagen. Die Vorteile, welche die Spalierobstzucht aufzuweisen hat, sind fol­gende.

Erstens ist die Möglichkeit gegeben, alle, auch die kleinsten Räume vollständig auszunützen, wie kleine Hausgärten, Vorgärten; alle Wandflächen an Häusern, Scheunen re. Zweitens werden die Bäume durch sachgemäßen und rationellen Schnitt dahin gebracht, daß sie nach wenigen Jahren zu tragen beginnen und vollkommen entwickelte Früchte liefern. Drittens ist der Ertrag alljährlich ein gesicherter, indem die Bäume während der Blüte­zeit hinlänglich vor Frost geschützt werden können.

Ferner kann der Früchteertrag vollständig geregelt werden, indem durch Abkneipen der Sommertriebe dieselben veranlaßt werden, daß sie sich zu Blutenknospen umwandeln. Angesichts dieser Thatsache ist es leicht begreiflich, welchen hohen Ertrag man von den bis jetzt unbenutzt gelassenen Flächen erhalten kann.

Es ist daher unbegreiflich, weshalb die Spa­lierobstzucht noch keine weitere Ausdehnung an­genommen hat, indem es gewiß keine bessere, schönere und angenehmere Unterhaltung und Er­holung für Städter, Beamte ec. gibt, als wenn sie einige Spaliere im Garten oder am Hause pflegen. Es ist nicht selten, daß ein Pfirsich­

oder Aprikosenspalier 60100 Mark, oder ein Weinstock 5060 Mark pro Jahr einbringt.

Als Beispiel, wie vorteilhaft und nützlich eine sachgemäße Spalierobstanlage werden kann und um das Interesse für den Obstbau zu fördern, mag folgendes dienen. Angeregt durch einige Vorträge, welche ich bei landwirtsch. Vereins­versammlungen über den Formobstbau gehalten hatte, nahm ein Handwerker Veranlassung, an seine südöstliche Hauswand einen Aprikosenbaum zu pflanzen. Auf meinen Rat wurde das Pflaster aufgehoben und ein großes Loch gemacht, welches dann wieder mit guter Erde zugefüllt wurde und darauf wurde der Aprikosenhochstamm gepflanzt.

Der Baum machte im ersten Jahre Triebe von 1,20 in Länge, die Seitentriebe wurden durch Pinzieren dahin gebracht, daß sie Blüten­knospen anfetzten. Im darauffolgenden Früh­jahr entwickelten sich die Blüten sehr schön und im August erntete der Besitzer 105 prachtvolle Aprikosen, welche, zum Verkaufswert pro Stück zu 5 ^ gerechnet, einen Ertrag von 5 Jt 25 ^ ergaben. Dies ist gewiß ein schöner Ertrag für einen Baum, der erst vor zwei Jahren gepflanzt war! Der Besitzer war voller Freude, daß er auf so leichte Weise prachtvolle Früchte erziehen konnte, und die Folge war, daß er weitere An­pflanzungen machen ließ. Die Nachbarn wurden durch diese Spalieranlage aufmerksam gemacht und ließen ähnliche Anpflanzungen von Pfirsich und Aprikosen machen.

Dies Beispiel genügt wohl, um zu beweisen, wie rentabel die Spalierzucht werden kann, vor­ausgesetzt, daß die Anlage rationell gemacht wird und diejenigen Sorten und Obstgattungen ge­pflanzt werden, welche für die gegebene Örtlich­keit am besten passen.

Zur Spalierobstzucht können alle Lagen mit Erfolg benützt werden, für die rein südliche Seite eignen sich vorzüglich feinere Tafeltrauben, welche am zweckmäßigsten am senkrechten Rebspalier ge­zogen werden.

Will man jedoch keine Reben pflanzen, dann eignen sich für die Südseite Pfirsiche am aller­besten, indem dieselben sehr viel Wärme bedür­fen, wenn man wirklich schöne und gute Pfirsiche erziehen will, die den in Frankreich gezogenen