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anderen Seite nach innen dann könnten wir davon als letztes am Zweige keinen Gebrauch machen. Es würde einen Trieb geben, der nach innen, also nach den andern Zweigen hin wüchse und die Krone zwingt sich zu schliessen statt mög­lichst grossen Kaum einzunehmen. In diesem Falle würden wir den Zweig noch weiter kürzen bis auf Astring d. h. dort wo er mit dem anderen zusammenstösst. Schlafende Augen giebt es hier genug.

Zweig b ist ebenfalls über ein nach aussen stehendes Auge geschnitten und zwar über dem ersten sichtbaren Auge. Zweig c steht schlecht. Wir haben auch Zweige genug, darum ganz fort mit ihm.

Auf der anderen Seite des Stammes stehen Zweig d und e viel zu nahe zusammen. Nur einer hat mit den neuen Trieben dort Platz. Weil aber beide unten günstig stehende Augen besitzen, so wird d ganz fortgeschnitten und e auf Astring. Zweig f schliesslich erhält den Schnitt kurz über dem untersten sichtbaren Auge, das recht günstig steht, weil hier nach vorn eine Lücke ist.

Im Grunde genommen ist es einerlei ob wir eine hochstämmige Rose oder eine niedrige vor uns haben. Auch niedrige Kosen müssen beim Pflanzen kurz zurückgeschnitten werden. Da sie aber viel leichter anwachsen als Kronen* rosen weil sie fast auf der Erde liegen und deshalb von der Erdfeuchtigkeit frischer gehalten werden so kann man Buschrosen etwas länger schneiden. Im allgemeinen haben Buschrosen viel mehr Triebe als Kronenrosen und deshalb muss man bei ihnen trotz etwas längeren Schnittes verhältnismäsig viel mehr Zweige fortnehmen."

Unsere Abbildungen zeigen uns eine Wurzelhalsveredlung ungeschnitten und geschnitten. Fig. 3 und 4.

Wir empfehlen dem Rosenfreunde nochmals das BuchDie Rose". Die Red.

V.

Fig* 4. Wurzelhalsrose geschnitten.

Charakterbilder aus der Geschichte der Rose.

von Otto Schultz e. Jedes Menschenherz teilt die Hoffnung, die den Dichter belebte, der singt:

Alle Jahr' kehrt der Frühling, ist der Winter vorbei." und weiter:

Die Eosenzeit ist doch die Zeit für die Lieb'." Warum also nicht in den Tagen des Lenzes der künftig erblühenden Rosen uns im voraus freuen ?

Abgesehen aber von der Jahreszeit, ist unser Thema in der That zeitgemäss. Die Rose ist vor allen anderen die Blume unserer Zeit. Sie macht alljährlich neue Eroberungen, sie wird immer schöner und vollkommener, und bei wem sie auch nur einen kleinen Platz im Herzen erobert hat, den wird es nimmer gereuen, unseren Charakter­bildern aus ihrer Geschichte eine Erholungsstunde zu widmen.

Welch ein anziehendes naturgeschichtliches Bild bietet schon allein die Rosenkultur, die diese Blume von den unvollkommenen Gebilden zu immer höherer Schönheit und Pracht entfaltet hat! Welch eine merkwürdige Erscheinung ist es, wie das Ziel dieser Kultur erreicht wird durch das Spiel der Natur! Und doch wird das Interessante dieser naturgeschichtlichen Seite der Rose noch weit übertroffen durch die kulturgeschichtliche Seite, und erst in diesem Sinne lässt sich in Wahrheit reden von einer Geschichte der Rose! Keine

andere Blume hat überhaupt eine Geschichte auf­zuweisen, keine andere ist so mit den Geschicken der Menschen, ja der Völker verflochten. Keine Blume hat so, wie die Rose, ihr Bild der Sprache aufgeprägt, dem Sprichwort, den Namen und Rede­wendungen in hundertfacher Variation; keine hat jemals so die Sprache des Herzens geredet, keine ist so in zahllosen Liedern aller Zeiten und aller Völker besungen; aber auch keine hat so von Anfang an der Menschen Lust und Weh geteilt, keine hat so ihre Tugenden gekrönt, keine ist so über ihre Laster errötet.

Es wäre schon ein ungeahnter Genuss, wenn ein einziger Rosenstock selbst uns aus seinen ErlebnissenGenrebilder" darbieten könnte; etwa wie er als Wildling im schlichten Dornbusch auf der Heide nur einem einsamen Vogel sein Nest beschützte, wie er höchstens einmal von einem lüsternen Reh oder Hasen benagt wurde, dann aber plötzlich von einem Individuum in zerfetztem Rock, das zurKaste" der Wildlingsammler sich rechnete, entdeckt, trotz aller Gegenwehr und ausgeteilter blutiger Stich- und Risswunden aus dem mütterlichen Boden gehoben und so in zarter Jugend mit anderen seinesgleichen für etliche Pfennige in die Sklaverei geschleppt sei; wie er, das Kind der Wildnis, dort allsobald mit Schere und Messer traktiert, kultiviert, okuliert, etiquet- tiert wurde; wie darauf im nächsten Jahre, als er eben an einem milden Abend die erste Knospe entfaltete, ein Liebespaar, im Garten wandelnd.