FILANTROPIA

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andererseits versuchten, den nationalen Status der Bewohner, die unter fremde Souveränität kamen, zu regeln. In der gleichen Form geschah das in den Verträ­gen mit Polen, Oesterreich Jugoslavien, Tschechoslowakei, Bulgarien, Rumänien, Griechenland und Ungarn. Jedes von die­sen Ländern erklärte als staatszugehörig ipso facto und ohne Erfüllung irgend­einer Formalität alle diejenigen Perso­nen, die vorher anderen Ländern angehört und die zur Zeit der Umgestaltung dort ge­wohnt und Bürgerrechte besessen hatten. .

Die Verträge gewährten dann weiterhin in jedem der abgetretenen Territorien ai- len dort lebenden Personen das Recht, für irgendeine andere Nationalität zu optie­ren. Diejenigen, die dieses Recht ausüb­ten, wurden aufgefordert, innerhalb eines Jahres ihren Wohnsitz nach demjenigen Staat zu verlegen, für welchen sie optiert hatten.

In der Praxis führten diese Bestimmun­gen zu einer erschreckenden Erhöhung der Zahl von Staatenlosen. Viele Länder, die solche Verträge unterzeichnet hatten, wünschten eigentlich die Staatsbürger­schaft nur solchen Personen zu Amrleihen, die derselben nationalen Gruppe angehör­ten, trotzdem sie sich verpflichtet hatten, Personen, die rassische oder sprachliche oder religiöse Minoritäten bildeten, auf gleichem Fuss wie die herrschende Grup­pe zu behandeln. Sie nützten den Neben­satz des Vertrages aus,die zur Zeit der Umgestaltung dort gewohnt und Bürger­rechte besessen hatten, und es begannen lästige Nachforschungen, die sich aus­schliesslich auf die Angehörigen der Mino­ritäten erstreckten.

Solche Nachforschungen verlangten ge­wöhnlich dokumentarische Nachweise in­nerhalb einer gewissen Frist über die Her­kunft des Betreffenden, seiner Eltern oder Vorfahren. Wegen der Vernichtung der Archive während des Krieges war es schwierig, oft unmöglich, die erforderli­chen Dokumente beizubringen. Manche auch waren sorglos genug und kümmer­ten sich um die Beschaffung dieser Doku­mente in dem vorgeschriebenen Zeitraum nicht. Die Folge von alledem war, dass

Hunderttausende ihre Staatsbürgerschaft verloren.

Noch andere Kategorien von Staatenlo­sen schuf der Weltkrieg. Während der russischen Revolution und der Errichtung des Sowjetregimes flohen l 1 /^ bis 3 Mil­lionen Menschen aus dem Land, darunter viele Hunderttausend rein politische Emi­granten. Die Teilung der Türkei und das Entstehen von unduldsamen Araberstaa­ten hatten die Vertreibung von Armeniern, Chaldäern, Assyrern und Türken zur Fol­ge. Viele von ihnen konnten weder ihre frühere Staatsbürgerschaft noch eine neue in einer nicht allzu langen Frist erlangen.

Als besonders schwer erwies sich das Problem der staatenlosen russischen Emi­granten. Auf Betreiben des Dr. Fridtjhof Nansen, des norwegischen Forschers und Philantropen, fand i. J. 1922 in Genf eine internationale Konferenz statt. Sie hatte den Zweck, für die russischen Flüchtlinge ein Dokument von internationaler Giltig­keit zu schaffen, das ihnen ein Mindest­mass an Bewegungsfreiheit und Schutz gewährte und ihre Identifizierung er­möglichte. Dieses Dokument ist unter dem NamenNansenpass bekannt. Es wurde anfangs nur den staatenlosen Russen ge­währt. Später wurde es auf alle jene aus­gedehnt, die zuvor der türkischen Nationali­tät unterstellt waren. Auf staatenlose Per­sonen im allgemeinen, wie man oft glaubt , fand es keine Anwendung. Seine Besitzer gelten alsNansenflüchtlinge.

Seit dem Weltkrieg ist die gesetzliche Entziehung der Nationalität, die Ausbür­gerung, eine allgemein geübte Bestra­fungsart geworden. Vor dem Krieg kannte diese Strafe nur das zaristische Regime, das sie besonders gegen politische, aber auch gegen andere Verbrecher anwendete. In Polen beraubte ein Dekret vom II. August 1920 diejenigen Personen der Staatsbürgerschaft, die ohne ihrer Militär­pflicht zu genügen, ausgewandert waren und sich nicht von auswärtigen polnischen Konsulaten in die Listen hatten eintragen lassen. Am 31. Januar 1926 bürgerte Ita­lien alle Italiener aus, die dem faschisti­schen Regime feindlich gegenüberstanden. Durch ein Dekret vom 14. Juli 1933 wur-

Slnds die Augen, immer wieder