FILANTROPIA
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den allen Auslandsdeufscheu, die gegen die Interessen des nationalsozialistischen Staates handelten, das Bürgerrecht entzogen.
Eine beispiellose Lage wurde durch die Nachkriegspraxis geschaffen, die Revision der vorher gewährten Einbürgerung vorzunehmen, ein Verfahren, das in vielen europäischen Ländern Anwendung fand. Die hauptsächlichen Opfer waren hier die Juden. Das erste Land, das diese Politik in grossem Massstab betrieb, war Rumänien. Im Pariser Vertrag vom 9. Dezember 1919 hatte sich Rumänien eigens verpflichtet, diejenigen Juden, die.irgendein rumänisches Meinet bewohnen und keine andere Nationalität besitzen, als rumänische ►Staatsbürger “ipso facto” anzuerkennen. Obwohl sowohl Text und Absicht dieser Bestimmung klar und eindeutig sind, hat Rumänien offen gegen ihren Sinn verstossen. 5 Jahre nach dem Abschluss dieses Vertrages, i. J. 1924, kam ein Besetz heraus, nach dem jeder Einwohner der neu erworbenen rumänischen Provinzen die Zeugnisse beschaffen musste über die Zeitdauer seines gegenwärtigen Wohnsitzes und über seinen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft. Aus politischen Motiven bestimmte dasselbe Besetz die Beibringung von Dokumenten, die sehr oft nicht zu erlangen waren. Dadurch verloren etwa 100 000 Juden in diesen Provinzen ihr Bürgerrecht. Am 22. Januar 1938 erliess das kurzlebige antisemitische Boya-Regime ein Besetz, das eine zweite Revision des Bürgerrechtes der Juden anordnete, und zwar nicht nur derjenigen der neuen Provinzen, sondern auch des alten Königreichs, die ihre Naturalisation durch königliches Dekret vom Mai 1919 erhalten hatten. Obwohl die strengen Bestimmungen dieses Gesetzes, das das von 1924 an schikanöser Handhabung weit übertraf, vom gegenwärtigen Regime modifiziert wurden, verloren dennoch 150 000 Juden ihre Staatsbürgerrechte.
ln Deutschland entzog ein Dekret vorn 14. Juli 1933 das Staatsbürgerrecht allen Juden, die seit 1918 naturalisiert worden waren. Es begriff auch alle Juden ein, die in Deutschland geboren waren, aber von fremden oder naturalisierten Eltern abstammten. 21.000 Juden wurden hiervon betroffen. Ferner wird jeder deutsche Flüchtling, dem es gelingt, ins Ausland zu
entkommen, automatisch staatenlos, obwohl er technisch deutscher Untertan bleibt, ln ihrem Drang, die Juden aus dem Land zu schaffen, lassen die deutschen Nazis praktisch keine jüdischen Flüchtlinge mehr nach Deutschland, selbst wenn sie draussen keine Unterkunft finden. Ja, die Gestapo hat sogar eine grosse Anzahl Juden heimlich, mit Hilfe skrupelloser Schiffskapitäne, auf See gebracht. Alle diese Leute verlieren automatisch ihre Staatsbürgerschaft. Unter deutscher Pression nehmen jetzt auch Ungarn, das böhmisch-mährische Protektorat und die Slovakei eine Revision der Staatsbürgerschaft derjenigen Juden vor, die in diese Länder unmittelbar vor dem Krieg, während seiner Dauer und nachher eingewandert sind.
Die Ereignisse in Deutschland hatten auch unmittelbare Rückwirkungen auf Polen. Da dieses Land die Rückkehr seiner jüdischen Staatsbürger aus dem Reich fürchtete, zu einer Zeit, in der man die jüdische Massenauswanderung aus Polen propagierte, wurde am 1. April 1938 ein Besetz erlassen, welches den Verlust der Staatsbürgerschaft für die polnischen Staasbürger anordnete, die seit 5 Jahren im Ausland leben und “den Kontakt mit dem polnischen Staat” verloren haben. Da eine Auslegung der letzteren Phrase nicht gegeben wurde, so blieb es dem jeweiligen polnischen Konsulat überlassen, nach freier Willkür diese Bestimmung auszudeuten. Durch Dekret vom 6. Oktober 1938 mussten alle ausländischen Polenpässe eingetragen und bis zum 29. Oktober abgestempelt sein. Diese Verfügung schloss die Möglichkeit des Verlustes des Bürgerrechts in sich. Die Länder, die Polen beherbergen, fürchteten natürlich deren völlige Entnationalisierung, sodass sie hernach weder gesetzlich ausgewiesen, noch freiwillig in ihr Vaterland zurückkehren konnten. Deutschland antwortete in brutalster Form auf diese Gesetzgebung und trieb in der Nacht des 28. Oktober 16 000 polnische Juden über die Grenze. Die Tragödie der in der Grenzstadt Zbaszyn konzentrierten Juden ist zu bekannt, um nochmals geschildert, zu werden. 5000 verweilen noch heutigen Tages dort. Aber weder die 16 000 aus Deutschland vertriebenen, noch die 40 000 im Reich verbliebenen polnischen. Juden wissen, ob sie Polen oder staatenlos sind. Inzwischen hat eine gro-