Geile I
Israelitische- JamiNenblatt.
Bernhardt) giebt, war Or. Julius im Commissariat für das Lübecker Contingent — Medicinalwesen — angestellt. Da aber kein Brigadestab vorhanden war, verließ er schon in Lauenburg die Legion, um fortan im. Merkten burgischen die Spitälerzu leiten, Gegen (&n&e des Heldzuges finden wir ihn als alleinigen Mediciner in dem mittlerweile eingerichteten Brigadestab.
Auch später, als von Elba Napoleon wieder heim« kehrte und überall wieder der Jubel seiner Getreuen erscholl und die Worte klaubenden Congreßler in Wien aus ihren Verhandlungen zu den Waffen drängte, da stellte sich auch Julius zur Verfügung. Er wurde dem Hamburgischen Contingent als Stabsadjutant beigegeben, wobei er noch hinreichend Gelegenheit fand, auch in das Lazarethwesen wirksam einzugreifen und durch Anregung die gar zu jämmerliche Krankenpflege zu bessern.
Nach seiner Rückkehr aus dem Feldzuge nahm er in Hamburg wieder seinen ärztlichen Beruf auf, Wurde Assistenzarzt am allgemeinen Krankenhaus und wußte weiterhin als Armenarzt sich die Dankbarkeit Tausender zu erwerben.
Es würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen, wenn wir die umfassende Thätigkeit dieses Mannes näher verfolgten, der auch ein hervorragender Litterar- hiftoriker war. Allein einige Citate aus der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 14, sollen hier ihre Stelle finden, die uns den Menschen Julius kennen lehren und die Triebkraft all seines Schaffens enthüllen soll: „Seinem liebreichen Eifer für das Wohl der leidenden Menschheit genügte die bisherige Thätigkeit auf dew Gebiete des Medicinal-Hospitalwesens nicht, völlig. Die zwiefach, nämlich körperlich, wie moralisch leidenden Unglücklichen in Gefängnissen hatten sein lebendiges Mitleid zu hülf- reicher Fürsorge geweckt." Man hat ihn nicht mit Unrecht den Vater der Gefängnißkunde und zugleich moderner Gefängnißreform auf dem Continent genannt. Als er am 20. August 1862 starb, nach einem Leben reich an Sorge, an Mühen und an edler Arbeit, geehrt durch die Anerkennung aller philantropischen Gesellschaften, durfte sein Freund, Or. Varrentrap, mit Fug von ihm sagen:*) Er war einer der edelsten, reinsten, uneigennützigsten, aufopferndsten Charactere, mit warmer Liebe der ganzen Menschheit, mit treuer Anhänglichkeit den einzelnen Freunden zugethan, von unendlicher Milde gegen alle und jede Personen, gegen jeden nicht geradezu verwerflich denkenden Standpunkt. Mangel an kritischer Schärfe und practischem Verständniß der Verhältnisse, unbedingtes Vertrauen in die einzelnen Hohen und Niederen, mit denen er in Berührung kam, eine solche Scheu vor dem Unedlen, daß er vor energischer Bekämpfung desselben zurückwich, haben ihm in seiner friedfertigen und aufopfernden Lebensbahn manche schwere Prüfung, manche bittere Täuschung verursacht, vielfältig Erfolg äbgeschnitten oder doch gemindert. Das alles vermochte aber nicht die Wärme .seines liebenden Herzens abzukühlen, seinen Glauben an die Menschheit in seiner Idealität zu erschüttern. Dafür war ihm eine große Zahl trefflicher Menschen in Liebe und Dankbarkeit treuinnig verbunden.
Eingesandt.
Falsches Schamgefühl.
Wenn die Weisen, um das Verhältniß Israels zu anderen Völkern zu characterisiren, das Beispiel aus dem ■— Hühnerhof entnahmen, so qzag dies in damaliger Zeit wohl am Platze gewesen sein; heutzutage wäre dieser Vergleich sehr deplacirt, denn man findet in Israel stellenweise ein Schamgefühl ausgebildet, das allerdings bedauerlicherweise die religiösen Observanzen nur betrifft, und eine Genügsamkeit, die einer bessern Sache würdig wäre — zum mindesten au der Table d’höte der Gasthäuser in den Badeorten, bez. in Orten, wo der geschäftliche Reiseverkehr seine Mittelpunkte hat!
Wer Gelegenheit hatte, Provinzialstädte Mittlern und kleinern Genres zu besuchen, dem wird es schon längst ausgefallen sein, daß ein falsches Schamgefühl die Synagogenbesucher am Sabbath beseelt, welche sich geniren, an diesem Tage in einem guten Anzuge über die Straße zu gehen, oder gar einen Cylinderhut aufzusetzen, um nicht gar zu sehr auszufallen. Selbst die Damen verschmähen es, an diesen: Tage ihre Freundinnen und Nachbarinnen durch Anlegung der besten Toiletten zu — erfreuen. Bei der Schaustellung ihres Hutes sind sie schon toleranter wie die Herren, welche auf die Hauptbedeckung doch mehr Sorgfalt verwenden müßten, wie unsere christlichen Mitbürger an Sonntagen, welche in der Kirche ihren Hut abnehmen.
Meine Herren Glaubensgenossen! In den Caffee- Häusern am Alltage oder gar am Sabbath-Nachmittage die intimsten Gemeinde- und die Angelegenheiten des Nebennienschen in aussehenerregender Weise zu behandeln, das sollte das Takt- und Schamgefühl mehr verbieten!
Daß in vielen Häusern Israels das bescheidene Chanu- kah-Lichtlein, das allerdings I'pbaroumo Nisso —- an: Straßenfenster brennen sott, durch den prächtigen^ stolzen Weihnachtsbaum abgelöst wurde, — daß die Fast^
*) Süddeutsche Zeitung, 20. November 1862.
nachtsbälle mehr Anziehvn-Slraft ausstrahler^- als die Purim-Megillah — und daß selbst die WahfthätigkeitS« „Bescheerungeu", diese alte steheüd^ Einrichtung des ..Purimfestes, in Anlehnung an die Sitte der WeihnachtS- roefcheerungen, von Purun au, vif «^üitükahzeit Verlegt wurde —* das sind alte Klagen,' deren Berechtigung nicht mehr nachgewiesen'zu werden braucht.. Sie-werden auch hier von einem, falschen Schamgefühl geleitet und von dem krankhaften Bestreben — um nicht „Streberthum" zu sagen — es Anderen gleichzuthun, oder gar, einer unberechttgten Eigenthümlichkeit zufolge, Andere zu überragen.
Die „neun Tage" haben einen großen,, nicht mehr gutzumachenden Fehler, daß sie nicht in die Charwoche fallen; — in kotholischen Gegenden: zwischen Fastnacht und Ostern überhaupt — dann wären die „Fastenspeisen" der beste Berührungspunkt zwischen Juden und Christen. Was, um Himmelswillen, soll man aber mit einer „Fastenzeit" im Hochsommer anfangen? Das Schamgefühl reducirte schon längst die „neun Tage" — analog dem Gründonnerstage bis' Charsamstag — auf drei Tage, was um so bequemer ist, als Tischoh-Beaw häufig auf Sonntag fällt, und so der Sabbath dein geschwächt«! Magen wieder aufhilft, weil er von den milchigen Zumuthungen dispensirt. Manche, in der Größe ihrer Enthaltsamkeit, gingen noch weiter, und halten die „neun Tage" mit der Fleisch-Abstinenz nur am — Tischoh-Beaw! Ja, ja, es ist doch schwer, ein frommer Jude zu sein! Den höchsten Feiertag, den Jom-Kippur, entweihen die Wenigsten durch den Genuß von Milchspeisen, zumal der Fasttag eine besondere Kräftigung heischt. Glücklicherweise ist die Zahl derer, welche den Jom-Kippur in dieser Weise „feiern", nur sehr gering; oder sollte ich in einem verhängnißvollen Jrrthum befangen sein? Sollte der Bußtage letzter und höchster Tag mit seiner heiligen Feier bei Vielen schon aus dem altjüdischen Rahmen herausgetreten sein, sowie dies bei den: ersten derselben der Fall ist, welcher bereits häufig einen weinseligen Eindmck macht, wie Sylvester? ?
Man denke aber nicht, daß wenigstens die Freudenfeste ihren Character religiöser Heiterkeit beibehalten haben. Weit gefehlt! Der unvergeßliche Jellinek hat es in seiner unvergleichlichen drastischen Darstellungsweise schon gegeißelt, daß es am Peßach — nicht Ostern — in manchem Hause mehr Ostereier, als Mazzoß giebt, was um so auffälliger ist, als doch viele Christen letztere mit Vorliebe essen, ohne Furcht vor etwaigen blutigen Zuthaten. Ich kenne katholische Geistliche, für welche Mazzoß in Caffee „gebrockt" die höchste Delicatesse ist, und weiß von einem, germanisch-christlichen Mädchen, welches wenige Stundend vor seinem Tode einen Heißhunger nach Mazzoß bekam. lieber den Geschmack läßt sich ja nicht streiten; es ist aber beklagenswertst, daß es Glaubensgenossen giebt, welche „zur Erinnerung" ihrer Kinder willen einige Pfunde Mazzoß bestellen, sogar den Seder geben, bei demselben aber nach dem Abendbrot Butterbrot mit Käse sich munden lassen, — oder nur eine Mazzoh zur gefl. Ansicht an die Thüre nageln. So schneidert sich jeder Jude seinen Schulchan Aruch zusammen, und zieht dabei sein falsches Schamgefühl, als Jude angesehen und erkannt zu werden, und seine Enthaltsamkeit zur Unzeit zu Rathe.
Und wie man am Peßach sich schämt, oder es für unzeitgemäß hält, sein Judenthum öffentlich zu bekennen, so geschieht es auch gleich hernach in den On:er-Tagen. Sie freuen sich nicht, und sehnen sich nicht nach dem lieblichen Fest, sie zählen nicht die Tage bis zu seiner Ankunft, sie haben dazu keine Zeit, sie müssen zu den — Mai-Andachten in die Kirchen gehen, wo an geschmückten Altären bekannte Wanderredner der saftigen Kapuzinaden der Fastenzeit — die sie auch durch ihre Anwesenheit beehrten — ablösen. Es muß für sie ein seltenes Wohlgefühl sein, sich als Männer, Frauen, Väter, Mütter re. mit den: Epitheton „christlich" anreden zu hören. Wenn sie ein besseres Schamgefühl und ein feineres Gehör hätten, würden sie das Murren der dahingehörigen Nebenmänner vernehmen, daß der Jude ihnen auch da den Platz wegnimmt.
Ohne jegliche Vorbereitung kommt dann das Wochen- fest an sie, das beim Gottesdienste und im Hause, außer der Festfreudigkeit keine äußere Ansprüche an sie stellt; — das Festessen lassen sie sich gern gefallen.
Wenn die Badesaison und die hohen Bußfeste, wie oben beschrieben, an ihnen vorübergezogen, naht endlich das Fest, welches früher mit hoher Freude, jetzt leider von Vielen mit Langeweile und Ueberdruß wegen der aufeinander folgenden vielen Feiertage begangen wird. Sie sind zu zählen, die Glaubensbrüder, welche mit ihren Feststräußen zur Synagoge eilen, oder sie sich doch wenigstens hinbringen lassen, weil sie sich „schämen", den Lulaw über die Straße zu tragen, mit welchen: sie dem Spender alles Segens Dank bringen sollen. Schreiber dieser Zeilen ermangelt des Ruhmes, zur hohen Orthodoxie zu zählen, er hat sich aber mit verbissenen: Grimm dieses Schamgefühls — geschämt, wenn er mit Neid sah, wie die katholischen Mitbürger am Palmsonntag — offenbar eine falsche Verquickung des Palmfestes mit Peßach, in der christlichen Legende — ihre geweihten Palmzweige aus der Kirche heimtrugen, und sich weder vor Protestanten, noch vor Juden schämten. Letztere allein schämen
sich in der Oeffentlichkeit de- reinen, vorbildlichen,, jüdischen Cultus, denn lote der Lulaw für den Palmsonntag, so war zweifellos die Mazzoh für Einsetzung deS Abendmahls, Chanukah für Weihnachten u. s. w. vorbildlich. Der Abdruck ist geblirbr^ jutb wird hoch gehalten, des Originals schämt man sich. ' " '
Daß.die Zeit unwiederbringlich dahin ist, in der man in der Fest Hütte sich der wahren religiösen Erinnerung und Dankbarkeit hingab, braucht nach all dem Borgebrachten nicht .mehr betont zu werden. Und doch ist die Errichtung einer solchen Sukkah heute nicht schwerer als früher. Im Gegentheil! Es giebt jetzt mehr Juden als früher, welche in ihren Gärten Lauben errichten, die letchterweise zweckdienlich hergerichtet werden können, und dennoch unterbleibt es aus — Schamgefühl!! Schamgefühl vor Menschen, die der echten Religiöfität mehr Hochachtung zollen, als dem christianisirenden Gebühren, das die intelligenten Christen, wie beim Weihnachtsbaum, als eine Nachäffung und daher Verletzung ihres religiösen Gefühles ansehen! Ihrer Thorheiten und mancher wenig beneidenswertsten Angewohnheiten schämen sie sich nicht, und befinden sich, ohne es zu bedenken, jenseits von gut und böse, ebensoweit vom Christenthum wie vom wahren Judenthum, in dessen Mitte ein Gelehrter —- Akabia ben Mahallel — einst sagte, was die Juden der heutigen Zeit sich hinter die Ohren schreiben sollten: „Ich will lieber im ganzen Leben von den Menschen ein Narr geheißen werden, als eine Stunde ein Frevler vor Gott sein!" Singer-Coblenz.
(friilfiinngsfrifr brr israelitische« Kaas- lla1t«nsssch«le in Hamborg.
Was characterisirt unsere heutigen jüdischen Wohl- thättgkeitsanstalten? Es ist der Zug echten umfassenden Wohlwollens, der dafür sorgt, daß bis. in die kleinsten Details hinein den Insassen Ersatz geschaffen wird für das ihnen verloren gegangene jüdische Familienleben. Als ich vor mehreren Jahren Gelegenheit hatte, in Gemeinschaft von Freunden die Erziehungsanstalt Ahlem' bei Hannover zu besuchen und ihre großartigen Einrichtungen mit Staunen zu bewundern, fragte mich auf der Heimreise ein Freund um mein Urtheil über diese Anstalt, das ich in die Worte zusammenfaßte: Zugleich mit der großen Freude über die überaus wohlthätige und segens reiche Wirksamkeit und vorzügliche Einrichtung der Anstalt beschlich mich das. bedrückende Gefühl, daß es heute leider tausende jüdische Familien giebt, deren wirthschaft- liche Lage ihnen nicht gestattet, ihren Angehörigen eine solche Erziehung und Ernährung zu geben, wie sie in dieser Wohlthätigkeitsanstalt, wie auch in fast allen anderen geboten wird. Daß letztere Thatsache von weiteren Kreisen erkannt und die Hebung der socialen Lage unserer Glaubensgenossen ins Auge gefaßt wurde, beweist die am Sonntag vollzogene Einweihung der israelitischen Haushaltungsschule. Wem es vergönnt war, beim Betreten der traulichen Räume von den Gesichtern der 14 jungen Mädchen, welche als Zöglinge ausgenommen wurden, die Freude darüber abzulesen, fern von dem Getriebe desAlltaglebens und den täglichen Sorgen des Haushalts entrückt, eine Stätte gefunden zu haben, wo sie ausgebildet werden sollen, um dereinst selbstständig einen Haushalt begründen und führen zu können, wo sie lernen sollen, den unausbleiblichen Sorgen des kleinen Haushalts zu begegnen und sie nötigenfalls zu ertragen, wo sie vor allen Dingen dazu erzogen werden sollen, das dem Judenthum eigenthümliche echte Familienleben zu pflegen und hochzuhalten, der wird durchdrungen sein von innigem Danke für das Curatorium, das eine solche Anstalt ins Leben gerufen, zum Segen unserer Mitmenschen und zur Ehre des ganzen Judenthums.
Im Namen des Curatoriums begrüßte Herr Gustav Tuch die zahlreich erschienenen Damen und Herren, Eltern der aufgenommenen Zöglinge, Delegirte befreundeter Vereine und Förderer des Unternehmens mit etwa folgender Ansprache.
Meine verehrten Anwesenden! Ihnen, die Sie gekommen sind, die Eröffnung der Haushaltungsschule mit uns zu begehen und denen wir für ihre gütige Theilnahme an dem Unternehmen recht herzlich danken, brauche ich wohl kaum eine eingehende Darstellung von dem sittlichen und wirthschaftlichen Werth zu unterbreiten, die die Haushaltungsschulen, wie wir sie an verschiedenen Orten erstehen sehen, und die insbesondere israelitische Haushaltungsschulen besitzen.
Indem :ch die Ehre habe, Sie Namens des Curatoriums zu begrüßen, wird es mir also obliegen. Einiges aus der Vor- geschichte unseres bis zu dem heutigen Erfolge herangereiften Unternehmens mitzutheilen; es wird mir eine Genugthuung sein, die besonderen Umstände zu berichten, die Gönner zu be- zeichnen, mit deren Hülfe die ernst und eifrig befürwortete Idee rasch in die Praxis hinübergeführt wurde. Daran wird
sich die Scizzirung der gegenwärtigen Sachlage schließen. Aus dem, was w:r heute beginnen, soll sich später, so hoffen wir, ein weiterer, planvoller Ausbau entwickeln.
Das Familienleben galt zu allen Zeiten und allerorten als hellstrahlende jüdffche Tugeno. Die Absicht nun, den zer- störenden Einfluß, den die Lebensbedingungen der heutigen Zeit auf die Grundlagen des innigen Zusammenschlusses in der Familie ausüben, durch ausre:chende Vorbildung ihrer weiblichen Glieder zu hemmen, hat vor mehreren Jahren die 2. Abtheilung des Israel, humanst. Frauen-Vereins hierorts bekundet.
f nsbesondere die Vorsteherin dieser Abtheilung, unser Fräulein ippmann, hat durch eingehende Beschäftigung mit den in