Umfang dieser iVr, 24 Seiten

Beilagen: Jüdische Literatur Der jüdische Sport / Umschichtung und

Auswanderung / Jüdische Bibliothek

Israelitisches

36. Jahrgang

Do« t*raelitische Familianblollrsdtalnt jeden Donnerstag In 4 Ausgaben i A. für Gral' Beiin. 8, für Frankfurt a M und L<ngeyend. C: für Gro </ Iu.r.b ji g |t tun.Lurgei Fjm,l.enb : ott|, D; für das übrige Reichsgebiet. Postbezug im Inland KM I 04 m.onatl. emsrtil. 10 Pf. /eitunysgebühr, zuzügl. 6 H Bestellgeld, Im Ausland - soweit postul. zugei. RM.3 - pro Quartal.-Streif­band bezug. RM l.X!monatl. Einzelnummer 25Pf,, frei Haus 36 W. Anzeigenpteise It.Tarif /Anzeigenschluß; für Geschäftsanzei­gen Mont jy 10 Uhr, für alle übrigen Anz-igeri Dienstag 10 Uhr

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Ausgabe D / Nummer 12

Donnerstag, den 22. März 1934

Einzelnummer 25 Pfg.

Vor den Toren des Lebens

Die Sorge um unsere Schulentlassenen

In dieser Woche fanden überall im Reiche die Schul- enttassungsfeiern statt. Die Jugend sieht die Tore der Lehr­anstalten, in deren Mauern sie lange Jahre festgehalten war, offen und schickt sich an, sich tatenfroh hinein in das Getriebe zu stürzen, das eigentliche Leben, das man ihr bis jetzt verschlossen hielt. Zukunftspläne sind schon lange geschmiedet; man braucht sich nur noch an die Stelle zu wenden, die für den gewählten Beruf zuständig ist, also die Lehrfirma, die Hochschule usw., und alles ist in schönster Ordnung...

Ist es so? Vielleicht war es früher einmal derart, daß Eltern und Kinder sich ohne weiteres und leicht da­rüber verständigen konnten, was aus dem Jungen oder Mädchen werden solle, die Entscheidung also beim Fami­lienrate lag. Heute ist es nicht mehr so einfach' Heute steht die jüdische Jugen^ vor Schwierigkeiten, wie wohl keine ihrer Vorgängerinnen je zuvor.

Während dieses letzten ganzen Jahres-haben sich die besten Kräfte der deutschen Judenheit damit beschäftigt, das Problem der Berufswahl der jüdischen Jua^. zu lösen. Das Schlagwort unserer Tage:Berufsuuftchich- tung" wurde zwar schon vor langen Jahren in die jüdische Jugend geworfen; damals vergaß man von anderem ganz abgesehen aber nur allzu häufig, daß die Um- geschichteten nur zu leicht ihre neu gewählten Berufe wiederum überfüllten und somit diejenigen,die mit oder nach ihnen kamen, in die gleiche prekäre Berufslage bringen mußten. Was fehlte, war ein S y st e nt. Die Ereignisse des letzten Jahres haben uns gezwungen, uns viel syste­matischer und mit ganz anderem Ernst als früher den Berufssorgen unserer Jugend, dieser Grundlage unserer Zukunft, zu widmen, und von der Reichsvertretung und ihren Organen bis zur kleinsten jüdischen Gemeinde und Organisation bemüht man sich denn auch darum, den Jugendlichen den rechten Weg ins Leben zu weisen.

Heute ist der Tag nun da, an dem es sich zeigen soll, ob jeder von den nun Schulentlassenen weiß, welcher Aus­bildung er sich widmen muß, damit er seinen Platz im Leben einst richtig auszufüllen vermag und sein Brot fin­det. Heute wird sich zeigen, ob all unsere Instanzen und Organisationen auf diesem Gebiet richtig gearbeitet haben. Ist im Augenblick noch kein Ueberblick darüber zu gewinnen, wie weit die Sorge um das beruf­liche Weilerkommen unserer Jugend überhaupt behoben werden kann, so zeigen doch schon Nachrichten aus einzelnen größeren Städten, daß trotz all der Bemühungen um Sied­lung und handwerkliche Ausbildung usw. die drängenden. Fragen befriedigenden Lösungen bisher nicht zugeführt werden konnten.

Ueberall bleibt die Tatsache bestehen, daß für nahezu die Hälfte der jetzt «-gehenden Schüler und Schüle­rinnen Lehrplätze in handwerklichen und landwirt­schaftlichen Betrieben ebensowenig wie die Möglich­keit zur Ausbildung in einem der freien Berufe geschaffen werden konnten.

Man darf den Erziehungsberechtigten und -verpflichteten darum heute keinen Vorwurf machen, wenn es ihnen nicht gelingt, aus eigener Kraft und Initiative die. ihnen anvertrauten Jugendlichen unterzubringen; heute sind sie mehr denn je auf die Hilfe der jüdischen Ge-, s a m t h e i t angewiesen, die sich für uns in den jüdischen Gemeinden, derReichsvertretüng der deutschen Zuden", als oberste Spitze und imZentralaüsschuß für Hilfe und ' Aufbau" repräsentiert. ...

Es ist dazu gerade kein sonderlich starkes Geschlecht, das heute ins Leben hinaus tritt. Vergessen wir nicht: es sind die Kinder, deren Jugend durch die schlimmen Zeiten der Inflation verdüstert wurde, in denen es oft genüg an genügender Ernährung mangelte. Um so mehr muß man auf sie Rücksicht nehmen und ihnen ihren Weg ins Leben zu erleichtern suchen. So hat man vielfach die Einrichtung einer sogenannten Berufsvorlehre

geschaffen, ein sozusagen zusätzliches Schuljahr, in dem der Jugendliche zwar noch nicht eigentlich auf einen Beruf vorbereitet wird, wohl aber Gelegenheit hat, die Voraussetzungen für viele Berufe tennenzulernen und. in dem er festzustellen suchen soll, für welchen Beruf er am geeignetsten ist. Es wäre nur zu wünschen, wenn diese Berufsvorlehre in allen größeren Gemeinden ein­geführt und wenn auch den schulentlassenen Kindern aus den Kleingemeinden Gelegenheit gegeben werden würde, in zentral gelegenen Orten dort ebenfalls die Wohltaten einer solchen Einrichtung zu genießen.

Bedeutet das an sich zwar nichts als ein Hinausschieben der Entscheidung, so sehen wir darin doch weiter kein Un­glück, weil wir glauben, daß es in der heutigen Situation vorteilhafter ist, eine solche lebenswichtige Frage, wie sie die Berufswahl unserer schulentlassenen Jugend ist, nicht übers Knie zu brechen. Roch befinden wir uns in der Zeit des Aufbaus des neuen deutschen Staatswesens und wissen nicht, welcher Lebensraum uns hierbei gewährt wer­de, wird. Es wäre deshalb falsch, mit aller Gewalt darauf t,** dringen, die gesa m t o jüdische Jugend nun einseitig' durchweg handwerklichen oder landwirtschaftlichen Berufen zuzuführen, mit anderen Worten: von einem ins andere Extrem zu fallen. Ganz offen wird heute ja auch schon von vielen jüdischen Handwerksmeistern davor gewarnt, daß man die frühere Praxis, die Kinder in die kaufmännische Lehre zu geben oder auf die Universität zu schicken, nun etwa einfach umkehre. Während man früher nur den Jungen zu einem Handwerker in die Lehre tat, von dem man kein genügendes Vorwärtskommen in einem anderen, besseren" Berufe"erwartete, will man in manchen jüdischen Kreisen heute schon fast jeden zum Handwerker machen, auch wenn seine Fähigkeiten auf ganz andere Berufe Hin­weisen. Vielleicht ist man z u ängstlich geworden, was ja in der Zeit des Uebergangs, in der wir uns befinden, an sich verständlich genug ist. Von manchen Stellen wird sogar

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Auch Nichtarier

sind »Führer ihres Betriebes«

Die am 12, März über die Bildung der Venranen- räte ergangene amtliche Mitteilung, wonach auch nicht­arische Unternehmer Führer des Betriebs sein können, hat der Treuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Bayern mit einer Erklärung bekräftigt. Darin heißt es:

Die Gauleitung der RSBO. der Deutschen Arbeits­front in Mittelfranken hat vor einigen Tagen in der Presse bekanntgegeben, daß im Bereich des Gaues Mittelfranken Juden als Betriebführer nicht in Frage kommen, und daß deshalb jüdische Geschäftsführer einen arischen Vertreter zu benennen haben. Diese Bekanntmachung und Anord­nung entbehrt der gesetzlichen Grundlage, weil das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit keine Bestimmung enthält, auf die sie gestützt werden könnte."

Seilen Juden den deutschen Gruß an wenden?

In jüdischen Kreisen Herrscht vielfach Unklarheit dar­über, ob auch Inden den deutschen Gruß anzuwenden haben. Dies gab uns schon vor Monaten Veranlassung, uns. an ministerielle Stellen wegen einer maßgebenden Auskunft zu wenden. Da diese leider ausblieb und uns auch bis heute noch nicht zuteil wurde, brachten wir in unserer Nr. 49 vom 7. Dezember 1938 eine Darlegung unsres Standpunktes zu dieser Frage. Obgleich also eine .offizielle Verlautbarung darüber v bis. jet^t noch nicht, getroffen worden ist, haben verschiedene Aenße- rungen natiönalsozialistischer Führer doch erkennen lassen, daß' Don Inden der d e utsche K r u ß nicht ver­langt werden soll. So hat sich auch vor kurzem wieder, (dem -Völkischen Beobachter" zufolge) der Treu­händer der Arbeit für Berlin Engel, über diese Frage wie folgt geäußert:

Man kann einem Nationalsozialisten nicht zumuten, mit anzuhören, wie irgendein Jude kommt und unse­ren KampfgrußHeil" oderHeil Hitler" anwendet. Das läßt sich mit dem nationalsozialistischen Gewissen nicht vereinbaren. Für uns Deutsche unter uns gilt jedenfalls, daß wir uns des deutschen Grußes bedienen."

bereits darüber geklagt, daß es wohl kaufmännische Lehr­stellen für jüdische Jugendliche, aber keine Bewerber für solche Stellen gibt, während andererseits handwerkliche Lehrstellen außerordentlich gesucht sind, ohne daß eine ent­sprechende Vakanzenzahl dem gegenübersteht. Soweit die jüdische Jugend in Siedlungen, Arbeitslagern usw. aus­gebildet werden kann, mag für sie besser gesorgt fein; aber es ist doch nur ein sehr kleiner Teil, der in diesen Einrichtungen Aufnahme finden kann.

Deshalb ist es Pflicht, in erster Linie die des jüdischen

Arbeitgebers, bis an die Grenze der Möglichkeit und

des Erlaubte» jüdischen Menschen Ausbildungsplätze

zu schaffen,

und soweit es sich übersehen läßt, haben die jüdischen Arbeitgeber ihre Pflicht in dieser Beziehung zumeist auch erfüllt.

Trotzdem fehlt immer noch für einen großen Teil der Arbeitsplatz. 7e-'nal für mehr Menschen als je; denn in diese."' ftun erstenmal der Fall ein, daß auch

alle die, die sich in anderer Situation einem akademischen Berufe gewidmet hätten, zu denen treten, die auch sonst den Zugang zur kaufmännischen, handwerklichen oder land­wirtschaftlichen Tätigkeit gesucht hätten. Dazu kommen die­jenigen, die die Schulen sonst vielleicht länger besucht hätten, heute aber bei der Aussichtslosigkeit akademischer Berufe den Schulbesuch früher abbrechen und so die Zahl der Ausbildungsuchenden vermehren. Dabei bleibe nicht unerwähnt, daß auch für weite Nicht jüdische Kreise des deutschen Volkes die gleichen Fragen noch ihrer Lösung harren, denn das Gesetz gegen die Ueberfüllung der Hoch­schulen und die neuen Bestimmungen über die Erteilung der Hochschulreife bedeuten für zehntausende auch aus den Reihen der deutschen nichtjüdischen Jugend das Ende des Akademikertraumes. Teilt unsere Jugend hier, soweit sie diesen Traum geträumt haben mag, das Schicksal ihrer nichtjüdischen Altersgenossen, so trennt sie von diesen doch eines: der, wenn manchmal auch nicht einmal materiell notwendige, so doch psychologisch verständliche Drang z u r A u s w a n d e r u n g , der weite Kreise des jüdischen Nachwuchses erfaßt hat. Wer über dessen Zukunft verant­wortlich denkt, spricht oder schreibt, darf diesen Faktor keineswegs übersehen. Zehntausende sind es ja, die sich darauf einstellen zu müssen glaubten und glauben, sich ihr Leben fern von der Heimat und den vertrauten, lieb­gewordenen Verhältnissen,. in denen sie aufwuchsen, zu zimmern sei es in Palästina, für das derHechaluz" feine 17 000 organisierten Anhänger beruflich vorbereitet, fei es in all den anderen Ländern, auf die sich die Blicke sicher nicht weniger zahlreicher junger jüdischer Menschen heute richten.

Es ist eine ernste Stunde, ernster denn je, welche die Schulentlassung für die Zukunft des Judentums, auf deut­schem Boden heute darstellt. Wir alle müssen Zusammen­arbeiten. um die bestehenden Schwierigkeiten doch noch zu überwinden, um unsere Jugend aus den Platz im Berufs­leben zu geleiten, den sie einst auszüfüllen hat. Unser Geschlecht ist verantwortlich dafür, daß die anfwachsende Generation nicht hinabgleitet in Verzweiflung, daß sie wenn auch nickt materiell, so doch ideell hin a n steigt, und daß auch bei. uns deutschen Juden im ewigen Fortschritt der Menschheit kein Stillstand eintritt. Wir sind gewiß, daß die jüdische Jugend von heute, heran­gewachsen in einer harten Lebensschule, dem deutschen Judentum keine Unehre machen, daß sie Haltung und Würde bewahren wird und die innere Festigkeit besitzt, sich durch äußere Schwierigkeiten nicht bezwingen zu lassen und daß in ihr das Bewußtsein von der Bedeutung dieser Tage wach ist. Wir haben zur jüdischen Jugend Deutsch­lands das Vertrauen, daß sie in harter Arbeit den schweren Existenzkampf, der ihr bevorsteht, durchhalten, daß sie uns Ehre machen wird. Wir alle wölben ihr in d i e s e m K a m p f e b e i st e h e n.