Nr. 39. Seite 2.
Israelitisches Fnmilienblatr
26. Sente.iiber 1916.
kw es fuf) um ibif letzt? Entscheidung ha««>delt? Die fünfte Kri e g sant e i h e ist eine Prüfung, ist die Probe dt«oauf, ob Dsutschland «groß genarg gaivorden, alles zu opfern, alles für das geliebte Vaterla««ld hiw HUAeben. „Wenn ihr sie besteht, denn «verbot -ihr bestehen."
Tranen w i r u n se r e in Gotte! Ueberall, wo sich Weltenfchicksale entscheiden, spricht Gott. In seiner Hand ruht oller Erdenvölkor Los. Wir haben «unsere Blutspflicht bisher «getreu geleistet. Er wird die heiligen Opfer sicher segnen. Was Gott 'für unä» «und in uns in «den letzten beiden Jahren getan hat, „es ist ein Wunder in unseren Augen," es ist nicht rne»schlich zu erklären. Darum muß das Vertrauen zu Gott in uns stark sein, wie einst in dem Sänger der Bibel: „Jiu Schatten Deiner Fittiche will ich hoffen, bis der Kampf vorüber ist" «(Psalm 57,2). Das Riesenrätsel dieses Krieges lösen wir nicht mit den Alltagsgleichungen und -Formeln. Ein Denker des Mitleialteps hat die Weltgeschichte ein Teppichgewebe genannt. Ich glaube: Wir schauen jetzt nur die Rnck'seite, das scheinbar sinnlose Fadengewirr «des Gewebes. Die strahlende Vorderseite wird uns erst das Licht der Zukunft zeigen.
Wir sind mit 'Schulkinder in Gottes großem Lesebuch, dem Buche des Weltgeschehens. Wir 'buchstabiere«« in ihm; im besten Falle entziffern wir einzelne Worte; «das Satzgefüge aber bleibt uns unverstanden, bis Gott es abgeschlossen hat. Gott mißt eben anders als Menschen messen, weil er die Ewigkeit zrrm Augenmaße hat. Gottes Wagschalen wägen anders als die unserigen, die nur so viel fassen, als wir fassen können.
Aber wir wisse)«: Gott steht am Ruder, er führt das Schiff. „Gott steuert den Kriegen" (Psalm 46, 10). Der Steuern!an«« zwingt die Woge««, daß sie ihm dienen. So n«acht es Gott mit den Kriegen. Auch sie si««d ein «Werkzeug sei««es Wille««s, seines Walte««s. Dar««««« trauet auf Gott! Faßt ««eues Gottvertranen zu ihm in diesen heiligen Tage««! Er stellt feine Getreuen auf die ernste Probe: „Wenn ihr sie besteht, so werdet ihr bestehen."
Am Neujahrsfeste wird in unseren Gotteshäusern die erschütternde Erzählung verlese««, «vie Gott dem Abraham das höchste, das schwerste Opfer auferlegt hat. Und Abraham fügt sich wortlos dem Willen |e«ne§ Gottes, er klügelt nicht «ind grübelt ««icht: er ist der Heros des wortlosen Gottoertrouens. Gott aber segnet den Abraham für sei««en Opferwillen (1. Buch Mose 22, 18).
An Abraham, unserem Sta«nn«vater, sollen wir uns am Neusahrssest ausrichte««, da die tansendmal tau send bangen, bee««genden Rätsel der Zukunft antwortheischend vor uns treten. Er hat uns das wundervolle und wnnderwirkende Vertrauen gelehrt, das wir «nehr als alles andere in den Tagen des kommenden Jahres nötig habe«« werden. Ist Abrahams Geist in uns lebendig, dann ist u««ser Herz stark, unser Wille fest, unsere Seele groß. „Durch stilles Vertraue«! beweist ihr eure Treue, erweist ihr eure Kraft" (Jesaja 30, 15). Das «ft die Mahnung und das Gelöbnis am dritten Neujahrsfest im Kriege.
hLeresstelsorge im Inland.
«Von Hern« Rabbiner Dr. Ja c o b - Dortmund, dem Vorsitzenden des R h e i n i s ch e u Rabbiner- verbandes geht uns solgerlde Zuschrift mit der Brite um Grösse nt lichnng zu:
Die in «der letzten Ninnmer u«itgeteilte Darstellung des Verbandes der Deutschen Juden und die daran airknüpfe««den Bemerkungen enthalten eine Reihe von unrichtigen Angaben, welche geeignet erscheinen, die öffentliche Me«nu««g irrezusühreu. Es sei daher den« Unterzeichneten Vorsitzenden des Rheinischen R ab b in erverba nd e s solge««de Richtigstellung gestattet.
1. Es ist nicht wahr, «daß ich mich persönlich in einer Ei««gabe «an das Kriegsministerium gewandt habe. Vielmehr tvar es eine Eingabe des Rhein i- schen «Rabbinerverbandes, u«rd ich habe sie lediglich als dessen Beauftragter unterzeiche««t.
2. U««sere Eingabe war die Folge eines in unserer vorletzte«« Sitzu««g vom 3 0. J«annar gefaßten Beschlusses, die Militärseelsorge im Bereich des VII. Arn«eekorps zu regeln. Da der Erlaß des Kriegsmii«ister>inn«s vom 5. Februar «datiert «ist, konnte er sich natürlich garnicht gegen diesen richten. Hieraus ergibt sich auch die vollständige Unrichtigkeit der A««ga>be, daß sich der Rheinische Rabbinerrerband in Konsequenz «der am 3 0. Juli, der letzten Versammlung, gefaßte«« Beschlüsse an die Behörden ge- wandt habe, und „daß es in« Verlaus der Verhaird- lungen n«it de«« Behörde«« zu Differenzen mit dem Verband der Deutschen Jude«« gekornmei« ist".
3. Unser Antrag beschränkte sich lediglich «aus die Provinzen Rheinland und Westfalen, bezw. auf den Bezirk des VII. Armeekorps. Jnd«em wir uns bereit erklärt hatten, die Militärseelsorge in diesern Bereich ausz««üben, «rieseu wir «die Zivischeileinschiebung des Verbandes der Synagogengen«ei««den in Westfalen als unnötig und u««zuträglich «ab, da er, wie alle ähn- llchrn weirtichen „Verbände" «vv«l uns nicht als die für geistliche und seelsorgerische A««gelegenheiten berufene und geeignete Vertretung «n««d Instanz oner- kam«t werden könne, dahingegen «eilter Vereinig«mg der «Rabbi««er diese Eignung nicht'wohl werde abzusprechen sein, wie «vir «denn «auch seit Beginn des Krieges «bei allen uns aus ihm erwachsene«« «Ausgaben in unseren Amtsbezirke«« (zürn «Beispiel bei den üb: nis schwierigen rit««ellen Ernährungsfrogen) der M Wirkung jenerBerbände durchaus haben entrate können.
4. Das Vevdienst, die «Zurückziehung «des Erlasses bewirkt z«« haben, muß der Rheinische R«abbinevver- band bescheiden oblehnen.» Es gebührt vielmehr unmittelbar ganz allen« dem Verbände der Deutschen Juden. Der Erlaß «var, wie das Kriegsministerium nunmehr bemerkt, von der von dem Vevbande nicht berichtigten Annahme ausgegange««, «daß der Verband der Deutschen Inden «berechtigt sei, für eine einheitliche Regelung der Seelsorge an den jüdische«« Heeresairgehörigen Anordnu«rg zu treffen. „Diese An- «rahme war unzutreffend, wie die dortigen Ausführungen vom 26. 6. 1916 ergeben." Leider gibt der Verband keine Erklärung, «vas für Ausführungen damit gemeint sind. Es sind die Au s f ühr un- gen eben des Verbandes der Deutschen Inden selber. In einer Erwiderung aus die Eingabe des Rheinischen Robbiuerverbaudes wollte er nämlich, nrit Berufung aus das Gesetz vo«r 1847, Nachweisen, daß die «Vertreter der Gemeinden nicht
die Rabbiner, sondern die Vorsteher der Synagogeu- gemeiuden seien. Hierauf ber««st sich «das Kriegsmini- sterinn«, illdem es erklärt: Nach diesen AnsführlUlgen und dieser Berufung ans das Gesetz von 1847 hat ja auch der Verband der Deutschen Juden keine Berechtigung. Unsere Annahme war also unzutreffend, und unser Erlaß ist zurückzunehmen.
5. IN Wirklichkeit gibt es nur zwei gesetzliche Organe zur Wahrnehmung jüdischer Interessen: a) «der Vorstand «der einzelnen Synagoger«geurei««de««. Er ist der gesetzliche Vertreter der Gemeinde gegenüber «den Vorgesetzten Dienstbehörden. Aber auch nur seiner Gemeinde; schon die J««lden des nächsten Ortes gehen ihn garnichts an. 6) In allen Angelegenheiten der Volkssch«ule ist ««ach «den« Schulunterhaltungsgesetz vor« 1916 der Vertreter der jiddischen Interessen der dienstälteste Rabbiner. Die Gemeinde und ihre «dnrch das Gesetz von 1847 für die damaligen Veühältnisse geschassene Vertretung ist dazu nicht bestimmt «vorder«, und hat damit nichts zu schassen, obgleich sämtliche betrefse««ben Kinder ortsansässig si««d und „zur Gemeinde gehören".
6. Die Militärseelsorge, insbesondere die irr den Lazaretten und an den Kriegsgefangenen, hat «nit den Ge m ei n d er« gleichfalls nichts zu tun, denn die von ihr Erfaßten gehören ««icht den Gemeinden an, in deren Bezirk zufällig die Lazarette und Gefongen- lager liegen. Es handelt sich dabei sogar um gegenwärtig «heimatlose, seindliche Ausländer. Es «i'st ge- «viß nicht mehr als billig, daß sich die Rabbiner für dieser« mühevollen u««d u««entgeltlich geübten Dienst nicht, unter dem Vortvande „einer einheitlichen Regelung", oder „Gleichstellurrg der jüdischen Heeresseelsorge nrit «der christlichen" und «derg'leichen in sogenannten Verbänden unter «reue, sie bureaukratisch regierende Vorgesetzte stellen, ja, ihre Ernennung nr«d Zulasfmrg von den« «nehr oder mir«der wohlwollenden Vorschlag oder Gutachten dieser Verbände abhängig machen lassen wollen.
Die Bcsürchtmrg, «daß durch die Zurückziehung des Erlasses, die, «vie gepagr, uer runl>nu uct *yxiu]uj^it Inden ettvirkt hat, die Sache «rgendrvie leide, ist «durchaus urrzutrefsend. Kern kranker Soldat, kein K r i e «g s g e s a n g e n e r «v i r d darum s e e l s o r g e r i s ch w e n i 'g e r erfaßt werden, denn der «Berban«d der Deutschen «Ju«de«r und seine Leitung hat ja diese Seelsorge «richt ausgeübt, u««d darauf allein kommt es an.
Rabbiner Dr. Jacob- Dortmund, Vorsitzender «des Rheiuischen Rabbinerverbandes.
Ferner wird uns zu diesem Gegenstände von einer der „Freien Verein!>gung für die Interessen des orthodoxen Judentums" nahestehenden Seite ebenfalls mit der Bitte um Veröffentlichung geschrieben:
Unter der Ueberschrift „Heeresseelsorge im Inland e" übermittelt der „Verband der Deutschen Juden" den jüdischen Zeitnrigen einen Erlaß des preußischen Kriegsministeriums vom 12. August d. Js., durch welchen die Verfügung des gleichen Ministeriums vom 5. Februar, betreffend 'einheitliche Regelung der Seelsorge an Heeresangehörigen, in wesentlichen Teilen zurückgenommen wird. Diese letztere Verfügung hatte dem „Verband der Deutschen Juden" bekanntlich die einheitliche Regelung der Militürseelsorge übertragen und war darum von der „Freien Vereinigung" und anderen gesetzestreuen Korporativnen, da ««eben aber auch vo.n einem großen Teile der deutschen Rabdinate aller Richtungen, beanstandet worden.
Die Darstellung, die der „Verband der Deutschen Juden" von der Angelegenheit gibt, bebars jedoch in «vesentlichen Punkten der Berichtigung und Ergänzung.
llausch-llalchonoh.
Cs flieht die Zeit mit mücht'gen Schwingen Und wieder nabt des lahres wende.
Ich denke der vergang'nen Stunden Und heb' zu dir, mein 0ott, die Hände.
Manch wilder Sturm hat mich umtoset,
Ich sah des Stückes Schale wanken; voch vn Haft gnädig mich beschirmet, vrnm will ich dir in Vemnt danken.
0 gib mir Kraft iu ernstem Ringen Und MM, das Hohe froh zu tragen!
Und roll mein Hoffen dumpf zerschellen
So lehr' mich stille zu entsagen. (/
nur eines will ich heiß erstehen:
Herr, meine Qeben laß nicht leiden,
Spend' ihnen reichen Segens fülle!
Dann will ich freudig mich bescheiden.
roptzi« Jacob,»»».
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Heldgedanken zu Rausch-haschono.
Von Albert Frohmann.
Drallste«« «im Grübe«« a«« der Vrustlvehr stand «der jm«.qe Krie.qsfreirvillige, späht? durch den schmalen Auslug -hinüber nach «dem Feinde, «vie er es nun schon seit Woche«« und Mo««aten tat; olles war ru«hig, «oeder hübe«« ««och drüben'regte sich ein Laut. Und «vie das Dur«kel der hereiirbrechendei« Nacht ihn umsirrg, da senkte sich u«it einen« Male heilige Weihe herab: ver- schrvuuldei« «vor Grober« und Drahtverhau, verschwm«» bei« die lehmige Wand, -an die er sich lehnte, das
Gewehr, «das seine Hai««d mit festen« Griff umschilossen hielt, fühlte er nicht mehr. Wie ous weiter Ferne klang -an sein Ohr der To«i des Schofors, das die Seele in ihre«n Jrrnersten ausrüttelt «tinb über die «rdische GedankEvelt hiuweghebt, ols «vollte sie sich versenken in dos Wesen der Gottheit. So erklang aus der Ferne des Schosars kan-ggezogener Ton. Da fühlte «der einsame Posten, «da ahnte, da «vustte er: i.ajom liaras olom, liajom jaamid bemisclipat...., heute ist der Tag, da ous dem Chaos die Welt erstanden, heute der Tag, ba Gott zu Gericht sitzt über «alle Geschöpfe. U«««d vor seinem Auge schrveben die Bilder der Heii««ot: «dos i«u Glanze «der Lichter erstrahlende Gotteshaus mit all den festlich pestimm-- cken Mäirnern u««d Frauen, mit den in meiste Mäntel, die Sterbekleider, gehiillteu Gestalterr, die er -als Kind immer so ehrsürchki«g betrachtete, oll «die Gebete, die uralten, die «Gesölige nrit ihren i>hm so vertrarrten Weisen; sie klinget« i«« ihn« «vieder; er sieht, wie sie aus «der heiligen Lode die Thorarollen hebe««, «viie dar««« mit erhobener Stimme -der Chason fein-e Vor- lesun«g aus der heiligen Lchre beginnt. Bo«« Isaaks Gob««rt u««-d der Vertreibung Ha-gars erzählt der Ab- sch««itt. Und «vivderun« erlebt er im Geiste die Geschichte Hagors mit, ««vi'.e Hagnr sich in der Wüste, «vo olle Mei«schei«hilfe fern, verirrt, «vie der K««obe nach Wasser lechzt, «vie die Verziveislung an «das Herz «der Mutter rührt, die ihr Kind dem Tode preisgegebei«« sieht, n««d wie da«««« h« höchster Not aus hi«mnlischen Höhen eii« Engel Gottes ihr zürnst: „k\ tiri; ki Rclioma eloliim es kol Iiamuir. — Fürchte dich ««icht; den«« erhört hot der Eitrige die Strnrme des K>«obei«." Da hallt plötzlich ein Schn st durch die Stille «der Nacht, ans seinem Si««««ei« schreckt «dev Träumer ous. Nähern sich «da ««icht schon Gestalten, bereit, sich «aus ihi« zu stürze««? Merken es denn die
andern neben ihm nicht, «vie immer mehr aus .dem Graben drüben Hervorkommen? Soll er denn -ganz allein den eigenen Gra-ben gegen die Uebermacht verteidigen? „AI tiro, fürchte dich nicht," ist es nicht Gottes Engel, der ihm also zuiust? Nein — Trug ist das Bild, noch regt sich drüben nichts. Doch ist der gefallene Schuß vielleicht «der Vorbote eines sei««d- lichen Sturmes. Er mag kommen. Der jugendliche Kämpfer sieht ihm ruhig entgegen, er ist gefestigt in sich -selbst, -gefestigt in -dem Bew«lsttsei«i, dost Gottes E««gel ihr« beschützen ««««d im Sturme der -Schlacht ihm zuvusen wird: „Fürchte dich nicht; denn eihört Hai «der Einige «die Stimme derer, die heute in heißem Gebete für dich flehen."
Kleines Heuilleton
BBB,
Das „Feld- und Gräbermessen" vor Rausch-Haschonoh.
In viele«« Teile«« Rußlands hat sich bis aus den heutige«« Tag die seltsame Sitte erhalten, das „Feld" (— Friedhof) und die Gräber der Angehörigen vor den hohen Feiertagen zu messen. Getvöhnlich- geschieht dieses „Messen" «an «den Selichot-Togen. Aus «dem Friedhöfe sind «vähreiid -dieser Zeit immer einige ältere Frauen zu finden, die sich ous das Messen ver- steheir und die ««öligen Bau'mwollfäden in Knäueln anfgehviclelt mit sich slihrer«. Diese Fäden wenden später als Dochte «für die Lichter des ikKrsöh««rings- tages oder soi«st dein« „Lernen" m«d Beten be««utzt. S. We i st e ««borg- Elisobethgrad beschreibt das Verfahren folgendermaße««: „Zum Feld messen «verben zive« bis drei Fronen verwe««det; es beginnt am Eingänge des Friedhofes nub geht von rechts ««ach li««'ks. Ei««e von den drei Franc«« nimmt dos