Nr. 13/14 — 30* MÄRZ 1944
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Pessach der Ungewissheit
Das Pessachfest bildet einen tiefen Einschnitt im Rythmus unseres Jahres. In den Friedensjahren, die nun lange hinter uns liegen, War es eine Zeit innerer Bewegtheit, eine Zeit des Frohsinns ud des Wanderns, Frühlingsstimmung lag über der Welt, besonders über -diesem (Lande, wo jüdische Feste weit mehr als irgendwo anders das gesamte Bild des ‘Lebens bestimmen. Heute sind wir so tief in Sorgen verstrickt, dass wir uns fragen, ob wir überhaupt noch imstande sind, Feste zu feiern. Pessach trotz allem!
Der erste -Gedanke, -der uns erfasst, ist der an die Millionen Juden in Europa, die wahrscheinlich nicht einmal die primitivsten Bedingungen zur Begehung des Festes haben, die bei dem Erinnern an die Wüstenwanderung das Bewusstsein haben, selbst ein Geschlecht von Wanderern zu sein, vom Winde verweht und ohne Boden unter den Füssen. Mit ihnen allen fühlen wir an diesem Tage die stärkste Solidarität und Verbundenheit. Vielleicht wird man später einmal erfahren, wie Juden unter diesen Verhältnissen, und gerade unter diesen Verhältnissen, trotz allem Pessadi gefeiert haben nicht in der alten Form und nicht in dem Gefühl der Sicherheit, das noch unsere Väter als selbstverständlich betrachtet haben, sondern in Erregung und Bereitschaft, im Bewusstsein der immer drohenden Gefahr, aber auch in starker Bejahung der Gemeinschaft und des Volksschicksals. Das Leiden weckt ungeahnte Kräfte und das Bewusstsein stellt sich nun auf einen neuen Inhalt. Durch Jahrhunderte haben Juden dieses Fest in banger Ungewissheit verlebt, weil ihr ganzes Leben auf Ungewissheit gegründet war. Wir sind in dieser Zeit nur zurückgekehrt zu dem klassischen Judenschicksai, das mancher in unbedachter Überheblichkeit für überwunden hielt. Mit all den Geschlechtern dieser Vergangenheit empfinden wir unseren Zusammenhang ebenso stark, wie mit den Mitlebenden, die von uns durch Meere und Länder und unübersteigliche -Barrieren getrennt sind und zu denen doch unsere Gefühle und unsere Gedanken hinüberschweifen.
Der Winter vorbei
Festtage der Ungewissheit: auch wir in diesem Lande, -die äusserlich glücklicher leben, als die meisten Juden dieser Halbkugel und die innerlich die Möglichkeit — und damit auch die Pflicht — haben, 'als Volljuden zu leben, wir, die in erhöhtem Masse das Schicksal des ganzen Volkes und seiner Zukunft an unser Leben hier geknüpft glauben, auch wir sind voll der Ungewissheit. Die Welt, ln der wir leben, ist nicht danach angetan, ruhige Beschaulichkeit aufkommen zu lassen. Pessach empfinden. wir als das deutlichste Anzeichen, dass der Winter vorbei ist, und dieses Kommen des Frühlings, das früher die innere Neugeburt des Menschen — und in unseren Pessachgedanken die Befreiung •des jüdischen Volkes — symbolisierte, ist in unseren Tagen das Ende der Pause, die der Winter Kriegs
handlungcn grossen Stils aufer- legt.
Niemand zweifelt, dass wir in allernächster Zeit mit einem Wiede r a -u f f 1 a m m e n der K ä m p- f e zu rechnen haben. Zwar hat dieser Winter nichts weniger Bedeutet als Ruhe; auf der einen Seite brachte er die ungeheuerlichen Vorgänge im Fernen Osten, auf der anderen Seite vollzog sich . der bewundernswerte Verteidigungskampf der Russen, der der deutschen Armee das Überwintern in ihren vorgeschobenen Stellungen ausserordentlich verbitterte. Aber erst der Sommer wird den Versuch möglich -machen, durch neue militärische Aktionen grössten Ausmas- ses zu einer Entscheidung zu kommen. Wir stehen vor einer (von vielen bis heute nicht begriffenen) Wandlung der Welt-Strategie, bei der der Raum nur noch eine unter- eordnete Rolle spielt. Es kann ein Zweifel -bestehen, dass der Hauptstoss der deutschen Offensive gegen Russland gerichtet sein wird, denn ohne Niederzwingung dieses Gegners kann Deutschland sich keiner anderen militärischen oder organisatorischen Aufgabe zuwenden. Wie der Vorstoss aussehen wird, darüber lassen siich nur Vermutungen anstellen; aber abgesehen von der Möglichkeit japanischer Hilfe durch einen Angriff in Ostsibirien, steht im Vordergrund die Möglichkeit einer Durchquerung der Türkei und des Schwarzen Meeres zur Erreichung des Kaukasus und vielleicht auch zur Erreichung der indischen Grenze.
Der Mittlere Osten und wir Die Frage der Türkei steht auf der Tagesordnung und die Klärung kann nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wir -können auch nicht vergessen, dass am 4. April vorigen Jahres Rommels erste Offensive in L y b i e n mit der Rückeroberung von Benghazi -begonnen hat. Der April ist der geeignetste Monat für Aktionen im Mittleren Osten; der Regen ist vorbei, die Hitze hat poch nicht begonnen. Im vorigen Jahre begann gleichzeitig mit der deutschen Offensive in Griechenland und Nordafrika der von den Nazis angezettelte Aufstand Raschid Ali‘s im Irak. Es war ein konzentrischer Vorstoss von 3 Seiten gegen den Mittleren Osten. In gewisser Hinsicht ist heute die Lage weit besser als damals: nicht nur, weil grosse Verstärkungen an Menschen und Material nach dem Mittleren Osten gekommen sind und weil die italienischen Besitzungen in Ostafrika Besetzt wurden und nun den Alliierten als Basis dienen, sondern vor allem, weil die ungeklärte Lage in Syrien und die Umtriebe im I?ak beseitigt wurden und weil durch den Eintritt» R u s s 1 a n d s in den Krieg, so wie durch die Besetzung Persiens eine einheitliche, ununterbrochene Front geschaffen wurde, die im grossen Bogen vom Indischen Ozean bis zum Nördlichen Eismeer reicht. Gerade an unserer Stelle der Front wurde ln den letzten Tagen durch die neu gebaute Eisenbahnstrecke Haifa-Tripoli eine engere innere Verbindung dieses Frontbogens hergestellt. Trotzdem verkennt niemand in diesem Lande, dass ein
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ist ehrwürdige Überlieferung lebendig verbunden mit der Achtung vor aufbauendem Schaffen und vor der Leistung. Tradition und Qualität sind die Grundlagen unserer Produktion im Lande. Tradition und Qualität bestimmten den Erfolg der Dubek-Zigarette. Sie machten das Produkt der ersten jüdischen Fabrik unseres Landes zu der ersten repräsentativen Zigarette unseres Landes.
deutscher Angriff auf die Türkei, der auch vom Süden—den Ägäischen Inseln — ausgehen kann, sowie der Einsatz der heute noch bestehenden deutschen Material-Ubermacht an der Kaukasusfront, zu einer ernsten Bedrohung des Mittleren Ostens und damit auch Palästinas führen kann. Wir durchleben an diesem Pessach Tage der Ungewissheit, aber wir wissen, dass diese Zeit starke innere Bereitschaft und starke Nerven erfordert und wir vermögen Mut und Glauben aus der Pessach-Geschichte zu schöpfen,— jener Erzählung von der Rettung eines geknechteten Volkes, gegen alle äussere Wahrscheinlichkeit,
Wir würden freilich wünschen, dass wir in diesem Lande in stärkerem Masse als bisher, das Gefühl ha
ben dürften, ein aktiver Faktor in dem grossen Ringen zu sein. Wir wünsditen dies seit je, wir fordern es leidenschaftlich in einem Moment, wo der Krieg so nahe gerückt ist und wo sich zeigt, dass es auf Menschen und auf Material an Ort tmd Stelle ankommt, weil die bisher geübte Heranschaffung aus weiten Fernen sehr erschwert ist. Soldaten aus Australien und Neuseeland — Freiwillige! — haben im Mittleren Osten gekämpft und die Mehrheit der Juden Palästinas hat tatenlos zugesehen, — mit Ausnahme der relativ kleinen Anzahl derjenigen, die sich freiwillig zum Dienste gemeldet haben. Man kann wohl mit Bestimmtheit annehmen, dass Australier und und Neuseeländer zunadist nicht mehr ‘kommen werden, Wir haben