Majer Balaban. Das ktzte Dokument dep 1670 vertriebenen Wiener Judengemeinde
das Gericht per Publicandum sämtliche in Göding (oder Mähren?) sich aufhaltenden Wiener Juden aufforderte, ihre Ansprüche an ihn summarisch vorzulegen, damit er sich vor allen gemeinsam rechtfertigen könne . . . Also geschah es, und da sich sehr viele Juden mit verschiedenen Ansprüchen meldeten, kooptierte das Gericht den mährischen Judenmarschall, den Landesrabbiner, einige andere Rabbiner, wie auch einige Wiener Juden, die einstmals der Kontrollkommission der Wiener Gemeinde angehört hatten. Ihnen allen legte Juda Pollak sämtliche Bücher, Rechnungen und Quittungen der aufgelösten Wiener Gemeinde vor, die er zielbewußt oder zufällig mit sich in die Verbannung mitgenommen hatte. Aus ihnen ersah das Gerichtskollegium, daß Pollak nicht nur keine fremden Gelder eingesteckt, sondern aus seiner eigenen Tasche 80 Gulden in duplo für Gemeindezwecke vorgeschossen hatte, die bis nun nicht gedeckt waren, „obwohl manche andere Vorsteher irgend welche Summen bei sich hätten". Das Gericht sprach Pollak frei und ermächtigte ihn, die vorgeschossenen 80 Gulden bei den Vorstehern der einstmaligen Wiener Gemeinde — wo er ihnen begegnen werde — sogar durch Vermittlung eines Staatsgerichts einzukassieren. Die Bücher und Quittungen behielt das Gericht in seinen Akten.
Mit dem Absolutorium in der Hand zog Juda Pollak nach Krakau, wo er sich gegen Neujahr 1671 niederließ. Aber auch hier verbitterten ihm die alten Gerüchte das Leben. Nun ließ er das hebräische Dokument vom Gemeinde- syndicus Isaak Sohn Salomos (Salomonowicz) ins Polnische übertragen und den polnischen Text per oblatam in die Krakauer Schloßakten (castrensia cracoviensia, relationes Bd. 98 A pg. 990—994) eintragen. Ob wirklich der Syndikus das Dokument selbständig ins richtige Kanzleipolnisch mit lateinischem Einschlag übersetzt hatte, muß angesichts der uns bekannten Tatsachen angezweifelt werden. Isaak Sohn Salomos hinterließ im Gemeindearchiv keine polnische Zeile von seiner Hand, wir finden sogar während seiner Amtszeit (1657—1676) 58 ) nicht einmal seine polnische Unterschrift. Dasselbe kann von seinen Nachfolgern gesagt werden, erst der im Jahre 1752 59 ) ernannte Syn«- dikus und Kahalschreiber Pinkas, Sohn Jesajas Halewi Horowitz, der während der ganzen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Amte stand, war halbwegs in Wort und Schrift der polnischen Sprache mächtig 60 ).
Wie auch diese Uebersetzung zustandegekommen ist, das eine sehen wir, daß die Form des Gödinger Urteils in der polnischen Uebersetzung genau der Form der polnischen Gerichte angepaßt wurde. So wurden die Benennungen der Vorsteher, Rabbiner und Beamten polonisiert, der Vorsitzende des Judentages als Marschall tituliert, die Summen neben der kaiserlichen auch in polnischer Valuta berechnet und die Kompetenz des Urteils nicht nur für „die kaiserlichen Lande", sondern auch für „die Lande des glorreichen polnischen Königs, unseres Herrn" bestimmt. Ueberdies wurde das Datum nicht wie in sämtlichen mährischen und polnischen Landtagsbeschlüssen laut jüdischem, sondern laut christlichem Kalender festgesetzt. Es ist unwahrscheinlich, daß alle diese Glossen bereits im hebräischen Original vorhanden waren, es sei denn, Pollak wäre direkt aus Wien nach Krakau gezogen und von dort nach Göding vor das mährische Landmannschaftsgericht berufen worden. Diese Hypothese erscheint aber, angesichts der Kürze der Zeit, zu gewagt. Die Juden verließen die Stadt Wien am 25. Juli, und das Gödinger Urteil wurde bereits am 13. Sep* tember 1670 gefällt.
Ungeachtet aller dieser Schwierigkeiten bildet das Dokument, wenn auch in polnischer Uebersetzung, einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis der Liquidation "der Wiener Gemeinde; daher ge"be ich es hier in
58 ) Sein Name kommt in sämtlichen Relationes vor von Bd. 85, S. 1179 bis Bd. 103, S. 1409.
59 ) Ernannt vom Wojewoden und Hetman Branicki am 30. April 1752. Relationes castr. crac. 194, pg. 1036.
60 ) Siehe Balaban, Krakow, Bd. II (in Druck), Streit um das Senioramt in den Jahren 1772—1776 und 1782—1785.
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