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dass einzelne Deutsche es allenfalls übernehmen könnten, sich als Inspektoren, Pächter und in anderen untergeordneten Stellungen ihr Brot zu erwerben und namentlich längs der Eisenbahn viel zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Betriebe beizutragen. Aber der Gedanke, hier unter mohammedanischem Volk den pommerschen Rittergutsbesitzer und kleinen Herrscher zu spielen, ist für den Durchschnittsdeutschen nicht glücklich."
Es ist nicht anzunehmen, dass diese jetzt ziemlich geklärte Ansicht Deutschlands über die Eignung Kleinasiens für landwirtschaftliche Kolonisation alsbald wieder umschlagen wird, und was für das klimatisch bevorzugte und den Deutschen klimatisch auch zusagende Kleinasien gilt, hat in erweitertem Masse auch für Syrien und Palästina Geltung. Die Befürchtung Frankreichs und vielleicht auch der Türkei, dass eine grosse germanische Invasion in die asiatische Türkei stattfinden werde, ist also gänzlich unbegründet.
Wie schon oben bemerkt, kommt hinzu, dass Deutschland momentan auch über gar keine Auswanderer verfügt. Während in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jährlich über 100 000 Deutsche, im Jahre 1881 sogar 210 000 Seelen Deutschland verliessen, schwankt die Auswanderung jetzt zwischen 20 000 und 30 000 Seelen. Meist sind es Verwandte von in Nordamerika ansässigen Deutschen, wenige gehen nach den deutschen Siedlungsgebieten in Südbrasilien, einige nach Argentinien, Chile, Mexiko, Afrika, Australien. 1 ) Mindestens ebensoviel Einwanderer kommen aber jährlich nach Deutschland, und dass viel mehr gebraucht werden und wohl auch viel mehr einwandern würden, falls nicht gesetzliche resp, administrative Bestimmungen die dauernde Niederlassung Fremder in Deutschland verhinderten, beweist der riesige Bedarf an Saisonarbeitern; braucht doch allein die deutsche Landwirtschaft jährlich 300 000 fremde Arbeitskräfte, von denen 250 000 von Russisch-Polen, der Rest von Oesterreich- Ungarn, meist von Galizien, geliefert wird, die aber alle im Herbst wieder zurückgehen resp. abgeschoben werden.
Sollte aber auch die Auswanderung aus Deutschland sich wieder stark vermehren, so würde es weit mehr im Interesse Deutschlands liegen, die Kolonisation in Südbrasilien zu stärken, wo allein in dem Staate Rio Grande do Sul, bei einem Flächen-
J ) 1904 gingen von 27 984 deutschen Auswanderern nicht weniger als 26 085 nach den Vereinigten Staaten, 332 nach Britisch-Nordamerika, 355 nach Brasilien, 312 nach Argentinien, 4 nach dem übrigen Amerika, 78 nach Afrika, 97 nach Australien und nur 2 nach Asien.