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Verfassung kaum geändert; auch die letzte in der Türkei erfolgte Justizreform hat die vom Propheten und den bedeutenden Juristen kurz nach der Hegira (622) geschaffenen Grundlagen unangetastet gelassen und nur eine neue Art von Gerichten ins Leben ge­rufen, die neben den alten wirken sollen.

II. Geschichte. 1. Entstehung und Arten der Gerichte.

Die neu eingerichteten Gerichte zerfallen nach völlig modernen Grundlagen in drei Klassen: Gerichte erster Instanz, Berufungsgerichte und Revisionsgerichte. Aber das Recht, welches sie zur Anwendung bringen, ist das alte mohammedanische, wenn auch in modernisierter Fassung.

DieGerichte alten Stils" werden alsheilige Gerichte 0 be­zeichnet, weil ihre Einsetzung und das von ihnen angewendete Recht auf göttliche Offenbarung zurückgeführt werden. Jedes Gericht besteht aus zwei Faktoren: dem Richter (Kadi) und dem Rechtsgelehrten (Mufti). Der Mufti gibt den Parteien schriftliche Gutachten, die sie dem Kadi, welcher auf Grund kontradiktorischer Verhandlung entscheidet, zur Unterstützung bei der Urteilsfindung überreichen. Ursprünglich gab es gegen Urteile nur Revision, gestützt auf Irrtümer des ersten Richters; später wurde auch die einfache Berufung eingeführt. An der Spitze des gesamten richterlichen Beamtentums steht ein höchster Beamter mit dem TitelRichter aller Richter". Die einzelnen Gerichte sind stets nur mit einem Richter und einem Gerichtsschreiber besetzt; die Richter und Rechtsgelehrten bilden eine Hierarchie, deren ver­schiedene Grade durch Prüfungen erlangt werden. Die Kom­petenz der islamitischen Gerichte erstreckt sich auf alle Zivil- und Handelssachen, in Strafsachen aber nur auf Verbrechen. Für die Aburteilung von Vergehen und Uebertretungen bestanden schon in älterer Zeit besondere Strafkammern, bei denen ein Vertreter der Verwaltungsbehörde den Vorsitz führte.

Unter den ottomanischen Herrschern ist der höchste der Rechtsgelehrten (Scheich-ul-Isläm) der ständige persönliche Be­rater des Sultans und damit der einflussreichste Minister nach dem Grosswesir geworden. Er ist der höchste Justizbeamte des Reiches, auf seinen Vorschlag ernennt der Sultan Richter und Rechtsgelehrte, setzt sie ab und befördert sie in andere Stellen. Er ist aber gleichzeitig auch Minister für Kultus und geistlichen Unterricht sowie Obervormund und oberster Verwalter des Ver­mögens aller Waisen.