XVI. Jahrgang / Nr. 48 Berlin, 2. Dezember 1937

Preis 10 Pfennig

ALLGEMEINE ZEITUNG DES JUDENTUMS

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C Ii amikka-For derung

Vom Bf. Herzfeld (Essen) 9 Vorsitzendem des Jiidiseheia Central-Vereins

Zwischen den Heldentaten der Makka- bäer und der Gegenwart liegen fast zwei- tausendeiiihundert Jahre. Rund 70 jüdische Geschlechter sind den Makkabäern geroigt. In dieser langen, langen Reihe durften wenige abschliessend feststellen, dass ihr Leben köstlieh war, weil es nur voll Mühe und Arbeit war. Alle nicht so begnadeten jüdischen Menschen haben in 21 Jahrhun­derten einen beispiellos schweren Lebens­kampf bestehen müssen. Sie haben unend­liches Leid erlitten und dennoch ausge­harrt, getragen, was ihnen die Schickung schickte.

Sind wir bloss ihre Epigonen, nur ihre physischen Abkömmlinge? Sind wir schwächer, feiger, weniger widerstands­kräftig als unsere Vorfahren?

Nein. Wir haben ihren Lebenswillen, ihren Lebensmut, ihre Widerstandskraft

und ihre Fähigkeit, Leid zu dulden, unge­schmälert geerbt. Wie sie sind wir ent­schlossen, die lange Reihe fortzusetzen, Judentum und Judenheit ungebrochen zu erhalten. Nicht durch das hypnotische Mittel geträumter Wünsche. Sondern durch nüchterne Erkenntnis der Tatsachen und unbeirrte Weiterführung unserer geschicht­lichen Aufgabe.

Auf neue Ziele haben wir die alten Energien eingestellt. Wir werden sie er­reichen, wenn wir sie klaren Blicks in wür­diger Haltung und mit der gebotenen Ruhe weiterverfolgen. Hart faßt uns das Leben an. Es steht bei uns, dieses Schicksal zu meistern. Das Chanukkafest, das wir in diesen Tagen erinnerungsvoll erleben, er­füllt uns mit diesen Gedanken. Es stärkt und festigt unseren Vorsatz, der Ahnen wert zu sein.

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Die auswärtigen Beziehungen der süd­amerikanischen Staaten untereinander waren lange Zeit zerfahren- und .unsicher. Nach Erringudg der Selbständigkeit ver­suchte jeder Staat, seinen territorialen Be­sitzstand auf Kosten der anderen zu ver­größern. Die Folge bestand in einer Fülle von Streitigkeiten und Reibungen. Bei­spielsweise konnten sich Venezuela und Kolumbien trotz mehrjähriger Verhandlun­gen nicht über die Grenzziehung einigen. Ein Schiedsspruch, den 1891 der König von Spanien auf Ersuchen der beiden Parteien fällte, wurde nicht anerkannt. Erst 1922 wurde die Frage einem Entscheid zugeführt. Aehnlich lag es zwischen Kolumbien und Ekuador. Ja die Besitzverhältnisse über das Chacogebiet konnten erst vor wenigen Jahren durch einen erbitterten Krieg ge­klärt werden.

Aber auch Gründe rein wirtschaftlicher Art führten häufig zu Spannungen zwischen den einzelnen lateinamerikanischen Nach­barn. Bezeichnend hierfür ist der soge­nannte Salpeterkrieg. Als 1879 die Rechte einer chilenischen Salpetergesellschaft durch Bolivien verletzt wurden, kam es zwischen Bolivien und Chile zu einer krie­gerischen Verwicklung. Die peruanische Regierung, der. die chilenischen Salpeter­gesellschaften ebenfalls ein Dorn im Auge waren, stellte sich auf die Seite Boliviens. Von 1879 bis 1883 währte der Kampf zwischen den drei Staaten, der mit einem vollen Sieg der chilenischen Waffen .endete. Trotzdem wurden auch nach Abschluss des

In dieser Nummer finden unsere Leser u. a.:

Die Aufsätze:

Max Dienemann: Zum Jubiläum des HamburgerTempels" Friedrich S. ßrodnitz: New-Yorker Tagebuch (Fort­setzung) Rudolf Gräupner: Transfer und Verwendung inländischer Vermögens­erträgnisse Nashashibi der Erbe des Mufti? Legende und Wirklichkeit, Be­merkungen zu neuen Büchern Olga Bloch: Akiba-Eger-AusstelSung

Friedens die Gegensätze nicht aus der Welt geschafft. Namentlich zwischen Peru und Chile glomm- der Hass w r eiter, so dass 1912 die Vereinigten Staaten ein Vermittlungs­verfahren einleiten mussten.

Das Dazwischentreten Nordamerikas im peruanisch-chilenischen Streit bildet jedoch nicht den einzigen Fall einer Intervention der Republik des Nordens im Süden. Viel­mehr hielten sich die Vereinigten Staaten lange Zeit hindurch geradezu für berufen, im Süden die Rolle desgrossen Polizisten" zu spielen. Die Wurzeln dieser eigenar­tigen politischen Erscheinung liegen in den Gedanken der Monroe-Doktrin. Jede Ein­mischung nichtamerikanischer Mächte in amerikanische Verhältnisse, so verkündet diese Lehre, sei unzulässig. Sobald nun im Süden Verhältnisse gegeben waren, die eine Intervention fremder Mächte hätten nach sich ziehen können, erklärte es die nord­amerikanische Republik für ihre Pflicht, einer solchen Gefahr zuvorzukommen und selbst zu intervenieren. Auf diese Weise mischte sich die Union fortgesetzt in die inneren Angelegenheiten der lateinameri­kanischen Staaten. Nicht ganz mit Unrecht bat man deshalb auf südamerikanischer Seite bemerkt: Die Monroe-Doktrin' sei langsam von der Verteidigung zur Inter­vention, von der Intervention zum Angriff übergegangen".

Infolgedessen konnte es nicht ausblei­ben, dass Südamerika aus Furcht vor dem grossen Stock" des nördlichen Nachbarn Anschhiss in Europa suchte. Allerdings waren diese Bestrebungen, die auf eine engere Verbindung mit dem ehemaligen Mutterland hinzielten, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Konnten doch die ibe rischen Länder in Europa kein wirksames politisches Gegengewicht gegen die mäch­tige nordamerikanische Republik bilden. Andererseits sah man in den Vereinigten Staaten allmählich ein, dass die Politik des grossen Stockes" auf die Dauer nicht dazu angetan war, den Nordamerikanern im Süden Sympathien zu erwerben. Als erster verkündete der amerikanische Staats­mann James G. Blaine im Jahre 1884, dass die Union zu einer wirklichen Kooperation mit dem Süden bereit sein müsse. So

~Vgl/C.-y..Ztg. Nr. 42 imd Nr. 46,

tauchte allmählich den Gedanke einer pan­amerikanischen Vereinigung auf, die an Stelle einer Vormundschaft des Nordens die friedliche Zusammenarbeit aller amerika­nischen Staaten setzen sollte. 1889 fand die erste panamerikanische Konferenz in Wa­shington statt. Weitere Konferenzen folg­ten. Gegenwärtig ist die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen. Ihre letzte

Etappe bilden die vor etwa Jahresfrist-im* ternommenen Bemühungen des Präsidenten: Roosevelt zur Stärkung des panamerikani­schen Gedankens. Der Jubel, mit dem dies südamerikanische Oeffentlichkeit Roosevelt in Lateinamerika begrüsst hat, zeigt deut­lich, welche Hoffnungen man im Süden mit dem panamerikanischen Gedanken ver­knüpft. Dr. Kurt Stillschweig

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i.

A. H. Wo auch immer in diesen Tagen man Juden spricht, trifft man auf Aeusse- rungen schwerer Sorge und tiefer seelischer Niedergedrücktheit. Wen dürfte diese Er­scheinung verwundern! Der letzte Ernst persönlicher Entscheidung rückt auch sol­chen Menschen, die sie sich sehr fern ge­glaubt hatten, immer näher; 'die Möglich­keit, wirtschaftliche Reservestellungen zu beziehen, ist gering und wird geringer. Die Einsicht in .die weltpolitische Bedingtheit der Wanderungsbewegung wächst und zu­gleich mit ihr die Erkenntnis von dem Un­vermögen, aus jüdischer Anstrengung allein ausreichende Lösungen zu bereiten. Man fühlt sich nicht ohne Grund in einer Situa­tion wie zwischen zwei Mühlsteinen, die einander immer näher kommen, der eine drinnen und der andere draussen. Und wie in jener Novelle von Edgar Allan Poe starrt mancher wie gebannt auf diese mal­mende Bewegung und berechnet, wann sie ihn erreichen mag. Man verspürt überall Bewegung, aber sie gleicht" mehr dem mühsamen Regen der Glieder nach einer Betäubung, als dass sie an die belebte Reg­samkeit der Entschlussfreude aus dem Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte heraus erinnerte. Die Blicke haften am Boden oder hasten suchend den Horizont entlang. Nur selten begegnet man Augen, die in ruhiger Besonnenheit Aus­schau halten.

Was ist geschehen? Welches neue über­raschende und unvorhergesehene Ereignis bat sich vollzogen oder ist in drohende Nähe gerückt? Man soll Stimmungen nicht mit Logik zu Leibe rücken; diese beiden Erscheinungen stammen aus zu verschiede­nen Sphären, als dass man die eine durch die andere aufheben könnte. Aber man muss den Versuch machen, sich einige Tat­sachen zu vergegenwärtigen, sie zu werten und dann erneut seinen Standpunkt zu überprüfen.

II.

Als die Ereignisse von 1933 kamen, weckten sie im jüdischen Bereiche neben anderen Gefühlsbewegungen vor allem die Empfindung: Was geschieht, berührt uns um unseres Judeseins willen; es stellt eine sehr deutliche Frage an uns als Juden, auf die wir durch unser Verhalten nach aussen und unsere Wendung nach innen zu antworten haben. Dem Elan des gegen uns gerichteten Willens in der Aussenwelt entsprach der jüdische Elan der inneren Erwecktheit und Aufgeschlossenheit im Binnenkreis. Eine grosse Aktivität ent­stand. Die Welt unserer politischen Er­fahrung brach zusammen. Wir erbauten die Stätten unserer jüdischen Arbeit: Die grossen Organisationen formten sich um und bezogen neue Arbeitspositionen, und mit ihnen wandelten sich auch die Bewer­tungssätze der ideologischen Faktoren. Neue Gemeinschaftsformen der Arbeit ent­standen: Zentralausschuss, Reichsvertre- tung, Lehrhaus-, Kulturbundbewegung.

Versammlungssäle, Bethäuser, jüdische; Theater sie waren überfüllt. Die- « dische Presse sah man in aller Hände* Parolen wurden ausgegeben, wurden be­folgt, wurden verändert und wiederum be-

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folgt. Man klassifizierte sich wechselseitig in fröhlicher Polemik teils als Optimisten«, teils als Pessimisten, teils als Assimilanten {meinte man nicht abwertend Dis-Simü» Tanten?), teils als Zionisten, und stellte zeitweilig Vernunft und Erfahrung durch die Behauptung auf den Kopf: Assimila- tionsbegäbung bedeute Widerstand gegen Auswanderung, Zionismus dagegen -Wati» derungsfreudigkeit als ob nicht gerade die Assimilationsfähigkeit als jüdische Möglichkeit in der Welt den Juden auf de? Suche nach .neuer Partnerschaft hoffnungs- voll stimmen könnte!

Man wird sich dieser Meinungskämpfe nicht ohne ein leises Lächeln, aber zugleich auch mit einer gewissen Befriedigung er­innern. Denn mit ganz wenigen Ausnahmen wurden sie anständig und sauber geführt, Das hing nicht zum wenigsten mit der Tat­sache zusammen, dass die leitenden Men­schen in den Spitzengruppen der ver­schiedenen Gremien fast unverändert wahrend dieser schweren Jahre an der Arbeit blieben. Je grösser nämlich der, Chimborasso der Schwierigkeiten wurde» gegenüber denen wirklichkeitsfremde Ideo­logien an Ueberzeugungskraft verloren, je weniger aussichtsvoll glänzende Erfolge er­schienen, umso geringer, wurde die Zahl der Menschen, die aus persönlichen Motiven in die vordere Reihe wollten, und umso ent­persönlichter wurden die Auseinander­setzungen. Wer nüchtern und doch mensch­lich erregt die Fakten abwog, der wusste, dass weder Dank noch Ruhm noch Vorteil, aus solchem schweren Tun zu gewiartigen sei. Die jüdischen Massen hatten dafür auch, den richtigen Instinkt und gaben jenen Männern an ihren Spitzen das Vertrauen, von denen sie fühlten, dass sie weder per­sönlichen Gewinn für sich oder ihre Freunde noch den Glanz des Erfolges erstrebten. Wer. aus anderen Erwägungen Führungs­ansprüche stellte oder Vertrauen ent­täuschte, begab sich damit von selbst in eine Zone .der Isolierung und des eisigen . Schweigens.

III.

Wir geben diesen Erinnerungen einen Augenblick Raum, weil die meisten Men­schen ihr eigenes Verhalten, ihre eigenen Versprechen, ihre eigene Entflammtheit selbst so leicht vergessen. Was ist denn Neues geschehen, fragen wir wiederum? Die Stimmung der Aussenwelt uns gegen­über, ihr Elan ist unverändert geblieben. Was sich bei vielen verändert hat, ist die Stimmung uns selbst gegenüber, der eigene Elan, der zusammengesunken ist Die Wir-