XVI. Jahrgang / Nr. 48 Berlin, 2. Dezember 1937
Preis 10 Pfennig
ALLGEMEINE ZEITUNG DES JUDENTUMS
Geschäftsstelle (Verlag, Schriftleitung, Anzeigenannahme, Vertriebsabteilung): Berlin W15, Emser Str. 42. Fernspr.: 028141-45. Telegr.-Adr.: Centralglauben, Berlin Postscheckkonten: B e rl > n J0^44 ** z ^r$ n ?*™** VIII 26363. Bankkonto: Gebr. Arohold, Berlin W8. Die C.-V.-Zeitung erscheint wöchentlich am Donnerstag. Redaktionsschlüsse Dienstag. Bestellungen nimmt jedes Postamt und die ^Geschäftsstelle entgegen. Znsteilung ertoigt durch die Post, die die Gebühren durch den Postboten erhebt. Bezugspreis vierteljäbrl. 81 Rpf. (einschl. 22,74 Rpf. Postzeitungsgebühr) zuzügl. 13 Rpf. Bestellgeld. Für AuslandI vierteljanrl. 2,30 RM (umgerechnet in die Lacde^ Währung) einschl. Zustellgebühren. Einzelnummer 10 Rpf. (Ausland 2ÖRpf.). Im Falle höh. Gewalt besteht kein Anspruch .auf Nachlief, od. Rückvergütung der gezahlten Betrage - Anzeigengehuhreu: faltig, 12gesp. mm-Zeile 20 Rpf., f. Stellengesuche 10 Rpf., f. Familienanzeigen 16 Rpf., weit, ermäss. Grundpreise s. Preisl. Einzelanzeigen nur geg. Vorauszahl. — Anzeigenschiuss: Dienstag. Platz- u. Datenvorschnften ohne \ erbmdlichkeit.
C Ii amikka-For derung
Vom Bf. Herzfeld (Essen) 9 Vorsitzendem des Jiidiseheia Central-Vereins
Zwischen den Heldentaten der Makka- bäer und der Gegenwart liegen fast zwei- tausendeiiihundert Jahre. Rund 70 jüdische Geschlechter sind den Makkabäern geroigt. In dieser langen, langen Reihe durften wenige abschliessend feststellen, dass ihr Leben köstlieh war, weil es nur voll Mühe und Arbeit war. Alle nicht so begnadeten jüdischen Menschen haben in 21 Jahrhunderten einen beispiellos schweren Lebenskampf bestehen müssen. Sie haben unendliches Leid erlitten und dennoch ausgeharrt, getragen, was ihnen die Schickung schickte.
Sind wir bloss ihre Epigonen, nur ihre physischen Abkömmlinge? Sind wir schwächer, feiger, weniger widerstandskräftig als unsere Vorfahren?
Nein. Wir haben ihren Lebenswillen, ihren Lebensmut, ihre Widerstandskraft
und ihre Fähigkeit, Leid zu dulden, ungeschmälert geerbt. Wie sie sind wir entschlossen, die lange Reihe fortzusetzen, Judentum und Judenheit ungebrochen zu erhalten. Nicht durch das hypnotische Mittel geträumter Wünsche. Sondern durch nüchterne Erkenntnis der Tatsachen und unbeirrte Weiterführung unserer geschichtlichen Aufgabe.
Auf neue Ziele haben wir die alten Energien eingestellt. Wir werden sie erreichen, wenn wir sie klaren Blicks in würdiger Haltung und mit der gebotenen Ruhe weiterverfolgen. Hart faßt uns das Leben an. Es steht bei uns, dieses Schicksal zu meistern. Das Chanukkafest, das wir in diesen Tagen erinnerungsvoll erleben, erfüllt uns mit diesen Gedanken. Es stärkt und festigt unseren Vorsatz, der Ahnen wert zu sein.
LeriRa /
III» me ' '
pa.si»E2ieri&aiai$e]he Idee
Die auswärtigen Beziehungen der südamerikanischen Staaten untereinander waren lange Zeit zerfahren- und .unsicher. Nach Erringudg der Selbständigkeit versuchte jeder Staat, seinen territorialen Besitzstand auf Kosten der anderen zu vergrößern. Die Folge bestand in einer Fülle von Streitigkeiten und Reibungen. Beispielsweise konnten sich Venezuela und Kolumbien trotz mehrjähriger Verhandlungen nicht über die Grenzziehung einigen. Ein Schiedsspruch, den 1891 der König von Spanien auf Ersuchen der beiden Parteien fällte, wurde nicht anerkannt. Erst 1922 wurde die Frage einem Entscheid zugeführt. Aehnlich lag es zwischen Kolumbien und Ekuador. Ja die Besitzverhältnisse über das Chacogebiet konnten erst vor wenigen Jahren durch einen erbitterten Krieg geklärt werden.
Aber auch Gründe rein wirtschaftlicher Art führten häufig zu Spannungen zwischen den einzelnen lateinamerikanischen Nachbarn. Bezeichnend hierfür ist der sogenannte Salpeterkrieg. Als 1879 die Rechte einer chilenischen Salpetergesellschaft durch Bolivien verletzt wurden, kam es zwischen Bolivien und Chile zu einer kriegerischen Verwicklung. Die peruanische Regierung, der. die chilenischen Salpetergesellschaften ebenfalls ein Dorn im Auge waren, stellte sich auf die Seite Boliviens. Von 1879 bis 1883 währte der Kampf zwischen den drei Staaten, der mit einem vollen Sieg der chilenischen Waffen .endete. Trotzdem wurden auch nach Abschluss des
In dieser Nummer finden unsere Leser u. a.:
Die Aufsätze:
Max Dienemann: Zum Jubiläum des Hamburger „Tempels" — Friedrich S. ßrodnitz: New-Yorker Tagebuch (Fortsetzung) — Rudolf Gräupner: Transfer und Verwendung inländischer Vermögenserträgnisse — Nashashibi der Erbe des Mufti? — Legende und Wirklichkeit, Bemerkungen zu neuen Büchern — Olga Bloch: Akiba-Eger-AusstelSung
Friedens die Gegensätze nicht aus der Welt geschafft. Namentlich zwischen Peru und Chile glomm- der Hass w r eiter, so dass 1912 die Vereinigten Staaten ein Vermittlungsverfahren einleiten mussten.
Das Dazwischentreten Nordamerikas im peruanisch-chilenischen Streit bildet jedoch nicht den einzigen Fall einer Intervention der Republik des Nordens im Süden. Vielmehr hielten sich die Vereinigten Staaten lange Zeit hindurch geradezu für berufen, im Süden die Rolle des „grossen Polizisten" zu spielen. Die Wurzeln dieser eigenartigen politischen Erscheinung liegen in den Gedanken der Monroe-Doktrin. Jede Einmischung nichtamerikanischer Mächte in amerikanische Verhältnisse, so verkündet diese Lehre, sei unzulässig. Sobald nun im Süden Verhältnisse gegeben waren, die eine Intervention fremder Mächte hätten nach sich ziehen können, erklärte es die nordamerikanische Republik für ihre Pflicht, einer solchen Gefahr zuvorzukommen und selbst zu intervenieren. Auf diese Weise mischte sich die Union fortgesetzt in die inneren Angelegenheiten der lateinamerikanischen Staaten. Nicht ganz mit Unrecht bat man deshalb auf südamerikanischer Seite bemerkt: Die Monroe-Doktrin' sei „langsam von der Verteidigung zur Intervention, von der Intervention zum Angriff übergegangen".
Infolgedessen konnte es nicht ausbleiben, dass Südamerika aus Furcht vor dem „grossen Stock" des nördlichen Nachbarn Anschhiss in Europa suchte. Allerdings waren diese Bestrebungen, die auf eine engere Verbindung mit dem ehemaligen Mutterland hinzielten, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Konnten doch die ibe rischen Länder in Europa kein wirksames politisches Gegengewicht gegen die mächtige nordamerikanische Republik bilden. Andererseits sah man in den Vereinigten Staaten allmählich ein, dass die Politik des „grossen Stockes" auf die Dauer nicht dazu angetan war, den Nordamerikanern im Süden Sympathien zu erwerben. Als erster verkündete der amerikanische Staatsmann James G. Blaine im Jahre 1884, dass die Union zu einer wirklichen Kooperation mit dem Süden bereit sein müsse. So
~Vgl/C.-y..Ztg. Nr. 42 imd Nr. 46,
tauchte allmählich den Gedanke einer panamerikanischen Vereinigung auf, die an Stelle einer Vormundschaft des Nordens die friedliche Zusammenarbeit aller amerikanischen Staaten setzen sollte. 1889 fand die erste panamerikanische Konferenz in Washington statt. Weitere Konferenzen folgten. Gegenwärtig ist die Entwicklung noch immer nicht abgeschlossen. Ihre letzte
Etappe bilden die vor etwa Jahresfrist-im* ternommenen Bemühungen des Präsidenten: Roosevelt zur Stärkung des panamerikanischen Gedankens. Der Jubel, mit dem dies südamerikanische Oeffentlichkeit Roosevelt in Lateinamerika begrüsst hat, zeigt deutlich, welche Hoffnungen man im Süden mit dem panamerikanischen Gedanken verknüpft. Dr. Kurt Stillschweig
'Emisehen iL&hem . mmd Mj@betö
i.
A. H. Wo auch immer in diesen Tagen man Juden spricht, trifft man auf Aeusse- rungen schwerer Sorge und tiefer seelischer Niedergedrücktheit. Wen dürfte diese Erscheinung verwundern! Der letzte Ernst persönlicher Entscheidung rückt auch solchen Menschen, die sie sich sehr fern geglaubt hatten, immer näher; 'die Möglichkeit, wirtschaftliche Reservestellungen zu beziehen, ist gering und wird geringer. Die Einsicht in .die weltpolitische Bedingtheit der Wanderungsbewegung wächst und zugleich mit ihr die Erkenntnis von dem Unvermögen, aus jüdischer Anstrengung allein ausreichende Lösungen zu bereiten. Man fühlt sich nicht ohne Grund in einer Situation wie zwischen zwei Mühlsteinen, die einander immer näher kommen, der eine drinnen und der andere draussen. Und wie in jener Novelle von Edgar Allan Poe starrt mancher wie gebannt auf diese malmende Bewegung und berechnet, wann sie ihn erreichen mag. Man verspürt überall Bewegung, aber sie gleicht" mehr dem mühsamen Regen der Glieder nach einer Betäubung, als dass sie an die belebte Regsamkeit der Entschlussfreude aus dem Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte heraus erinnerte. Die Blicke haften am Boden oder hasten suchend den Horizont entlang. Nur selten begegnet man Augen, die in ruhiger Besonnenheit Ausschau halten.
Was ist geschehen? Welches neue überraschende und unvorhergesehene Ereignis bat sich vollzogen oder ist in drohende Nähe gerückt? Man soll Stimmungen nicht mit Logik zu Leibe rücken; diese beiden Erscheinungen stammen aus zu verschiedenen Sphären, als dass man die eine durch die andere aufheben könnte. Aber man muss den Versuch machen, sich einige Tatsachen zu vergegenwärtigen, sie zu werten und dann erneut seinen Standpunkt zu überprüfen.
II.
Als die Ereignisse von 1933 kamen, weckten sie im jüdischen Bereiche neben anderen Gefühlsbewegungen vor allem die Empfindung: Was geschieht, berührt uns um unseres Judeseins willen; es stellt eine sehr deutliche Frage an uns als Juden, auf die wir durch unser Verhalten nach aussen und unsere Wendung nach innen zu antworten haben. Dem Elan des gegen uns gerichteten Willens in der Aussenwelt entsprach der jüdische Elan der inneren Erwecktheit und Aufgeschlossenheit im Binnenkreis. Eine grosse Aktivität entstand. Die Welt unserer politischen Erfahrung brach zusammen. Wir erbauten die Stätten unserer jüdischen Arbeit: Die grossen Organisationen formten sich um und bezogen neue Arbeitspositionen, und mit ihnen wandelten sich auch die Bewertungssätze der ideologischen Faktoren. Neue Gemeinschaftsformen der Arbeit entstanden: Zentralausschuss, Reichsvertre- tung, Lehrhaus-, Kulturbundbewegung.
Versammlungssäle, Bethäuser, jüdische; Theater — sie waren überfüllt. Die jü- « dische Presse sah man in aller Hände* Parolen wurden ausgegeben, wurden befolgt, wurden verändert und wiederum be-
II ?4- &® ***** tlmm
BesteikefteS auf Seife s 6
folgt. Man klassifizierte sich wechselseitig in fröhlicher Polemik teils als Optimisten«, teils als Pessimisten, teils als Assimilanten {meinte man nicht abwertend Dis-Simü» Tanten?), teils als Zionisten, und stellte zeitweilig Vernunft und Erfahrung durch die Behauptung auf den Kopf: Assimila- tionsbegäbung bedeute Widerstand gegen Auswanderung, Zionismus dagegen -Wati» derungsfreudigkeit — als ob nicht gerade die Assimilationsfähigkeit als jüdische Möglichkeit in der Welt den Juden auf de? Suche nach .neuer Partnerschaft hoffnungs- voll stimmen könnte!
Man wird sich dieser Meinungskämpfe nicht ohne ein leises Lächeln, aber zugleich auch mit einer gewissen Befriedigung erinnern. Denn mit ganz wenigen Ausnahmen wurden sie anständig und sauber geführt, Das hing nicht zum wenigsten mit der Tatsache zusammen, dass die leitenden Menschen in den Spitzengruppen der verschiedenen Gremien fast unverändert wahrend dieser schweren Jahre an der Arbeit blieben. Je grösser nämlich der, Chimborasso der Schwierigkeiten wurde» gegenüber denen wirklichkeitsfremde Ideologien an Ueberzeugungskraft verloren, je weniger aussichtsvoll glänzende Erfolge erschienen, umso geringer, wurde die Zahl der Menschen, die aus persönlichen Motiven in die vordere Reihe wollten, und umso entpersönlichter wurden die Auseinandersetzungen. Wer nüchtern und doch menschlich erregt die Fakten abwog, der wusste, dass weder Dank noch Ruhm noch Vorteil, aus solchem schweren Tun zu gewiartigen sei. Die jüdischen Massen hatten dafür auch, den richtigen Instinkt und gaben jenen Männern an ihren Spitzen das Vertrauen, von denen sie fühlten, dass sie weder persönlichen Gewinn für sich oder ihre Freunde noch den Glanz des Erfolges erstrebten. Wer. aus anderen Erwägungen Führungsansprüche stellte oder Vertrauen enttäuschte, begab sich damit von selbst in eine Zone .der Isolierung und des eisigen . Schweigens.
III.
Wir geben diesen Erinnerungen einen Augenblick Raum, weil die meisten Menschen ihr eigenes Verhalten, ihre eigenen Versprechen, ihre eigene Entflammtheit selbst so leicht vergessen. Was ist denn Neues geschehen, fragen wir wiederum? Die Stimmung der Aussenwelt uns gegenüber, ihr Elan ist unverändert geblieben. Was sich bei vielen verändert hat, ist die Stimmung uns selbst gegenüber, der eigene Elan, der zusammengesunken ist Die Wir-