Königreich Ungarn unter den Ministerien der beiden Tiszas fast allein von den konservativen Juden I getragen. Aber ein großer Teil der Juden ist seit jeher, wie uns die Propheten des Alten Testaments lehren, oppositionell gewesen gerade so wie ein großer Teil der Adligen Nebellen waren. Es hängt dies mit der hohen Zucht und der hohen Kultur zusammen. Die Juden sind geschickte Politiker und Journalisten und ver­teilen sich auf alle" Parteien. Me ich in meinem Buche geschrieben habe, waren sogar die Stützen des feudalen Kleri­kalismus in Oesterreich Juden.

Aber all diese Gründe sind es nicht, die den Antisemitismus be­wirken. Die Welt braucht einen Prügelknaben, und was immer Unheilvolles seit jeher sich ereignet hat, dafür wurden immer die Juden verantwortlich gemacht, was ich ebenfalls in meinem Buche nachgewiesen habe. Daran wird niemand etwas ändern können. Nur durch allgemeine Hebung der Zivilisation kann der Antisemitismus bekämpft werden, wie dies im 15. und 16. Jahrhundert die Humanisten mit Erfolg getan haben. Insbesondere müssen die Organi­sationen d er G o t t e s gl ä uL i g,e n innerhalb ihres Reli­gionsunterrichts die Welt dahin belehren, daß Haß und Verfolgung in jeder Form das Verabscheuungswürdigste auf der Welt sind. Diese These muß den Inhalt jeden religiösen Gefühls bilden; denn das geht bereits aus dem ersten Gebot Gottes unzweideutig hervor.

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Zu den Aeuszerungen Graf Sternbergs bemerken wir das Folgende:

Einen Unterschied zwischen Helden und Heiligen können wir nicht anerkennen; er scheint uns konstruiert zu sein, denn der Kamps für das Heilige beansprucht außerordentlich viel Helden­mut. Der Gegensatz, der Graf Sternberg vorschwebt, ist offenbar der zwischen Macht und Recht. Wir Juden sind Vertreter des Rechtsstandpunktes. Deswegen sind wir nicht als Kaste Anti- monarchisten oder Monarchisten, Nichtrepublikaner oder Republikaner. Wir Juden sind der Meinung, daß nur diejenige Staatsform inner­lich und sittlich gerechtfertigt ist, die sich auf das Recht stützt. Der Royalismus in Deutschland ist in seinem Verhalten uns gegen­über keine einheitliche Erscheinung. Man kann die Juden in ihrer Gesamtheit nicht als oppositionell, geschweige denn als destruktiv be­zeichnen. In den Juden wirken sehr starke erhaltende Kräfte, was sich besonders in ihrer Stellung zu Religion und Tradition offenbart. Daß die Juden von ihrer Religion her stark beeinflußt sind, ist selbstverständlich und ihr Ruhm.

So kritisch wir den Gesamtausführunaen des Grafen Sternberg gegenüberstehen, seinen letzten Ausführungen stimmen wir restlos zu. Besonders sympathisch berührt der Ansruf an die Gottesgläubigen aller Konfessionen, daß sie ihre Jugend lehren, daß der Haß ver­abscheuungswürdig ist.

Das grsß§ tlctMchM."

Der Fall Schlesinger.

Die rechtsradikal-völkische Presse, die das furchtbare Unglück bei Leiferde als einAttentat der D a w e s - I u d e n" bezeichnet hatte, jubelte aus, als es sich ergab, daß einer der beiden verab-- scheuungswürdigen Attentäter den in völkischer Beziehung verdäch­tigen Namen Schlesinger trägt. Es war also doch ein Jude Urheber des Unglücks gewesen, und bald war der zweite Verbrecher nichts anderes als das willenlose und verführte Werkzeug in der Hand des raffinierten Juden. Als dann die große Presse sehr deutlich und wohlbegründet Schlesingers Kon­fession und Abstammung als durchaus rüchtjüdisch feststellte und gelegentlich darauf hinwies, daß er der Sohn einer W i t w e sei, da war für die Blätter vom Schlage derMecklenburger Warte" und desDeutschen Tageblatts" erwiesen, daß das eine Entlastungs­offensive derverjudeten Freimaurerei" sei. Triumphierend stellten diese Blätter fest, daß die Formel für das große Notzeichen der Freimaurerei, aus Grund dessen jeder Freimaurer dem anderen unter allen Umständen zu Hilfe kommen müsse, laute:Z u mir, Ihr Kinder der Witwen." Also, folgerten diese schlauen Herren, besteht ein Interesse des Judentums an Schlesinger, ergo: Schlesinger i st doch Jude. Und doppelt groß war der Reinfall, als in allen Blättern die Meldung verzeichnet war: DerJude" Schlesinger ist 1920 Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" in Bamberg gewesen und seinerzeit wegen nicht genehmigter Verbreitung judenseindlicher Flugschriften zu 35 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Anscheinend hat man seinerzeit vergessen, dasgroße Notzerchen" zu geben, um Schlesinger die 35 Mark zu ersparen . . .

In Bamberg, wo die Behauptung, daß Schlesinger Jude sei, in hetzerischer Form durch ein Flugblatt verbreitet worden war, er­folgte durch die energische Intervention unserer dortigen Ortsgruppe die Beschlagnahme des Flugblattes und im Anschluß daran die Fest­stellung von Schlesingers Vorstrafe. Die Information der Presse über diese entscheidende Tatsache ist auf diese Quelle zurück- zuführen.

Zeftgeöanken zum Laubhüttenfeft.

Die ernsten Gedanken der hohen Festtage klingen hinüber in die freudigen des Laubhüttenfestes. Freudig unser seelisches Gut weiter zu bewahren in dem Bewußtsein, von einer höheren Macht getragen zu sein, die unfern Weg auch durch Wüsten bahnt, sofern wir allzeit würdige und kampfbereite Erben des altjüdischen Geistes find, ist der Gehalt dieses frohen Festes. Trotz schwacher Hütten, trotz Gefahren und Bedrohungen durch das äußere Schicksal, trotz eines Martyriums von vielen Jahrhunderten stehen dank der göttlichen Fügung noch fest unsere Hütten und in stän­diger Erneuerung auch der geistige Bau unserer jüdischen Welt. Die Geschichte ist die Lehrmeisterin aller Dinge. Sie gibt uns gerade an diesem Fest das Vertrauen, daß die Lebenskraft des Judentums nicht gebrochen werden kann, sondern durch die quellende Triebkraft des schöpferischen Genius Israels auch schwerstem äußeren Schicksal zum Trotz weiterhin siegreich be­stehen wird. Der dem Judentum innewohnende religiös-sittliche Gehalt und unsere geistige Beweglichkeit bürgen uns für eine lebenskräftige Fortentwicklung. So ist der Rückblick aus frühere Tage zugleich für uns trotz allem ein Ausblick in eine frohe Zukunft. Dr. K. (BerUn-Neukölln).

Der Fug öes Todes.

Von Dozent Dr. Albert Lewkowitz (Breslau).

Im 81. Lebeusjahre ist Rudolf E u den dahingegangen. Noch vor drei Jahren erschienErkennen und Leben" in ftv es ent! ich um- gestalteter Form. So vertiefte Encken in immer neuer eindringeuder und edler Auseinandersetzung mit dem Geistesleben der Zeit seine Weltanschauung, die eine wissenschaftliche Erneuerung des religiös- sittlichen Idealismus Fichtes bedeutet. Wir nennen von seinen Werken außer den in 18 Auflagen erschienenenDie Lebens­anschauungen der großen Denker",Der Kampf um einen geistigen Lebensinhalt",Der Wahrheitsgehalt der Religion",Der Sinn und Wert des Lebens",Geistige Strömungen der Gegenwart".

Dem Neukantianismus, vor allem Hermann Cohen, verdankt Eucken das Ergreifen des philosophischen' Idealismus in seiner systematischen Bedeutung für die Weltanschauung der Gegen­wart. Ihm verdankt er die wissenschaftliche Ueberwindung der naturalistischen Lebensanschauung in der Erkenntnis, daß, wie sehr die Natur von mechanischen Gesetzen beherrscht wird, in denen kein Sinn und Zweck, keine Rücksichtnahme aus geistige Werte waltet, der Men s ch, obwohl zur Natur gehörig, aus seinem Geiste heraus eine Welt der Wahrheit, der sittlichen Erkenntnis, der künstlerischen Gestaltung zu schassen vermag. Mit jeder Erkenntnis des wissen­schaftlichen Denkens, jedem Ergreifen sittlicher Ziele, jeder künstle- rischeili Beseelung des Stoffes entreißt sich der Mensch der Sinn­losigkeit des Meinens, der Triebe und des Chaos und gestaltet eine Welt des Geistes, der Wahrheit, der Güte und der Schönheit.

Wie aber diese Schöpfungen des Menschengeistes aus der Natur und im Gegensatz zu ihr hervorbrechen, ist der Geist machtlos gegen die Gewalt der Natur außerhalb des Menschen, wie auch gegen die Gewalt der Natur in der Seele des Menschen, in der Seele des einzelnen und in dem seelischen Leben der Gemeinschaft. Das Geistesleben ist so von der Unsicherheit seines Bestandes bedroht, die auch die innere Stetigkeit, Tiefe und Kraft der Ueberwindung des Sinnlosen gefährdet.

Soll die Welt des Geistes nicht eine nur ausleuchtende, bald wieder zurückfallende Welle des Lebens sein, so erfordert das Geistes­leben der ^ Menschheit seine metaphysische Begründung in einem überweltlichen universalen Geistesleben, zu dein das Geistesleben der Menschheit sich erhebt und aus dem es seine weltüberwindende Kraft gewinnt. In dem mutigen Ergreifen dieses göttlichen Lebensgrundes der Natur und des Menschengeistes bekennt sich Eucken zur Wahrheit der religiösen Weltanschauung, nicht ohne an ihren Ausdrucksformen in den geschichtlichen Religionen, vor allem auch im Christentum, eine aufrichtige Kritik zu vollziehen.

Es ist das Verdienst Euckens, den Neukantianismus zum Neu- Fichteanismus fortgebildet und hierdurch die Bedeutung des sittlichen und des religiösen Bewußtseins für das Wirklichkeits­bewußtsein geltend gemacht zu haben. In der Anerkennung des Sittlichen als Tat der Freiheit ist der Persönlichkeit und der Selbständigkeit des Geisteslebens Raum gegeben. Der mechanistische Entwicklungsbegrisf ist dem Begriffhistorischer Entwicklung" als schöpferischer Entwicklung des Geisteslebens gewichen. Und in der Verankerung des Geisteslebens in Gott ist Gott der das Geistes­leben tragende heilige Wille. Nun sind Offenbarung, Gnade, Frei­heit wiederum Begriffe von metaphysischem Gehalt.

In dem Bestreden zur idealistischen Vertiefung unserer Zeit durch organisatorische Zusammenfassung gleichgerichteter Kräfte beizu-