tragen, ist vor einigen Jahren der Eucken-Bund gegründet worden. Wie groß Euckens moralischer Einstich in diesem Bunde naturgemäß war. so dürfte aber die Politische Führung des Bundes nicht in seinen Händen gelegen haben. So konnte es nicht aus- Vleiben, daß in einzelnen Ortsgruppen dieses Bundes völkische und antisemitische Tendenzen hervortraten. Wir müssen eg oeklagen, daß Eucken, vielleicht infolge seines Alters, nicht in der Lage war, mit entschiedenem Geiste diese Bestrebungen aus seinem Bunde aus- Zuschließen, wie sehr er auch persönlich dem Judentum und den Juden gerecht zu werden suchte.
Gustav Roethe.
Von' Fritz Engel.
Unerwartet ist während eines Ferienaufenthaltes in Gastein der Berliner Universitütsprofessor, Geheimer Regierungsrat, Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Dr. Gustav Roethe gestorben. §r war eine markante Persönlichkeit der Berliner Hochschule schon in der wilheminischen Zeit, er rückte noch stärker in den Vordergrund, als diese Epoche vorüber war. Hatte ihm ehedem das Katheder als Ausgangspunkt seiner nicht alltäglichen Beredsamkeit genügt, so glaubte er nach dem Sturz des Kaiserreichs ein neuer Fichte werden zu können, so wie e r ihn verstand. Nachdem ihm der Weltkrieg, um Roethes eigene Worte anzuführen, „das höchste Gefühl irdischen Glückes" bereitet hatte, war er jetzt nicht nur zur Klage über das für uns alle so traurige Ende angeregt, er fühlte vielmehr die Berufung, als Ankläger auszutreten. Er stieg in Volks- und Parteiversammlungen und eiferte in schärfstem Tone des Demagogen gegen die Republik. Er nannte ihre Farben einen „elenden Lappen", er sprach von der „ehrlosen Nationalversammlung" und von dem „Halunkenparlament", er bewarf den damaligen Reichskanzler Dr. Wirth mit der unerhörten Beschuldigung, daß er auf einen Wink Frankreichs ohne weiteres neue Gebietsteile ausliesern würde.
Man kann in solchen Aeußerungen die Anzeichen einer schon mehr bemitleidenswerten Nachkriegspsychose sehen, und als ausgesprochen Politische Kundgebungen hätten sie an dieser Stelle keine Erwähnung zu finden, wenn Roethe in seiner Überreiztheit nicht auch dem Judentum gegenüber ins Reaktionäre abgeglitten und dem krächzenden antisemitischen Saxophon die schärfsten und widerlichsten Töne abgelockt hätte.
Er, der einem liberalen Verlegerhause entsprossen — sein Vater war Besitzer des im Dienste allgemeiner bürgerlicher Freiheit tapfer bewährten „Graudenzer Geselligen" — eben dieser Gustav Roethe wandte sich, bekleidet mit dem Ansehen eines Universitätslehrers und Geheirnrats, an das willfährige und urteilslose Ohr jener Masse, die gewisse Versammlungen zu besuchen Pflegt, um ihre dumpfen Haßgefühle von einer „Autorität" bestätigt zu hören. Dort fand Roethe Schlagworte, uw die ihn ein im Hauptberuf tätiger und dafür bezahlter Agitator beneiden mußte. Er wetterte gegen die drei P's, die das Unheil Deutschlands bedeuteten, gegen Presse, Parlament, Pöbelherrschaft, er sprach von dem jüdischen Einfluß, der sich in diesen Instituten breit macht, und die Demokratie nannte er eine „j irdisch- französische Erfindung". Natürlich, er wußte es besser. Der nicht unbewanderte Professor hatte von den Demokratien des Altertums gehört, für die man beim besten Willen die Juden oder die Franzosen nicht verantwortlich machen kann. Aber sein Wille war schlecht, er wollte die Gemüter ausreizen, er wollte dem Pöbel, den er doch zu bekämpfen vorgab, das vergiftende Zuckerwerk solcher Formulierungen in den Mund stecken. Deshalb verstieg er sich auch zu dem von Beifall umgröhlten Satz: „Nichts wird vom Judentum feindlicher empfunden als deutsches Wesen." Es ist schwer, einer so dreisten Behauptung gegenüber die Wgewogenheit des Ausdruckes zu wahren, die man einem Toten nicht vorenthalten möchte.
Aber der Roethe, der das Wort nicht halten konnte, der sich an seinem eigenen Redeschwall aufregte und dann, wie ein Trunkener, sein Innerstes offenbarte und herausdonnerte, dieser Roethe war noch nicht der eigentlich Gefährliche. Was er sagte, war wenigstens deutlich. Man wußte, woran man war, und konnte Zurückschlagen. Aber er stand doch im Hauptamt auf dem Katheder der größten deutschen Universität, Zu seinen Füßen die Studentenschaft — lange Jahre nur junge Männer, denn der nicht nur in seinem literarischen Spezialfach mittelalterlich orientierte Roethe wollte von studierenden Frauen nichts wissen — und auch von dieser Stelle aus konnte er für seine Tendenzen wirken. Er war nicht der Mann, darauf zu verzichten. Hier pflegte er mehr die besondere Kunst, und er verstand sich auf sie, Gesinnung zwischen den Worten zu produzieren und sie ins Gemüt der Aufhorchenden hmüberzufädeln.
Noch ein anderes Podium ward ihm dazu gegeben: der Präsidentenstuhl der Deutschen Goethe-Gesellschaft. Vielleicht fühlte er im innersten Herzen selbst, daß er diesen im höchsten Sinne neutralen Sessel nicht einnehmen dürfe, er verachtete ja auch die „Mehrheit", aber er gab nach, als sie ihn auf den Thron erhob. Von da aus hielt
Vom
iwflftiwtt Go«neim
II.
Ich muß bekennen, ich habe es nicht übel getroffen in der Welt. Ich war im richtigen Augenblick ins Dasein getreten, war in einem großen Land, das emporstieg, seinen Anschluß und Einfluß aus die Welt geltend machte, war in einem Land, das, wenn es auch bewaffnet bis an die Zähne war, mit Ausnahme weniger Militärs und redender Monarchen, die man eigentlich nicht ernst nahm, durchaus friedlich und über das hinaus sogar leidlich menschlich gesinnt war. Das heißt, man bestritt wenigstens nicht, daß man es sein müßte, wenn man auch aus Gründen der Staatsräson gegen große Gesellschaftsgruppen oder auch im einzelnen Fall weist behindert war, es zu sein. Ebenso wie man dem Geistigen eine hohe, wenn auch gering dotierte und eigentlich wenig einflußreiche Stellung im Leben einräumte, und sich trotzdem bei jeder Gelegenheit „das Land der Dichter und Denker" nannte.
Da mit dem Heranwachsen meiner Generation eine lebensnahe Kunst in neuen Formen und Inhalten emporwuchs — etwas spät zwar gegenüber andern Ländern! — so war auch das ein Glücksumstand für mich; denn man schwamm kräftig in einer emporsteigenden Welle und wurde nicht mit einer verebbenden Welle müdegewordenen Epigonentums mitgezogen. Man konnte sich selbst ausgeben und fand keine Fesseln der Konvention.
Meiner Abstammung nach hatte ich das Glück gehabt, einem hochstehenden Typus des Mittelmeermenschen weder mit schlechten körperlichen noch geistigen Anlagen anzugehör-en. Körperlich dadurch nicht schlecht, weil meine Vorfahren wohl ziemlich lange die gh-ettomüßigen Verkümmerungen überwunden hatten; und geistig deshalb nicht, weil in einer langen Reihe meiner Ahnen von Vätern und Müttern sich keine Analphabeten mehr befunden hatten, wie es doch bei meiner christlichen Umgebung die Regel war, und weil vielleicht dadurch meine Gehirnwindungen sich um etwas vertieft und um einige vermehrt hatten.
Und eine andere Religion brauchte ich mir auch nicht zu wünschen. Meine stellte an mich keine Gewissensfragen, die mich in Skrupel bringen konnten, verlangte von mir kein Anerkennen einer Synthese von Mensch und Gott, an ein Fortleben der Seele nach dem Tode, an Belohnung oder Bestrafung in nicht vorstellbaren (oder nur vorstellbaren) Weltbezirken. Meine Religion, in die ich zufällig hineingeboren war, war eine saubere und zu- sammenfasseude Angelegenheit. Außerdem hatte sie ganz humane Auslegungen gefunden. Soweit ich mich umsah, war es unter den gangbaren Religionen wenigstens eine, die der Nachprüfung durch Verstand und Empfinden standhielt. Und wenn sie vielleicht auch das ästhetische Empfinden im Menschen stärker vernachlässigte als ihre Konkurrenten, so war sie doch dafür vornehm durch hohes Alters und hatte einen Zug großen antiken Stils, den die jüngeren Religionen vermissen ließen.
Eine Hemmung war, daß sie sich einer Sprache bediente, die nur noch in ihr, der Religion selbst, wurzelte; aber das nahm man als Zeichen ihrer Vornehmheit und wollte es nicht anders. So, wie man zu feierlichen Anlässen gern die alten Gläser aus
er Politisch aggressive Reden oder er ließ sie halten, Reden, von denen er behaupten konnte, daß sie gar nicht politisch oder Polemisch waren. Er zeigte die Maske der Uebervarteilichkeit und war dennoch Partei- mann. Er lehnte nicht ab, bei den Beratungen und an der Festtafel gesellig mit einigen Juden zu verkehren, soweit sich nicht andere fanden, die auf eine Verbrüderung Inter pocula lieber verzichteten. Die Stellung als Präsident war ihm zu lieb, der Einfluß, den er heinrlich üben konnte, war ihm zu wertvoll, als daß er es hätte auf offenen Kampf in diesem Kreise ankommen lassen. Von der Feindschaft des Judentums gegen das deutsche Wesen sprach er hier nicht, in diesem Saal nicht, wo man ihm aus dem Mitgliederverzeichnis der Goethe- Gesellschaft und aus ihren Jahrbüchern den großen geistigen und opferbereiten Anteil der Inden an der eminent deutschen Goethe-Sache überwältigend Hütte Nachweisen können.
Hier wurde der Antisemitismus Roethes und seiner den Vorstand mitbeherrschenden Gesinnungsgenossen latent, er verkroch sich in eine stille Opposition. Ich erinnere mich noch wohl des eisigen Schweigens und der stumm obstruierenden Ablehnung, als der Wunsch geäußert wurde, einen Dichter wie Hugo v. H o s m a n n s t h a l in den Vorstand zn wühlen, einen Mann, der zudem die enge geistige Verbindung Zwischen dem Deutschen Reich und Deutschösterreich dargestellt hätte. Niemand, auch Roethe nicht, sprach laut: „Aber das ist ja ein Jude!" Wir hörten es dennoch. Und dieser schweigende, sich unter Umständen klug bezähmende, gelegentlich auch einem Juden zulüchelnde Roethe ist mir stets als der Gefährlichere erschiene^