Der Morgen
7llf Herausgeber und Schriftleitung:
&WeimOnat5SCnr!TE Prof. vr. Julius Goldstern (Dannstadt).
2. Jahrgang: Heft 4 erscheint am 1. Oktober
Aus dem Inhalt des 4. Heftes:
Paul Kämmerer: Ist die Rasse veränderlich? — Jakob Fromer: Spinozas Persönlichkeit. — Felix Perles: Die Erforschung des nach- biblischen Judentums im Rahmen der Universitas Litterarum. — Else Schubert-Christeller: Zwei Legenden. -— Alfred Stern: Judentum und Humanität. — G. Blustein: Das römische Ghetto. — Benno Altmann: Moderne Formen der Religionsbekämpfung. — D. Herzog: Adolf Bartels und Wilhelm Fischer. — Julius GoIdstein: Rudolf Eucken zum Gedächtnis. — Besprechungen.
Zu beziehen; Philo Verlag, Berlin SW 68, Lindenstr. 13.
Familienbesitz HervorHolL, die man nicht täglich benutzt, und die heute auch nicht mehr gemacht werden können. Nun ja, ich will ja zugeben, sie schleppte, wie alle uralten überlieferten Religionen, auch Ballast mit sich; aber eigentlich wenig. Und sie war ethisch ein ganz klein wenig der Reform bedürftig, doch das lag in der Geschichte ihrer Entstehung. Ein ganz winziges Völkchen inmitten von Riesenreichen in Kleinasien, Asien und Aegypten . . . Reiche von Ausmessungen, daß Deutschland darin tanzen kann ... in seinen besten Zeiten hat es nicht größere Länderstrecken als einige Teile Bayerns kümmerlich besiedelt . . . dieses Völkchen schasst sich einen von allem Materiellen (selbst der Sonnenkult eines A m e n o P h e s ist doch an die Materie geknüpft) losgelösten Monotheismus. Da mußte es etwas scharf hergehen mit Strafe und Lohn und Rache, weil ständig die Existenz auf dem Spiel stand, und so kam solch „Auge um Auge und Zahn um Zahn" Zustande, und solch ein „Rächen der Sünden der Väter bis ins fünfte Glied", oder Gebete „für die Vernichtung der Feinde Judas" (die heute vielfach nicht mehr gesagt werden). Außerdem ist der jüdische Gott ein etwas scharfer Herr, und es ist schon erne arge Zumutung, für alle Gemeinheit, die uns das Leben zu- fügen kann, noch Danke zu sagen: „Der Herr hat's gegeben, der Herr Halls genommen, der Name des Herrn sei gepriesen."
Aber gegenüber der Liefen Bern u n s t und der simple n Menschlichkeit, die aus ihr sprechen, sind das doch nur geringfügige Schlacken. Und außerdem war es eine weitherzige Religion, die sich ebensowenig anderen ausdrängen wollte (was ihre jüngeren Geschwister sehr beliebten!), wie sie danach fragte, wieweit sie mit unserem täglichen Leben verbunden war.. . . wenn wir nur im Lieben und Sterben „Mutter" zu ihr sagten und zu dem, der ihr angehörte, „Bruder". Ich gebe zu, dieses Brudersagen war nicht immer leicht.
Erst dachte man, daß man nur so eine halbe Million Brüder in Deutschland hätte, und die selbst waren sehr verschieden geartet, je nach der Erde, aus der sie gewachsen waren; ob das nun Frankfurt und der Rhein, Bayern und Schwaben, Hamb u r g oder Berlin oder Königsberg, Schlesien oder Posen war. Aber dann sah man weiter, daß es nicht nur eine halbe Million war, daß in Frankreich, Holland, Dänemark, England, Italien noch einige hinzukamen, und daß in Rußland, Polen, R u m ü n i e n Millionen und Millionen hinzukamen, und in Amerika . . . und von denen in Afrika und dl s i e n (wieder Millionen) gar nicht zu reden. Kurz, daß ihre Gesamtheit sich nicht, wie 1 : 100 zu den Deutschen, sondern mit 20 bis 25:100 verhielt. Sie alle waren gewiß gute Deutsche, Amerikaner, Holländer, England-er, Franzosen; aber über ihnen" schwebte doch auch zugleich noch die große Gemeinschaft des Judentums.
Man sah, daß die Holländer, D ii neu, S ch Weden, Norweger und noch einige wohlkreditierte Völker Zusammen weniger waren als die Zahl der Juden in der Welt.
Also: man war gar nicht so ein letzter fossiler Ueberrest, wie einem immer erzählt wurde, solch eine Handvoll Menschen, die sich entweder assimilieren oder aussterben sollten. Man war als Jude schon in bester Gesellschaft und in sehr zahlreicher Gesellschaft in der Welt. Niemand sagte doch zum Holländer: „Werde Engländer", zum Dänen „Werde Deutscher", jeder erkannte sie an und sagte: „Bleib' Holländer, aber sei Mensch, ein kultivierter Mensch, mit soviel menschlichem Einsehen und soviel Zivilisation, wie wir es heute fordern." Ich bleib' wer ich bin, du bleibst wer du bist, meinethalben sei Buddhist oder Sonnenanbeter, und wir wollen uns in den Dingen treffen, die allen Menschen gemeinsam sind, und die heute, 1910, so und so in der Welt gewertet werden. In hundert Jahren werden wir sie anders sehen.
Also wenn ich mir weine Geburt hätte aussuchen können — doch man hak wohl von dieser Methode Abstand genommen, weil es sonst um die guten Posten ein zu großes Gedränge geben würde und die schleckten keine Bewerber fänden —, so hätte ich vielleicht den Zeitpunkt verlegt um 5 0 0 oder um 5 0 0 0 Jahre, bis dis Menschheit ihre Kinderkrankheiten, die den einzelnen ebenso gefährden wie die Gesamtheit, überwunden hätte. Aber
wenn man mir das nicht gestattet hätte, hätte ich keinen anderen Zeitpunkt, keine andere Stelle, keine andere Rasse, keine andere Religion gewählt, wie die, die ich zufällig gefaßt hatte. Und auch keine andere Staatszugehörigkeit, kein anderes Land; denn wo anders hätte ich ja schon Schwierigkeiten mit der Sprache gehabt. Nicht einmal eine andere Stadt hätte ich mir gewählt wie gerade Berlin, um meine Jugend zu verbringen, und kein anderes Viertel als das zwischen Tiergarten und Kanal; denn es war ehedem so grün im Sommer, als ob man in einem Park wohnte, und im Winter hatte man die Eisbahn gleich in allernächster Nähe. Man hauste nicht so dicht auseinander, um sich zu stören, und nicht zu weit, um sich nicht zu kennen.
Ich kann von mir sagen, daß ich die große Enttäuschung meiner Familie und meiner Lehrer war, die es mir bis heute noch nicht verziehen haben, daß ich ihre Voraussagungen Lügen^strafte.
Also wenn ich das Fazit von all dem ziehe" und das nicht in Anrechnung bringe, das mir ein Schicksal an persönlichen Malicen bereitete, und von der Fragwürdigkeit, Unsicherheit, Un- geklärtheit, die in dem Geschenk des Lebens an sich liegt — „und doch ist es das einzige, was wir kennen" — nicht sprechen will, so muß ich zugeben, ich habe es bis in mein 43. Jahr erträglich gefunden, und, um mit Goethe zu sprechen, der Saldo ist mir gewogen geblieben. Ich habe immer wieder geschrien, daß ich mich nicht bestechen lasse dadurch, daß es mir erträglich ginge, und daß ich nicht glaubte, daß der Hunger dadurch aus der Welt geschwunden sei, weil ich letzten Monat meine Schlächterrechnung bezahlt hätte; ebensowenig wie etwa es die Krankenhäuser überflüssig mache, wenn ich Zufällig im Augenblick keinen Arzt brauche.
Nein, wenn ich sage, daß ich es für meine Person bis 1915 nicht anders hätte wünschen mögen, und daß es gerade so, wie es war, mit vielem Salz und wenig Zucker, mir recht war, so ist das natürlich etwa nur ähnlich gemeint, wie wenn man einen neuernannten Vater nach dem Befinden seiner Frau Gemahlin fragt, und er antwortet: „Den Umständen entsprechend geht es ihr ausgezeichnet."
Und wenn die Jahre in gleicher Linie sich weitergezogen hätten, nicht unterbrochen durch jene unseligen geistigen Epidemien, die die Seelen und das Antlitz der Völker wie der einzelnen entstellt haben, so hatte ich mit dein Bewußtsein einmal dankend Abschied genommen, daß die Welt den guten Willen wenigstens hat, ihren Bewohnern trotz aller Buntheit und aller sozialen Verschiiedenheiten, in der sie durcheinander gewirbelt sind, in ferner Zukunft ein erträgliches Dasein zu schaffen, und daß es in den äußeren Dingen der Zivilisation mit der Humanität, wenn auch langsam, vorangeht. Ich hätte all so an Europa geglaubt und wäre überzeugt gewesen, daß die Zukunft der Welt, und in ihr die Zukunft des Deutschen und des Juden — ob er deutscher Nationalität war oder anderer — in aussteigender Linie sich bewegen würde; und daß trotz aller Abweichungen, Rückschläge und Verwirrungen man doch zum Menschentum strebe. Heute aber, nach zwölf unheilvollen Jahren für Europa, und weit über seine Grenzen hinaus, denen keine Besinnung folgen will, glaube ich davon nichts mehr. Das einzige, was ich als Ueberzeugung mitnehmen werde von dieser Erde, ist, daß die Summe der Dummheit, der Einsichtslosigkeit, anscheinend immer die gleiche bleiben muß, und daß, nne in zwei miteinander verbundenen Gefäßen der Wasserspiegel stets bestrebt ist, die gleiche Höhe zu halten, sich gerade so wohl auch menschlicher Wahnwitz und menschliche Einsicht zueinander verhalten müssen. Das heißt: jeder Zuwachs an Vernunft und Einsicht läßt auf der anderen Seile aitch die Dummheit steigen. Ich frage mich z. B. staunend immer wieder: Wie sehr müssen meine deutschen Landsleute eigentlich einen Krieg verlieren, um daraus auch nur das geringste zu lernen?
Und was ist der Erfolg von allen diesen Raufereien für den Deutschen?! Zum Schluß kein anderer wie bei Sisyphus: er wälzt den Stein, und wenn er ihn zur Höhe hat, entrollt er ihm wieder . . . „hurtig mit Donnergepolter", und er läuft ihm nach m die Tiefe. Aber zum Schluß ist Sisyphus dazu verdammt, es zu tun, während ein vernünftiger Mensch, dem das Recht des Handelns bleibt, sich sagen würde, ob man nicht vielleicht mit einem System von harmlosen Flaschenzügen, wie es nämlich schon die alten Aegypter bei ihren Pyramiden anwandten, den Marmorblock sicherer nach oben
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Heinrich Mack Nachß, Ulm a.D.