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Juden müssen es empfinden, daß sie heimatlos sind. Wenn eS auch selbstverständlich ist, daß jede gerecht denkende Nation den Juden einen Plah bietet, so hat der Jude die Pflicht, sich seine Heimat mit aufzubauen."
' Der umfangreiche Bericht der „Jüdischen Rundschau" über die Veranstaltung im Herrenhause erwähnt diese die weitaus höchste Zahl der jüdischen Deutschen schwer kränkenden und völlig verkennenden Worte gar nicht. Waren sie auch ihr- bedenklich? Frau von Kardorf weiß ersichtlich nicht, daß dieselbe Inbrunst, die in unseren nationaljüdischen Kreisen für ihre palästinische Heimat lebt, in der unendlich größeren Zahl von jüdischen Deutschen für ihren deutschen Mutterboden lodert. Und wie wir nicht wünschen, daß deshalb ein Nationaljude als „Sp'eßer" angesehen wird, den Nichtjuden oder Inden etwa ihre „Verachtung" wegen seiner Hinneigung zu Palästina bezeugen, so müsien auch wir jede Bezeichnung solcher Art mit aller Entschiedenheit gebührend zurückwcisen. Und wenn es heißt: „Wir müßten empfinden, daß wir heimatlos sind", so erwidern wir darauf mit dem Ernste, den diese entscheidende Frage beansprucht: Heimatlos würden wir jüdischen'Deutschen uns fühlen, wenn man uns aus der deutschen Heimat weg jetzt nach Palästina verpflanzte.
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So und nicht anders ist die Weltanschauung des Eentralvereins oder richtiger des jüdischen Deutschtums, das er umfaßt. Kein Geringerer als Gemeinderabbiner Dr. Reinhold L e w i n in Königsberg hat jüngst in diesen Blättern überzeugend ausgeführt, wie der Centralverein niemals ein reiner Abwehrverein sein kann, wie er seine Ablvehr nur erfolgreich auf denr Grunde eines über die staatsbürgerlichen Gegebenheiten hinaus nicht künstlich konstruierten, sondern natürlich entspringenden, herzlichen Verhältnisses zum Vater- ' lande führen kann. Wer wollte es bei dieser Lachlage nicht gerecht würdigen, daß N a t i o n a l j u b e n, die diese Auffassung nicht in allem teilen, die auch die Stellung des Centralvereins zum Lorcm Hajessod verurteilen, die Centralvereinsarbeit zu ihrem Bedauern nicht unterstützen können? Wenn diese Sachlage in höflichster Form einem zionistischen Anwalt auf eine ebenso höfliche Anfrage mitgeteilt wird, wenn ihm geschrieben wird, daß wir unsere Einladung zu unserer Juristentagung, die nur für uns gesinnungs mäßig nahestehende Juristen gedacht war, deshalb leider nicht aufrechterhalten können, so beschwören solche Stellung nach einem Breslauer nationaljüdifchen Organ „gewisse Kreise" herauf, denen an einer „Verschärfung der innerjüdischen Kampfes" liegt. Tiefe „gewisse Kreise" sind d i e deutschjüdischen Kreise, die bisher wünschten und weiter wünschen, daß unser Centralverein keine „überparteiliche Abweh rorganisation" ist, sondern eine solche, die ohne eine bestimmte weltanschauungsmäßige Gebundenheit sich nicht ausleben, sich nicht betätigen kann.
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Wer die Geschichte der Emanzipation auch nur oberflächlich kennt, weiß, wie schon in der großen französischen Nationalversammlung von 1789 den warmen Defür- Wörtern der Befreiung der Juden aus unwürdiger Behandlung, aus schimpflicher staatlicher Zurücksetzung immer wieder das Wort von der „fremden Nation", ins Moderne milde gewendet vom „Gastvolk im Wirtsvolk", entgegengeschleudert wurde. Nicht nur angebracht, notwendig ist, hier zu wiederholen, was in den bewegten Zeiten der großen französischen Revolution Abbe Lamou- rette seinen parlamentarischen Gegnern mit glänzender Beredsamkeit, mit eherner Richtigkeit erwiderte:
„Man hat Ihnen gesagt*), daß die Juden der französischen Nation nicht als Kinder angehören, sondern eine fremde, von dem fran-
*) „Gestalten und Momente Professor Dr. Z. E l b o g e n
aus der Jüdischen Geschichte", herausgegeben von , Berlin (DelvVerlag) 1927. E. 242.
natürliche Hautpflege? Eine erfolgttich-
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jeöem^Katton^ * Ausführliche Gebrauchsanweisung liegt
Heinrich Mas Nächst, Ulm a.D.
zösischen Volke gleichsam nur umgebene Nation seien, inithin ihre Bitte um ihre Vereinigung mit uns auf kein Recht gründen könnten, ja, daß es sogar unrecht sei, sie an der Ehre und den Vorzügen teilnehmen zu lassen, welche nur den wirklichen und natürlichen Bürgern des Staates Vorbehalten wären.
Aber eine so seichte, so umvahre und schwankende Bemerkung würde Sie nicht haben erschüttern können. Denn die Juden sind eigentlich keine Nation mehr; sie sind nichts als die Ueberbleibsel und die Trümmer eines zerstörten Volkes. Man kann diejenigen keine Nation nennen, welche kein Gebiet, keinen. Oberherrn, keine Regierungsform und — in dem Zustande ihrer Zerstreuung — keinen einzigen Bereinigungs- und Versarnmlungspunkt haben. Nach der genauen Ansicht der Dinge ist nur da eine Nation, wo es einen Staat gibt; aber der jüdische Staat ist heutzutage nichts mehr als das ehemalige Reich der Assyrer und Meder. Es ist wahr, daß die Abkömmlinge dieser letzten uns eine vollendetere und gänzliche Volksanflösung zeigen, weil sie sich ganz nnter den anderen Völkern verloren haben. Aber wenn ein Gebäude einmal eingcstürzt ist und kein Stein mehr auf dem anderen ruht, was kann es helfen, ob hier und da noch einzelne Trümmer vorhanden sind oder ob sie zu anderen Gebäuden verbraucht wurden? Der Jude wird in unserer Nähe geboren; seine Wiege steht neben der Wiege unserer Kinder; er läßt sein Schicksal von unserem Voden abhangen; er nimmt unsere Gesetze als die seiurgen an; er tragt mit uns gleiche Lasten; er ist unseren Gerichtshöfen unterworfen; er übernimmt alle unsere lästigen und beschwerlichen Staatsbedürsnisse; er wird in der Nähe unserer Hütten alt und gräbt sich sein Grab fast an der nämlichen Stelle, wo wir das unsrige graben. Was fehlt ihm nun noch, um ein wirklicher Franzose zu sein, und was bedarf es mehr, um euer eigenes Recht auf diesen ehrenvollen Namen zu beweisen?"
Religiöse Annäherung Zwischen Iuöen unö Christen l
Das ncittfic Heft Des „Juden".
In W e l t a n s ch a u u n g s f r a g e n gibt es nur ein Entweder — Oder. Alles Paktieren, jeder Kompromiß in Angelegenheiten des Gewissens ist bedenklich. Wenn irgendwo muß hier ein klares Bekenntnis ohne Liebedienerei und ohne schielen nach rechts und links als einzige sittliche Möglichkeit gefordert werden.
Ist aber eine solche Forderung vom Standpunkte der Religion aus gerechtfertigt? Ist nicht gerade hier Nachgiebigkeit als Mittel der Annäherung geboten? Annäherung ist das Entgegenkommen zweier an sich gegnerischer Parteien, um sich aus einer mittleren Linie, auf halbem Wege zu treffen. Beide wollen bestimmte Positionen preisgcben, um dadurch bisherige Feindschaft in Freundschaft zu wandeln. Ist solche Annäherung nicht menschlich erfreulich und sachlich erstrebenswert? Eine solche Annäherung bedeutet auf dem Gebiet der Religion und der Weltanschauung unendlich mehr als sonst im Leben: sie bedeutet hier Preisgabe wichtiger Eigenwerte, ein 'Selbstopser, das von der Gegenseite als Eingeständnis der Schwäche, von der Eigenpartei als Nachlassen der sittlichen Energie empfunden wird. Hier ist ein klares Herausarbciten der Gegensätze für das gegenseitige Verstehen und Bewerten besser als weichliche Rücksichtnahme aus irgendwelcher Liebedienerei. Das gegenseitige Verständnis wird hier gerade dadurch gefördert, daß die Gegensätze deutlich und in ihrem Eigenwerte ohne alle Menschenfurcht dargestellt werden.
Allerdings sind aus dem Judentum schon wiederholt Personen hervorgetreteu, die in einem Rausch messianischer Schwärmerei, in der tiefempfundenen Sehnsucht nach Frieden und Verbrüderung, dem Judcntmn den Damaskus-Weg zum C h r i st e n t u m empfohlen haben, ivenn nicht die Danse, dann wenigstens die Aufnahme Jesu in den Kreis der Propheten und des Neuen Testaments in das heilige Gefüge der Bibel. Tie einen haben zur Gründung einer judenchristlichen Gemeinschaft im Judentum, die anderen zur Bildung einer neuen ^ekte innerhalb des Christentums geraten, ohne Gehör und noch weniger Gefolgschaft zn finden. Das Judentum blieb im Bewußtsein seiner Eigenwahrhcit ungebrochen, und die Lobrcduer einer Versöhnung, die tatsächlich Selbstaufgabe predigten, umßtcn beschämt verstummen.
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Inm dritten Male erscheint jetzt „Ter I u d e", eine Viertel- jahrsschrift, begründet von^Martin Buber, im Kostüm des Friedensstifters. In einem erstcn^oudcrheft „Antisemitismus und jüdisches Volksturn" hatte er für Sympathie zwischen diesen beiden plädiert. Ein zweites Sonderheft mit dem Titel „Judentum urrd Deutschtum", sollte den Weg des einen zum anderen ebnen. Ich habe in einer Entgegnung dem ersten Hefte gegenüber meine Entrüstung zum Ausdruck gebracht und dem Herausgeber des „Juden" und seinen Freunden entgegeugernfen: „Mehr Selbstachtung, meine Herren, und mehr Selbstkritik" („Württemb. Gemeiudez." vom 1. Februar 1926, S. 571). Der Mahnruf zum Ehrgefühl blieb nicht uugehört. wurde aber überhört. Ich rief dem Herausgeber nach dem zweiten Sonderheft noch einmal meinen Mahnruf zu („Württemb. Gemeiudez." vom