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Im deutschen Reich.

könnte allerdings die von der antisemitischen Epidemie bisher fast ganz unberührte Stadt Görlitz in den Verdacht gerathen, einen judenfreien Köln. Hof" zu besitzen, wenn es nicht in unserem Leser­kreise als bekannt vorauszusetzen wäre, daß sich dieser Äntisemiten- Gasthof in Frankfurt a. M. befindet.

C. L. Breslau. Die antisemitischen Blätter sprechen den Wunsch aus-, daß die Verhandlungen behufs gemeinsamer internationaler Maßregeln zur Unterdrückung des schändlichen Mädchenhandels beschleunigt werden möchten. Diesem Wunsche kann Mn nur bei- pflichlen. Unwahr ist jedoch die Behauptung jener Blätterdaß es fast nur Juden sind, die das schändliche Gewerbe be­treiben", und Faselei ist es, was diese Blätter außerdem von einem verderblichen Einflüsse des Judenthums gerade auf diesem Gebiete" schreiben. Wenn thatsächlich in Galizien und Russisch - Polen der Mädchenhandel trotz des Ein­greifens der.staatlichen Behörden noch fortdauert und wenn sich dort auch Juden an dem abscheulichen Gewerbe betheiligen, so ist daran vielleicht auch der Antisemitismus schuld, welcher den dortigen Juden das Fortkommen in einem ehrlichen Gewerbe erschwert und einen Nothstand erzeugt hat, der die Sittlichkeit untergräbt. An dem guten Willen, durch harte ehrliche Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, fehlt es dem Juden in Galizien keines­wegs; man sieht dort massenhaft Juden bei den schwersten und ge­fährlichsten Hantirungen, als Lastträger, Anstreicher u. s. w. Sobald in Galizien mehr Arbeitsgelegenheit und besserer Unterricht geschaffen würde, dürste kein einziger Jude mehr bei einem schimpflichen Ge­werbe betroffen werden. Juden sind es wohl auch nicht gewesen, welche vor Kurzem in der russischen Stadt Troki die bildhübsche Tochter des dortigen Kaufmanns F r o i m Milikowski geraubt haben, welche ihrem Vater einen Brief mit folgender Aufschrift zukommen ließ:Im Namen Gottes beschwöre ich den Finder, diesen Brief dem Kaufmann Froim Milikowski sofort einzuhändigen. Jede Minute ist kostbar: es handelt sich um die Errettung eines Menschen von Schmach und Tod." Die Fassung des an Milikowski gerichteten Briefes, sowie der Name des Vaters der Geraubten Froim (Ephraim) beweisen, daß es sich um eine Jüdin handelt, was die den bedauerlichen Fall gegen die Juden ausbeutenden antisemitischen Blätter weislich verschweigen. Ebenso verschweigen dieselben, daß die zahlreichen jungen Mädchen, welche kürzlich von der Schweizer Polizei mit Geld versehen wurden, um ungefährdet in ihre Heimath zurückkehren zu können, keines­wegs von jüdischen Agenten nach der Schweiz verlockt worden sind.