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das Gesetz verlangt, sei auch dort nicht durchgedrungen. In Hessen gebe es allerdings in einer Reihe von DerwalLungszweigen vollständige Gleichberechtigung, so in technischen Fächern, an Schulen, Universitäten, im Subalterndienst. Doch versagt habe sie vollständig in der Justiz, und in der allgemeinen Verwaltung. In Württemberg sei es etwas besser mit der Justiz, aber an den höheren Schulen gebe es keinen einzigen jüdischen Lehrer. In Bayern werde die Gleichberechtigung in sehr vielen Berwaltungszweigen, vor allem auch in der Justiz ziemlich durchgesührt, wenn auch in gewissem Prozentualen Verhältnis; aber in den leitenden Stellungen gebe es keine Juden. In letzterer Hinsicht versagt auch das GroßherZogtum Baden. Der Einfluß der norddeutschen Bureaukraten gewinnt irr Süddeutschland immer mehr an Boden, wie das am deutlichsten die Zurücksetzung im Militärwesen erweise. Wenn wir die Tatsachen betrachten, welche die mißliche staatliche Lage der Juden in Deutschland dartun, so verdichtet sich die Berichterstattung zur wuchtigen Anklage, erhoben im Namen des Gesetzes und der Menschlichkeit. Diese Anklage muß in uns peinliche Empfindungen-auslösen, einerseits wegen der sittlichen Verwerflichkeit dessen, was wir anklagen, und andererseits, weil uns das Gefühl der Scham überkommt in Bezug auf die Begründung, die für die Ver­sagung unserer Rechte gegeben wird, weil diese Begründung unwahr- hastig und unstichhaltig ist. Man stützt sich auf die Volksstimmung und will ihr zu Liebe die Zahl der jüdischen Beamten nicht vermehren. Wenn der Staat davon Nutzen zieht, daß die jüdischen Geisteskräfte als außerordentliche Professoren, als Honorarprofessoren die Jugend lehren, wenn technische Unterbeamte in großer Zahl tätig sind, ohne in die leitenden Stellen zu gelangen, und wenn beim Militär die Juden nur die unteren Chargen besetzen dürfen, so liegt darin eine Ausbeutung des geistigen Kapitals, das Deutsche jüdischen Glaubens in sich tragen, und gegen diese Ausbeutung kann nicht nachdrücklich genug Front ge­macht werden. Im Interesse des Judentums und des Staates ist auch die Taufe und die verderbliche Wirkung, welche dieselbe nach sich zieht, zu beklagen. Hierdurch wird nicht nur die religiöse Gemeinschaft gesprengt, sondern auch die Unwahrhaftigkeit gefördert. In Tausende von Familien wird durch die Taufe innerer Zwiespalt gelegt, der ungeahnte verderbliche Folgen für den Staat hat, der sich auf die Familie zu stützen hat. Wenn wir andererseits uns die Frage vor­legen, ob wir in den Jahren, seitdem die Emanzipation zur papierenen Tat geworden ist, dieselbe nicht verdient haben, so können wir aus das Ausland und zum Glück auch aus Manches im Vaterland zur Bestätigung dafür erweisen, daß die Juden sich in höheren Stellungen