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Im deutschen Reich.
jener Starken am Jordan, deren oberster Gott seit Mosis Zeiten das Goldene Kalb gewesen ist."
Wessen Geschäfte dieser seltsame „Volkserzieher" besorgt, wird dem gesunden Sinn des deutschen Volkes nicht entgehen. Die Entrüstung, welche die Maßnahmen der preußischen Regierung zur Bekämpfung der F l e i s ch t e u e r u n g in dem agrarischen Lager hervorgerufen haben, werden den weitesten Kreisen klar machen, wo heutzutage die Anbeter des „goldenen Kalbes" zu suchen sind. Wenn bei den Großgrundbesitzern das Kalb nicht mehr mit Gold abzuwägen ist, dann schmilzt ihre monarchische Gesinnung zusammen. Obgleich die von der preußischen Regierung ergriffenen Maßnahmen höchstens eine Linderung, aber noch keine Beseitigung der Fleischnot darstellen, erklärt die agrarisch-antisemitische Presse, „daß die bevorstehenden außenpolitischen Verwicklungen wirtschaftliche .Maßnahmen vorfinden würden, durch die eine Bresche in die Schutzmauer des deutschen Reichs gelegt werden müßte".
Von dem Reichstag erwarten die antisemitischen Agrarier keinen Widerspruch zugunsten ihres „goldenen Kalbes", weil dieses Parlament auf Grund des allgemeinen Wahlrechts erwählt ist, von dem Bundesrat auch nicht, weil selbst der bayerische Staat sich auf den Standpunkt der preußischen Regierung stellt, sogar auch noch die Einfuhr des argentinischen Gefrierfleisches erleichtern will. So bleibt ihnen nur als letztes Hilfsmittel zur Fortführung der Hungerkur eine „Fronde", die durch die
Renaissance des Antisemitismus
dem Volke Steine statt Brot, Iudenhetzen statt billiger Lebensmittel in Aussicht stellt. Wäre dieses Treiben nicht unendlich traurig, dann müßte es allgemeine Heiterkeit erwecken, daß jetzt die Antisemitenpresse unter der Aeberschrift „Wer regiert in Preußen? interessante Aktenstücke" veröffentlicht, die dazu dienen sollen, die ablehnende Behandlung der Beschwerde eines Grundbesitzers im Kreise Teltow durch den preußischen Ministerpräsidenten und den preußischen Minister des Innern auf den Einfluß des „hebräischen" Ministerialdirektors Dr. Freund zurückzuführen. Die „Staatsbürger-Zeitung" will offenbar ihren Lesern den Bären aufbinden, daß die Juden Preußen regieren; denn der Schluß ihres Leitartikels vom 1 . Oktober lautet wörtlich: „Dem Beschwerdeführer wurde vertraulich erklärt, ein Vorgehen gegen Or. Freund sei unmöglich. Darauf stellte der abgewiesene Beschwerdeführer Strafantrag gegen sich selbst wegen seiner „Beamtenbeleidigungen". Aber der Oberstaatsanwalt Dr. Preuß beschied ihn am 18 . September, daß „zu einem Einschreiten kein Anlaß" vorliege! Ist also der Beweis der Wahrheit unmöglich,