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Im deutschen Reich
glieder des Wandervogels die kritische Stelle in der Erklärung der Bundesleitung durchaus bedauert werde. Daneben traten Antisemiten auf und erklärten, die Abneigung der Wandervögel gegen die Juden stamme aus dem von jedem echten Wandervogel gesuchten engen Anschluß an das alte Germanentum. Die Unvereinbarkeit des Judentums mit dem alten Germanentum sei der wahre Grund, der zum Ausschluß der Juden aus den Wandervogelvereinigungen führen müsse. Im großen und ganzen aber wurde von christlicher Seite das Gebaren der Frankfurter Entschließung als das hingestellt, was es ist, nämlich als Zeichen beschränkter Intoleranz.
Wir sind die letzten, die den Wert solcher Versammlungen überschätzen. Aber nach dem Bericht aller Ohrenzeugen haben die trefflichen Referate, insbesondere die warmherzigen Ausführungen des Fräulein Berliner nicht nur auf die Juden den tiefsten Eindruck gemacht. ' Sie haben vor allem gezeigt, daß eine Erörterung der Frankfurter Vorgänge im Wandervogel in der breitesten Oeffentlichkeit und eine mannhafte Stellungnahme seitens der Juden reinigend und klärend wirkt.
Und nun zu unseren Gegnern: Zunächst hat Herr Direktor Dr. Neuendorff in Mülheim a. d. Ruhr, der Vorsitzende des Bundes der Wandervögel E. V., in zwei größeren Erklärungen die Frankfurter Resolution verteidigt: ein ausführliches „Eingesandt", dem Herr Avenarius im „Kunstwart" eine weite Verbreitung geben könnte, und eine Erklärung in der „Monatsschrift für das Turnwesen" sollen der Mitwelt den Standpunkt des Herrn Neuendorff näherbringen.
Für die Art und Weise der Gegnerschaft gewisser deutsch- völkischer Kreise zu allem, was den Namen „Jude" führt, sind die Ausführungen des Herrn Neuendorff im „Kunstwart" besonders interessant. Deshalb ist ihre Kenntnis weit über den Rahmen der an sich wichtigen Wandervogel-Angelegenheit notwendig und die Gefährlichkeit und innere Unwahrhastigkeit ihrer Beweisführung vom prinzipiellen Standpunkte aus besonders bedeutungsvoll. Liest man seine Aufsätze, so glaubt man, es' gäbe überhaupt nur einen Bund, der die einzelnen Wandervogel-Vereinigungen in sich schließt. Das ist natürlich nicht der Fall. Auch Herr Neuendorff kennt wohl eine Reihe von Wandervogel-Vereinigungen, die unter sich durchaus nicht gleichartig sind. Er verschweigt aber deren Vorhandensein. Für ihn gibt es nur einen Wandervogel. Der unkundige Leser muß demgemäß glauben, alles das, was er über die Entstehung des Wandervogels sagt, und was er über sein Wesen ausführt, beanspruche mit Recht Allgemeingültigkeit. Dem ist natürlich nicht so. Denn man kann nicht scharf genug betonen, daß der Begriff „Wandervogel" die verschiedensten Wandervogel-Bereinigungen deckt. Aber ' behandeln wir die in dem Wandervogel E. V. zu- sammengeschlossenen Vereinigungen und hören wir, was Herr Neuendorff über sie sagt: Sie sollen entstanden sein, um dem seinerzeit notwendigen Zwang der Schule zu entgehen, dem Gleichklang der Herzen Ausdruck zu geben, die Gleichgestimmten am nächtlichen Feuer oder im heiligen deutschen'Wald zu vereinen.