Gustav Freytag und seine Beziehungen zu Juden und Iunbntum. 109
und sozialen Ansichten sich von dem jugendlichen Bismarck im 1. Vereinigten Landtage und im Erfurter Parlament auffallend unterscheidet, so gilt dies auch von Gustav Freytag. Der am 13. Juli 1816, also vor einem Jahrhundert, in Kreuzburg O.-Schl. geborene und am 30. April 1895 in Wiesbaden gestorbene große Dichter, Schriftsteller, Publizist, Politiker, Geschichtsschreiber und Kulturhistoriker stand im Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn den Juden, ihrem Tun und Treiben, besonders aber ihren kaufmännischen Gepflogenheiten, keineswegs so objektiv und unbefangen gegenüber wie in seinen späteren Jahren, als er sein grundlegendes umfangreiches Werk: „Bilder aus der deutschen Vergangenheit" und andere Schriften herausgab. In „Soll und haben", dem rasch zur Berühmtheit gelangten und in vielen Auflagen erschienenen, in fast alle gebildete Sprachen übersetzten Roman aus dem kaufmännischen Leben wird der jüdische Charakter im großen und ganzen ungerecht, zuweilen verzerrt veranschaulicht. Die alten Vorurteile der Antisemiten, daß jüdischer Geschäftsmann und Schacherer und Wucherer identische Begriffe seien, steckten damals noch dem Dichter in den Knochen. Natürlich ist er auch der Anschauung, daß alle die verschuldeten Gutsbesitzer nicht durch eigenen Leichtsinn und törichtes Wirtschaften, sondern durch jüdische Geldmenschen ruiniert wurden und daß die „Schmul und Itzig" mit unsauberen Geschäftchen all das Unheil angerichtet hätten.
Aber es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken, und so auch ein Dichter und Geschichtsforscher. In dem bereits erwähnten Werke „Bilder aus der deutschen Vergangenheit" spricht er manches schöne und anerkennende Wort über die Israeliten im Mittelalter und in der neuen Zeit und betont nachdrücklich, daß sie lediglich durch eine herzlose und grausame Gesetzgebung gezwungen gewesen seien, sich ausschließlich dem Handel zu widmen, und daß daher die Anklagen und Verdächtigungen, die von ihren Gegnern gegen sie erhöbet wurden, in nichts zerfallen.
In keinem seiner Werke, die nach „Soll und Haben" das Licht der Welt erblickten, findet man auch nur ein Wort des Tadels oder eine hämische Bemerkung mehr gegen sein«! israelitischen Mitbürger in der Vergangenheit oder Gegenwart. Als Mitglied des Norddeutschen Reichstags — er gehörte demselben von 1867—1870 an — schloß er sich der nationalliberalen Partei und ihren damaligen Führern Laster und Bamberger aufs innigste an. In seinen Zuschriften an seine Freunde, den General und Admiral Alb recht v. Stosch und seinen Verleger Salomon Hirzel usw., äußerte er sich in höchst anerkennenden Worten über diese