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Jllustr. Monatsh. für die ges. Interessen des Judenthums.

Männer umlagert allerdings tiefer Trübsinn; es geht ein Welt- oder viel­mehr ein Wissensschmerz durch ihre Seele, und dennoch ist es wie die Wolke, die die göttliche Herrlichkeit umhüllt und die sie zugleich wider­strahlen läßt. Treten sie in die Wirk­lichkeit ein, so erscheint ihnen dieselbe nackt und kahl; sie finden ihre Ideale darin nicht verwirklicht; die Idee, wie sie in die Erscheinungswelt eintritt, erscheint ihnen gebrochen, entwürdigt, und sie strömen in Klagen aus über die Unempfänglichkeit der Zeitgenossen für das Große, Klagen, die uns oft sehr bitter und ungerecht dünken. Be­sonders der eigenen Zeit schleudern sie ihre ganze Verachtung entgegen. Die frühem Zeiten, denken sie, seien wol bester gewesen. Der Abstand zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit ist bei ihnen zu groß, als daß ein gerechtes Urtheil von ihnen verlangt werden könnte. Sie möchten sich wol an ein­zelne anschlicßen, ihr Herz sehnt sich nach einer gleichgestimmten Seele, zu­weilen glauben sie auch einzelne gefun­den zu haben, in die sie den ganzen innern Drang ergießen können, und doch: es war Täuschung. Die einen treten zu ihnen mit der engen Selbst­gefälligkeit eines Wagner, bewundern und loben ihr reiches Wissen, ohne den tiefen Urgrund ihrer Seele zu ahnen; von den andern, mit dem prak­tisch-verständigen Blick, die sich noch gar hoch erhaben dünken über diese cdeln Seelen, wenden sie sich mit eben solcher Entrüstung ab wie von den Dienern der Sinneslust. Und so blei­ben sie einsam.

Ein solcher Mann ist Salomo Ga- birol, ein Dichter, dessen Dichtungen gedankenvoll geweiht sind, ein Denker, dessen Denken dichterisch verklärt ist. Wenn Charisi, der spätere Dichter und ästhetische Kritiker, sein Urtheil über die verschiedenen frühem Dichter fällt, so scheint es, als hätte der Schwung der Gabirol'schen Muse ihn mit beflügelt, indem er ihn mit weni­gen Worten so charakterisirt:

Ein König steht er da, erhaben, groß!

Das hohe Lied ist Salomo's.

Schwungvoll, hoch ist bei ihm Gedank'

und Wort! Wer steigt empor zum Himmel und holt sie von dort? Seine Fastenlieder sind prächtig, wunderbar mächtig; seine Bußge­bete duften wie Blumenbeete; unvergleichlich seiner Bilder Gewalt, unerreichbar das Wort, wie es kräftig erschallt.

Die Sage liebt, schon die Kindheit großer Männer zu verherrlichen; sie spart dies bei Gabirol, denn er steht fertig da, kaum aus der frühen Kind­heit herausgetreten. Sechzehn Jahre alt, singt er bereits von sich:

Ein Knab' von sechzehn Jahren,

Und wie ein Greis erfahren.

Erfahren wol nicht in dem Sinne, daß er viel erlebt und Kenntniß der Welt erlangt habe, aber erfahren in dem schmerzlichen Sinne, daß die Dissonan­zen zwischen der Idee und der Wirklich­keit schon damals in ihm erklingen, daß es ihn durchzuckte, wie wenn ein Riß durch sein Herz gegangen wäre. Er straft sich selbst darüber, daß er in so frühem Alter in solch schmerzliche Klagen ausbreche, und kann sie dennoch nicht überwinden, weil er sein hohes Ziel nicht lassen kann:

Ach, ziemt dem Sechzehnjähr'gen Klagen, Zu jammern über Lebensplagen?

Ich sollte mit der Jugend kosen,

Die Wangen srisch, gleich blühenden Rosen. A>och nahm mich früh mein Herz in Zucht, Hab' Sitte, Weisheit ausgesucht.

Da ist die Frische mir geschwunden.

Da Hab' den Schmerz ich früh gefunden. So Pressen Seufzer mir die Brust,

Mir weint das Herz, erblick' ich Lust. . Was nützt die Thräne? Eitel Lug!

Was bringt die Hoffnung? Blassen Trug! Ich soll an Balsams Kraft gesunden,

Und kranke schon an Todeswunden.

Mag früher wol besser gewesen sein; doch was nützt es ihm?

Was soll mein Klagen, Stöhnen,

Daß nicht die Welt vollkommen?

Einst bot sie viel des Schönen,

Ich bin zu spät gekommen.

Er lebte zuerst in Saragossa, dessen Bewohner sicher nicht die schlechtesten unter den Juden Spaniens waren; auch Sachja ben Bakuda, der treffliche Moralphilosoph, scheint dieser Stadt angehört zu haben. Dein Ideal Ga- birol's freilich entsprachen sie nicht: