Abhandlungen.
I. Unser Gottesdienst.
2)ie Frage über die Herstellung des zweckentsprechenden Got- tesdienstes, die Anfertigung eines Gebetbuches zumal für die hohen Feiertage des Neujahrs und des Versöhnungstages drängt sich immer neu auf; sie liegt beispielsweise Gemeinden wie Frankfurt a/M. und Breslau dringend vor. Die geeignete Lösung wird nur er- möglicht werden, wenn man sich die gegenwärtig sich heraus- stellenden Bedürfnisse klar macht; es wird nothwendig sein, deren Zusammenhang mit unserer ganzen Anschauung und mit der voll- zogenen Geschichte des Judenthums tiefer zu erfassen. Wir müssen uns der düstern Unklarheit, wo auf der einen Seite Mangel an Befriedigung vorwärts treibt, auf der andern falsche Friedensliebe zu einem trägen Gehenlassen ermuntert, uns aufraffen, bestimmt das vorläufig erreichbare Ziel in's Auge fassen. Diesem Zwecke sollen die folgenden Betrachtungen dienen.
Das Bedürfniß einer Umgestaltung des Gottesdienstes machte sich vor allem Andern in der neueren Bewegung des Judenthums geltend; an der Schwelle der Reformbestrebungen treten alsbald die Versuche auf, den Gottesdienst zu verbessern. Kaum beruhigt, zurückgedrängt, theilweise befriedigt, erwacht dieses Bedürfniß immer wieder von Neuem, breitet sich über weitere Kreise aus und wird nicht aufhören eine treibende Frage zu sein, bis die Umgestaltung sich durchgreifend vollzogen hat. Das liegt in der Natur des Got- tesdienstes. Er ist der volle Ausdruck der tiefinnersten Ueberzeu- gung, die umfassende Darstellung aller anregenden Glaubenswahr- heiten, aller das Gemüth ergreifenden Ahnungen, er kleidet alle Beziehungen zu Gott, je nach deren Auffassung, in tiefempfundene
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