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Nr. 88

Mir«. 28. August 18SS.

1. Jahrgang.

Die katholische Grundlage und die nationalen Streitigkeiten.

Paradox! wird man zu dieser Ueberschrift sagen. Religion und Nationalität, Katholicismus und nationale Streitigkeit! Welch ein Zusammenhang? Was für Be­ziehungen gibt es zwischen diesen, so von Grund aus verschiedenen Begriffen?

Aber nicht uns gilt dieser Vorwurf. Diese Frage muss an die Adresse des Canonicus K r a s l gerichtet werden. Canonicus Dr. K r a s l überbrachte dem nach T u r n a u einberufenen Katholikentag des czechi- schen Theiles der Leitmeritzer Diöcese Grüße aus Prag und bemerkte unter anderem, es sei die Ansicht des ver­storbenen Cardinals Sch önb orn gewesen, dass sich nur auf katholischer Grundlage die natio­nalen Streitigkeiten beseitigen lassen.

Die Wahrheit zu gestehen, verstehen wir diese An­sicht auch nicht recht. Von welcher katholischen Grundlage spricht eigentlich der Canonicus im Namen des ver­storbenen Cardinals? Er sagt nicht einmal christlich, nur speciell katholisch! Wissen denn die Herren Geistlichen nicht, dass die nationalen Streitigkeiten nicht nur in Böhmen zwischen deutschen und czechischen Katholiken stark sind, sondern auch heftig genug in anderen Ländern unserer Monarchie, in denen nicht ge­rade alle Theile katholisch sind, wie zwischen Polen und Ru t h e n en in G a li zi en, zwischen diesen veioen und den Rumänen andererseits in der Bukowina und zwischen allen und den Inden überall? Wie soll die katholische Grundlage Streitigkeiten zwischen Nationen, die überhaupt nicht katholisch sind, beseitigen?

Wir wissen ganz gut, dass alle Religionen, nicht nur die christlich-katholische, ihre Grundlage in Nächsten­liebe und Friede unter den Menschen haben; wir wissen, dass die geschriebenen Principien aller Confessionen Feindseligkeiten und Streitigkeiten unter der Bevölkerung ausschließen; wir wissen aber auch, wie die katholische Kirche speciell diese Grundlage ins praktische übersetzte, wenn sie an der Macht war. Aber die Streitigkeiten der Nation unserer Zeit haben ihre Ursache nicht in der Religion, und der Katholicismus kann infolgedessen auch nicht ihrHeilmittel sein. Der Nationalitätenstreit liegt ursäch­lich in den Rassenverschiedenheiten, in der speeiellen geschicht­lichen Entwicklung und politischen Stellung jeder Nation. Und die katholische Grundlage hat nicht den mindesten Einfluss weder auf die Streitigkeiten selbst, noch auf die Beseitigung derselben.

Wir als Inden hätten vielleicht diese Bemerkung auslassen können, wenn wir nicht überzeugt wären, dass

auch wir früher oder später in Oe st erreich unsere nationalen Forderungen werden st e l l e n müssen. Dass such wir so manches Unrecht in nationaler Beziehung erdulden müssen, und dass auch endlich unser Volk zu seinem eigenen nationalen Be­wusstsein gelangen und auf seine nationalen Rechte An­spruch erheben wird. In Böhmen selbst hört allmählich der Tanz der Inden nach der deutschen oder böhmischen Pfeife auf, und eines schönen Tages werden dort statt zwei, drei Nationen erwacht sein. Die Juden sind gleichfalls eine besondere Nation, die solange auf dem böhmischen Boden lebt, länger vielleicht als andere Völker dort. Sie hat gleichfalls nationale Bedürfnisse und nationale Forderungen. Dasselbe können wir von Galizien sagen. Auch dort lebten schon Inden nach der Aussage des Dr. Smolka bevor noch die Polen ins Land ein­drangen. Auch sie werden mit der Zeit ihre nationalen Forderungen stellen, und auch Galizien wird ein Land von drei Nationen werden. Und deshalb müssen wir mit aller Kraft protestieren gegen die Ansicht, welche Canonicus Dr. Krasl im Namen des verstorbenen, Cardinals Schönborn geäußert hat. Die Religionen und Confessionen überhaupt haben mit den nationalen Streitigkeiten nichts gemein, und die katholische^ Grundlage könnte nichts davon beseitigen.'

Als religiöse Inden waren wir von den Andersgläubigen verfolgt und verachtet. Als nationale Inden können wir zwar auch von anderen, stärkeren Nationen verfolgt, aber durchaus nicht verachtet werdey. Als religiöse Inden haben wir keine politische Stellung im Lande eingenommen. Als nationale müssen wir dieselbe haben. Wir betheiligen uns doch in allen Landes­angelegenheiten, wir sitzen ja auch in den gesetzgebenden und Verwaltungskörpern. Aber leider als Schleppenträger anderer Nationen. Die Zeit nähert sich, in der wir, zumal in Oesterreich, als Nation auftreten und eigene nationale Interessen vertreten werden. Interessen, die mit der Religionsverschiedenheit nichts zu thun haben. Und wir müssen schon jetzt betonen, dass katholische Grund­lage und nationale Streitigkeiten nicht in Zusammen­hang gebracht werden dürfen.

Jüdische Hausierer.

Von Dr. Arnold Ascher.

Sehr geehrter Herr Redacteur!

Ihrem Ersuchen, Ihnen über die Wirkungen zu berichten, welche das am 1. September d. I. in Kraft tretende Hausierverbot für Wiener-Neustadt auf die jüdischen Hausierer ansübt, komme ich gerne nach, wenn

ich auch vorausschicken muss, dass die Hausierfrage durch­aus keine specielle Judenfrage ist. Mit Unrecht wurde sie in Wien zu einer solchen gemacht,-indem von gewisser Seite, wie ich es auch dem Herrn Hahdelsminister gegen­über hervorgehoben habe, der gewerblHe und konfessionelle Standpunkt vertauscht wurde und man die Worte Hausierer" undJude" oft für i^ntisch erklärt. In Wirklichkeit ist unter den ungefähr 1K000 Hausierern in Oesterreich nur ein kleiner Theil Juden und alle Maß­nahmen, wie sie in der letzten Zeit getroffen wurden, treffen die überwiegende Mehrheit andersgläubiger Hausierer. Der deutlichste Beweis lieferte das über wiederholtes Ansuchen des oberösterreichischen Landtages mit Verordnung vom 16. April 1893, RGB 63 erlassene Hausierverbot für Linz. Schon am ^ 8. Februar 1894 musste Dr. Ebenhoch in der Sitzung des ober­österreichischen Landtages erklären:Durch das Verbot des Hausierhandels im Stadtbezirke Linz ist thatsächlich einer Reihe von Gewerben des oberen Mühlviertels ein Absatzgebiet verschlossen worden, welches dieselben für jbie in ihrer Hausindustrie erzeugten Products früher Iefeffen haben.

In derselben Sitzung setzte Abt Grasböck sich warm ffiir' die Hausierer ein und trat entschieden dagegen auf, .dass man sie als Vaganten bezeichne. .. .

", ... DasZ aber durch die Beschränkungen und die zu­nehmenden Verbote speciell die^üdischeff Hausierer doppelt schwer getroffen, kann allxrdingUstiich/geleugnet werden; kommt ja noch zu den erschwerten^geseWchen Bestimmungen die Praxis, wie sie ja der DorfbürgexAeister und Secretär bei einzelnen BezirkshauptmannschaftM^Ach zurücklegt. Als vor drei Jahren im Deutschen Reichstage ein Hausier­gesetz berathen wurde, welches untergeordneten Beamten eine größere Macht über Hausierer gewähren sollte, äußerte sich der protestantische Abgeordnete Lenz mann in der' Sitzung des Deutschen Reichstages vom 11. Juni 1896:

Die Sache wird darauf hinauslaufen, dass der Gendarm oder Polizist das ganze Gefühl seiner evan­gelischen Macht dem katholischen Hausierer gegenüber ausnützt. Wenn man Mittelstandspolitik treiben will, dann soll man es nicht aus Kosten eines wirtschaftlich Tief­stehenden thun."

Sicherlich sind diese Worte mutatis mutandis auch auf unsere Verhältnisse anzuwenden; diesem armseligen Berufe gegenwärtig nachzugehen, erscheint wohl auch dem enragiertesten Antisemiten nicht als beneidenswerter Beruf. In der Stadt aus den meisten Häusern durch die stereo­type Formel:Betteln und Hausieren verboten" alls­geschloffen, von frühem Morgen bis in die späte Nacht oft mit schwerem Pack beladen, von einem Orte in den anderen zu gehen, gezwungen, jedem Wachmanne oder

Simon Ezioni.*)

Der zukünftige Literathistoriker, dem die Aufgabe zufallen wird, die hebräische Literatur unserer Zeit zu behandeln, wird an der belletristischen eine harte Nuss zu knacken haben. Cr wird schwerlich sagen föuuen: Das bat sie angestrebt und das hat sie erreicht. Die verhältnis­mäßig große Zahl von Novellen und Romanen, die im letzten Decennium, insbesondere in Russland, ans den Markt geschleudert wurden, haben so wenig an Einheit­lichkeit auszuweisen, arbeiten mit so verschiedenen Mitteln, dass man von einer Richtung eine Strömung schon gar nicht zll erwähnen nicht sprechen kann. Es wird wohl in diesen Büchern eines angestrebt, nänilich citi abstractes Ziel: die Moderne. Aber es wird da so wenig originell gearbeitet, dass man in fast jedem zweiten Buche bett Zola, Maupassant, Garborg, H a in s u n oder irgend einen anderen Vertreter der Modernen und Modernsten erkennt. Deshalb sieht sich auch die War­schauer Biblivthek-VerlagsanstaltTnschia" verpflichtet, in ihrer Bücherei alles vertreten zu haben, vom Engländer, der sich der wildromantischen Naturmalerei befleißt bis zum Norden, der bis in die tiefsten Tiefeil der Seele zu schauen glaubt, vom Naturalisten bis zu dem extremstell der Decadenterr.

Es ist dies eben die Unsicherheit der jungen aufstrebenden Literatur. Wir haben eine Uebergangs- periode vor uns, die aber unmöglich lalige dauern kann, weil alles bei der rührigsten Arbeit sich befindet.

*) Simon Ezioni. Roman auS den Achtzigerjahren von I. I. L e w o n t i n, VerlagTuschia", Warschau. Druck von M. I. Halter und Comp.

Hie und da erscheint unter diesen vielen Büchern eine gute Erzählung, die es verdient, gelesen und be­sprochen zu werden. Hie und da begegnet man doch einem Autor, der diesen Namen verdient. Der Autor der vor­liegenden Erzählung ist ein solcher, er arbeitet originell und mit Begabung.

Der Name des Buches ist auch der seines Helden. Simon war einer jener wilden Thunichtsgute, denen rvir im Ghetto begegnen und aus die das biblische Charakteristikon JsmaelsSeine Hand ist an allem, und die Hand aller an ihm" sehr gut passt. So wie wir ihn an der Spitze aller Gassenjungen im Städtchen erblicken, sehen wir ihn auch an der Töte einer akademischen Jüng­lings schaar, die, gedrückt vonr eisernen Joch der russischen Freiheitsbeschränkungen, fernen Idealen im Schweiße ihres Angesichtes nachtrabt. Ezioni liebt ein Mädchen seit seiner ersten Jugend. Sie ist die Tochter armer Eltern, kommt ihm an Bildung nicht gleich, steht ihm aber an innerer, angeborener Intelligenz nicht nach. Sie ernährt nach dem Tode ihres Vaters sowohl die Mutter als auch den greisen Großvater und findet noch innner Zeit, Lectüre zu betreiben uttb über Zeitfragen sich zu unter­richten. Sie ist sich ihrer besten Eigenschaften nicht bewusst. In der Liebe zu Ezioni geht sie ouf. Ihre von den seinigen so himmelhoch entfernten Ansichten über Religion und Nationalität bilden kein Hindernis ihrer Liebe.

Zum Doctor der Rechte pronioviert, sucht Eziorli als Jude vergebens einen Posten. Er wird endlich wegen seiner politischen Gesinnmmg nach Sibirien deportiert, ruohin ihn Sarah, die inzwischen seine Frau geworden ist, freiwillig begleitet, um ihm am schweren Kreuz des

Schicksals tragen zu helfen. Die Schilderung des kalten Nordens und der Qual der Deportierten ist im Buche mit Begabung durchgeführt. t L

Vom Exil heimgekehrt, findet Ezioni Beschäftigung in einem der größten Handelshäuser Russlands. Er avanciert infolge seiner Fähigkeiten mit unglaublicher Raschheit, so dass er endlich einer der Hauptleiter des Hauses wird. Der Reichthum fließt ihm zusehends ins Haus. S a r a h merkt wohl seine innere Aenderung, die mit der Zunahme seines Neichthums wächst, seine satyri- schen Ergüsse über Religion und Nationalität schneiden ihr tief ins Herz, aber sie hört nicht aus,. ihn mit jener ruhigen, von jeder Krankhaftigkeit freien Liebe zu lieben, mit jener selbstlosen Liebe, wie wir sie noch bei unseren Großmüttern erblickten. Er aber hat sich einer anderen zu­gewendet. Er liebt ein Mädchen namens Alexandra L e w i n, ein bildhübsches, sehr oberflächliches, aber modern angestricheues Wesen, das sich zuerst dern akademischen Studium gewidmet, später aber in richtiger Beurtheilung seines Talentes, dasselbe fahren ließ,- um sich bem Con- servatorium zuzuwenden. Alexandra ist eines jener Mädchen, denen wir sehr oft in Gesellschaft begegnen, die über alles zu sprechen sich ermessen, obwohl sie nichts verstehen, denen wir aber alles, sogar ihre crasse Ignoranz, wegen ihrer Schönheit verzeihen. Simon Ezioni, den ihre Erscheinung verblendet, erblickt in ihr das moderne Mädchen, das/über Religion und Nationalität erhaben, seine Anschauungen innner theilt, und verliebt sich in sie über Hals und Kopf. A l e x a n d r a verkehrt bei Ezioni und spinnt in seinem eigenen Hause immer enger um ihn ihr Netz. Sarah merkt nicht das schnell schreitende ilnglück. Als ihr endlich ihre Schwester