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Wien, Freitag
Jüdisches Volksblatt
2"). August 1890
Nr. 28
Gendarmen sein Hausierbuch vorzuweisen, in jedem Orte den er betritt, sich der Behörde vorzustellen und sein Visum einzuholen, von übermüthigen, wenn nicht auch böswilligen Passanten und Concurrenten bedroht, — gewiss, einen deutlicheren Beweis, dass nicht alle Juden Millionäre sind, könnte man nicht liefern.
Man vernimmt so oft den gewiss gutgemeinten Rath, die Hausierer sollen einen anderen Beruf ergreifen; dürfte ich nicht mit Recht an anderer Stelle hervorheben, ob man denn wirklich glaube, dass ein jüdischer Familienvater sein Kind zum Hausierer erziehen will. — V e r- g i s s l m a n d e n n, d a s s d i e Z a h l d e r G e s ch ä f t e, s e l b st j ü d i s ch e r Ges ch ä f t e, i m m er größer w i r d, i n w e l ch e n n u r ch r i st l i ch e P r a k t i- kanten und B u ch h a l t e r n u f g e n o m m e n werden? Ist es vielleicht ein Geheimnis, dass ein christlicher Handwerker fast niemals jüdische Lehrlinge ausnimmt, und ist es diesen Rathgebern unbekannt, dass der kleine jüdische Geschäftsmann, wenn er nicht genug Capital besitzt, um einen besonderen Betriebszweig zu ergreifen, mit den größten Sorgen zu kämpfen hat? Nur wenn jemand mit allen seinen Hoffnungen Schiffbruch erlitten, bemüht er sich um ein Hausierbuch.
Angesichts dieser Verhältnisse müssen deshalb gerade die jüdischen Hausierer der Zukunft mit großer Besorgnis entgegensehen, und es wäre nur zu wünschen, dass wenigstens ein Uebergangsstadium geschaffen werde, das es ihnen ermöglicht, sich allmählich anderen Berufen zuzuwenden.
Indem ich Ihnen für die Ausnahme dieser Zeilen bestens danke, zeichne ich als Ihr ergebener
(Von unserem Special-Berichterstatter.)
Basel, 16. August.
In der heute abgehalteuen Nachmittagssitzung wurde zunächst die Debatte über den Rechenschaftsbericht des Actions- cvmites fortgesetzt. Die Redner aus den verschiedenen Ländern schilderten die dortigen Verhältnisse der Juden und constatierten durchwegs ein Anwachsen der zionistischen Bewegung. Nach einer ziemlich ausführlichen Discnssion, welche stellenweise durch ein Missverständnis einen sehr erregten Verlauf nahm, wurde dem Actionscomite die Decharge ertheilt.
Sodann erstattete Del. W o l f s s o h n, der Präsident der Colonialbank, über dieses neue Institut einen eingehenden Bericht, welches er neben dem Cvngresse als eine Errungenschaft des jüdischen Volkes in dem zu Ende gehenden Jahrhundert bezeichnete. -
In der sich e daran anschließenden Nachtsitznng, die bis 2 Uhr morgens währte, wurden bezüglich der Bank verschiedene Wünsche geäußert und deren Berücksichtigung verlangt. Insbesondere stellte Professor Bielkowski namens der Russen eine Reihe von Abänderungsanträgen zum Bankstcitut, welche den bereits erwähnten § 1 der Statuten (örtlicher Wirkungskreis der Bank), dann die Ueberlassung von Gründeractien durch das Actionscomite an die derzeitigen Directoren, endlich den Vertrag betrafen, der zwischen dem Actionscomite und den einzelnen Gründern der Colonialbank, sowie den einzelnen Mitgliedern untereinander zur Sicherung des zionistischen Charakters der Bank geschlossen wurde.
Basel, 17. August.
In der, heutigen Vormittagssitznng gab Dr. H e r z l zunächst eine Reihe von gestern zum Finanzberichte gewünschten Details und erklärte sodann in Beantwortung einer vom Del. Dr. Werner gestellten Interpellation, dass er in seiner Eröffnungsrede die Erlangung eines türkischen Charters nur als den nächsten praktischen Schritt zur Schaffung der öffentlich-rechtlichen Garantien ausgestellt habe und dass selbstverständlich dadurch an dem zionistischen Programme nicht das mindeste geändert werde.
Sodann wurde die Debatte über den Bericht des Bank- comites fortgesetzt, welche einen sehr erregten Verlauf nahni, da die russischen Delegierten auf ihrem Standpunkte beharrten, dass die sieben Gründershares jeweils voni Congresse ver-
Miriam, das Muster eines jüdischen Mädchens, welche in derselben Stadt als Zahnärztin prakticiert, die Augen öffnet, ist es bereits zu spät. Ezioni schickt aus weiter Ferne seiner Frau einen Scheidebrief und heiratet A l e x a n d r a.
Ezioni ist ein moderner Jude. Er besitzt keine besondere Fachkenntnis, dafür aber den durchdringenden scharfen Verstand, die Fähigkeit, das Leben zu nehmen, wie es ist, jede noch so geringfügige Gelegenheit für sich auszunützen und auf den Köpfen anderer sich in die Höhe zu schwingen. Reich und unabhängig geworden, fühlt er eine unwiderstehliche Versuchung, mit seiner Nation zu brechen, wenn er auch die Religion derselben beibehält, mehr aus angeborener Furcht als aus Ehrgefühl oder gar Ueberzeugung. Er ist von Natur aus nicht so schlecht wie egoistisch angelegt. Es schmerzt ihn, seine Jugendgefährtin von sich zu stoßen zu müssen, er muss es eben aber thun, denn in ihm beginnen sich erst die Geister des Lebens zu regen, in ihr aber schon abzusterben. Er sucht seiner inneren Schwäche durch Berufung auf große Männer den Anstrich des Tapferen, ja sogar des Guten zu verleihen. Nietzsche leistet ihm dabei die besten Dienste.
„Das Leben" —so raisonniert Ezioni — „ist ein hoher Berg, den alle Lebenden zu erklimmen suchen. Die
liehen werden sollen, w ä h r e n d d a s Actionscomite die Z n t h e i l u n g dieser Gründeractien dem jetzigen D i r e c t o r i n m auf Lebenszeit z n- g e s i ch e r t h a t t e. Dr. H e r z l erklärte schließlich, dass es nicht angehe, diesem namens des Congresses vom Actionscomite gegebenen Versprechen untren zn werden, und dass er sowie bas Comite im Falle einer Desavouierung durch den Congress genöthigt wäre, daraus die C o n s e q n e n z e n zu ziehe n. Diese Erklärung rief eine große Bewegung unter den Delegierten hervor, und es kam schließlich ein vom Actionscomite acceptiertes Compromiss zustande, nach welchem die ver sprochenen 7 Gründershares den bezeichneten Personen nach Maßgabe des Bankstatuts überantwortet werden. (Dieser Beschluss ist allerdings nur als ein formeller zu betrachten, da die Russen offenbar aut dieses Compromiss nur unter der Bedingung cingiengen, dass das Directorium ans die Annahme der Shares verzichtet. Dieser Verzicht wurde auch in der Generalversammlung ausgesprochen.)
Dieser Antrag wurde in der Nachmittagssitznng mit allen gegen sieben Stimmen, die Resolution des Dr. B r u cf. der Direction in Form einer Adresse Dank und Anerkennung ausznsprechen, einstimmig und unter stürmischem Beifalle an genommen.
Namens des Culturansschusses entwickelte sodann der Chiefrabbi Dr. G a st e r in einem glänzenden Vortrage seine Anschauungen über das Verhältnis des Zionismus und de Congresses zur Culturfrage.
Zur Organisatiousfrage sprach hierauf Dr. Kahn für das Actionscomite, Dr. Klee (Bonn) für den Organisationsausschuss, welcher ein neues Organisationsstatnt ansgearbeitet hat
Auch darüber entspinnt sich eine sehr lebhafte Debatte, in ivelcher von den Landsmannschaften die verschiedensten Wünsche bezüglich der Organisation geäußert werden.
Wegen der heute abends stattfindenden Generalversammlung der Colonialbank wurde die Sitzung um einhalb 7 Uhr geschlossen.
Basel, 17. August.
Heute abends fand hier eine außerordentliche Generalversammlung der Jüdischen Colonialbank statt, welche die Abänderung einiger Bestimmungen der Statuten zum Gegenstände hatte. Was insbesondere die bereits mehrmals von den Con- gressdelegierten gerügten Bestimmungen über den örtlichen Wirkungskreis der Bank anlangt, so wurden folgende Vorschläge gemacht:
I n Z 1 des M e m o r a n d u m s, Abs ch n i t t III, P u n k t 1, soll es heißen statt:
1. Zn fördern, zu entivickeln, zu betreiben und zu führen : I n d st r i e n, Unternehmungen und C o l o n i s a tonsarbeiten in Palästina, Syrien oder, wenn es na ch der Mein an g des z u r Zeit der Gesellschaft an- gehöörenden Aufsichtsrathes (der in den Original- Gesellschaftsartikeln definiert ist und hier später der „Rath"
schlechtweg genannt werden soll) im Interesse des jüdischen Volkes gelegen i st, a u s j e d e Weise in irgend ein em an d er e n The i l e d er Welt und an irgend
einem Orte oder in irgendeine in Lande.
1. Zu fördern, zu entwickeln, zu betreiben und zu führen: C o l o n i s a t i o n s a r b e i t e n im Orient, vorzüglich in P al ä sti n a u n d Sy ri e n. Ferner zu fördern, zu entwickeln, zu betreiben und zu führen: Industrien, Unter- n e h in u n g e n i n P a l ä st i n a, Syrien oder, w e n n e s n a ch d e r M e i n u n g d e s z u r Z e i t der Gesellschaft a n g e h ö r e n d e n A n f s i ch t s r a t h e s (der in den Original- Gesellschaftsartikeln definiert ist und hier später der „Rath"
schlechtweg genannt werden soll) i m I n t e r e s s e des jüdi
schen Volkes gelegen ist, aufjedeWeisein irgend ei uem and eren Th e ile d er Welt und an irgend einem Orte oder in irgend einen: Lande.
Ferner wurden bezüglich der Baukorganisation einige Abänderungsanträge gestellt. Nach einer längeren Debatte, welche sich um die Durchführbarkeit dieser Statutenänderungen nach englischen Gesetzen drehte, wurden die Anträge des Directorinms acceptiert.
Zu Beginn der Versammlung gab der Präsident namens des Directorinms die Erklärung ab, dass sie ans die ihnen verliehenen Gründershares verzichten, da diese Znerkennung nicht freiwillig erfolgt sei.
An die außerordentliche schloss sich eine ordentliche Generalversammlung, in der der Bankpräsident Wolffsohn den Bericht über die Geschäftsthätigkeit der Bank erstattete. Die Bank sei insbesondere von den Londoner Fiscalbehörden des öfteren als eine noch nie dagewesene Schaffung von riesen-
Absteigenden können sich unmöglich mit den Aufsteigenden verbinden. Ich steige hinauf und meine Frau ist bereits im Absteigen begriffen."
Außer der Hauptfigur wird noch eine ganze Reihe interessanter Gestalten in dem Romane vorgeführt. Malkin, ein jüdisch-nationaler Student (der sich später mit M i r i a m verheiratet), ist eine bis ins kleinste feingezeichnete Gestalt. Freilich ist hie und da etwas übertrieben. Das Ehepaar Chaimoritz, dass unter sich fortwährend zankt, in Gesellschaft aber als Ideal eines Ehepaares gilt, ist ein gelungener Abklatsch der jüdischen Bourgeoisie. Der jüdisch-nationale Verein „Bnei-Zecharjoh" ist mit einer Lebendigkeit gezeichnet, wie sie nichts zu wünschen übrig lässt.
Freilich ist das Buch van Mängeln nicht frei. Was den expositionellen Theil des Romanes, also hier die Vorgeschichte Ez i o n i s betrifft, ist derselbe insofern misslungen, als man sich im Laufe der Erzählung plötzlich einem Charakter gegenüber sieht, auf den man gar nicht vorbereitet war. Ferner sind die Auseinandersetzungen E z i o n i s gegenüber K i t e l s o h n nicht überzeugend genug, als dass letzterer sich nicht fürchten sollte, seinem Rivalen dem
haften, immer wachsenden Dimensionen bezeichnet worden. Die Ausgaben haben bis jetzt 7106 Pfund Sterling betragen. Bis heute sind 000.000 Aktien gezeichnet worden.
Die abtretende Bankdirection, welcher über Antrag des Actionärs Dr. Weitzmann (Genf) der Dank ausgesprochen wurde, wurde sodann wieder-, uns Dr. K a tz e n e l s o h n (Lieban) nengewählt.
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Basel, 18. August.
In der heutigen Vormittagssitznng des Congresses wurde zunächst die Debatte über die Organisation zn Ende geführt und die Vorlage des Organisationsansschnsses mit einer kleinen Aenderung angenommen. An der Debatte betheiligte sich auch Sir Francis Montefiore, der Neffe des berühmten Sir Moses Montefiore, welcher sich als Anhänger des politischen Zionismus bekannte.
Dr. K a h u erstattete sodann seinen Bericht über jüdische Cnltnrfragen, in welchem er es als Aufgabe des Congresses bezeichnete, durch Förderung des Unterrichtes in jüdischer Geschichte und Sprache dafür zu sorgen, dass die jüdische Cnltnr nicht nntergehe, welche eine große Vergangenheit und Zukunft, aber keine Gegenwart habe. Auch über dieses Thema entspinnt sich eine ausgedehnte Debatte.
Nach Erledigung der übrigen Punkte der Tagesordnung — Organisation und Colvnisation — für die sich infolge de: kurzen, dem Congresse noch zur Verfügung stehenden Zeit und der allgemeinen Ermüdung nur ein gemindertes Interesse knudgab, wurde die Wahl des Actionscomies vorgenommen, und das engere Actionscomiie in seiner bisherigen Zusammensetzung wiedergewählt. In das große Comite wurde für England auch Sir Francis M o u t e f i o r e bestellt.
Sodann schloss Dr. Herzl mit einer kurzen Ansprache den III. Congress.
Basel, 18. August.
Zur Feier des Geburtsfestes des Kaisers veranstalteten die hier lebenden Oesterreicher in der Synagoge einen Fest- gottesdienst, bei welchem der englische Chiefrabbi Dr. Gaste r eine Ansprache hielt, die die Tugenden des österreichischen Kaisers pries und mit dem Gebete für ein langes Leben des Monarchen schloss. An dem Festgottesdieuste nahmen neben den hier weilenden österreichischen Congressdelegierten zahlreiche Delegierte ans fremden Staaten theil. Auch ivnrde eine Glückwunschdepesche abgesandt.
Die Assimilation unter „Fackel"beleuchtuug.
Seit unserer Notiz über die sonderbaren Gedanken, die in der „Fackel" über die Assimilation der Juden laut wurden, hat ein hiesiger hervorragender Jude es versucht die ausgesprochenen Ansichten zu widerlegen. Er ist dabei übel angekommeu. Der früher so „objeetive" und dem Tvdtschweigen abholde Herr- Kraus, ist, seitdem er selber Zeitungsheransgeber geworden, zur Ansicht gekommen, dass „es mit der Objektivität eine schöne Sache sein mag", aber selber sie zu pflegen, liegt kein Grund vor für Herrn Kraus, weil „jedem, der zur Oeffentlichkeit spricht, das Recht zusteht und die Pflicht (!) seine Einseitigkeit dort zu vertheidigen, wo es sich nicht um genaue Feststellung der Thatsachen, sondern um ihre Wertung handelt." Er hat darum den Brief des obgenannten Mannes abgewiesen nnd, damit man die „Wertung des Gegners" nicht am Ende doch lese, seinen Lesern verschwiegen, dass der von ihm abgewiesene Brief in einem anderen Blatte erschienen ist. Dafür polemisiert Herr Kraus in seiner Art — mit dem Daumen im Westenloche —■ gegen den Brief und stellt seine Ansichten als derzeit noch von wenigen getheilte hin. Dass das eine Lüge ist, eine bewusste U u Wahrheit ist, weiß jeder, denn die Assimilationsjndett sind z. B. in der Heimat des Herrn Kraus in der entschiedenen Majorität. Natürlich geht Herr Kraus in eine sachliche Besprechung der Gegengründe nicht ein, cr verdammt sie nur; er hat eben von seinen Gegnern trefflich gelernt. Er ist jetzt für die Moral derjenigen Kirche, „die alles enthält, was die Gebildeten glauben und vom Nebensächlichen, das befremdet und beschwert, am freiesten ist." Wie sich Herr- Kraus eine solche Kirche vorstellt, das sagt er nicht. Er hat ja auch nur sein Blatt für negative Arbeit gegründet; negieren, frozzeln, Satyriker spielen, das ist seine Aufgabe. Da sollte er sich eben, wie schon gesagt, nicht mit ernsten Ideen abgeben, sondern bei der „N. Fr. Pr." und bei seinem Froschmänsekrieg gegen die Windmühlen, die er überall sieht, bleiben. Den „Don Quixote aus Nachod" kann man sich allenfalls gefallen lassen; wenn er aber den Ritter Bayard spielen will, muss man ihm auf das große Maul klopfen.
Chef des empfehlen.
Hauses vorzuführen und
aufs I).
wärmste zu Rotliblum.
Die „Ostd. Rundschau" und die Juden. Das
Provinzblatt in der Ungargasse steht mit den Inden auf ungeklärtem Fuße. Insoweit sie Bankausweise zn vergeben haben, ist sie ihnen gut, sie nimmt, ohne zn riechen; insoweit die Inden bei Wahlen mitthun, lässt sie sich sie gefallen, sie bringt es sogar übers Herz, sie pauschalier mit den Liberalen auf- zufvrdern, gegen den „gemeinsamen Feind vorzugehen." Aber sie hat in der Provinz zuviel materielle Interessen zu besorgen und muss ihren Agenten dort viel Spielraum lassen,
weil die sonst leicht den Dienst einstellen. Da liest man denn ab und zn Gemeinheiten, für welche die Redäetion selbst nicht gerne die Verantwortung übernimmt, die aber drin stehen
müssen, weil es der provinzlerische Abonnentensammler so will. Zum Beispiel in der Mittwochnummer die Correspoudenz ans Wels. In der gemeinsten Weise wird da ein Mädchen angerempelt, weil sie angeblich Jüdin ist und beim Deutschen Schnlvereinsfeste Blumen verkauft hat. In der unfläthigsten Weise werden alle Juden für die „Sünde" des armen
Fräuleins verantwortlich gemacht und ihnen vvrgewoifen, warum