Nr. 18
Wien, Freitag
Jüdisches Volksnah
1. Mai 1,M
8rite 5
Zwei Kongresse. (Oviiv .Uovv.) Zu B r a i l a hielten bic= jeuige» Juden, uu'tdjc ihrer Nhlitärvslichl ('H’itüno geleistet haben, ihren 7. Kongreß ab. Ten Borsil; führte .Fiat brat;. Wie der ganze Kongreß litt aneh seine hie de unter einem übertriebenen B y z a n t i n i s m u S. C a tz, der schon längere e,eit das Bürger recht besitzt, lritisierte mit Strenge den Mangel an Lall, den inan bisher im Kampfe »nn die Bürgerrechte bekundete (?). Cr stelle fid) nnr daicn an die Spitze, me;;;; man ilyn folgen werde. Ter rmnänlscl>e Jude iitnsz anders sein ivie die ausländischen Juden. (Tr ist schon heute „anders" ivie die auslniwischen.) Tie Liebe des ruinänischen Bauers zun; Laude soll den pudert als Beispiel voranlenchten. (Se!;r gut. Nur besteht der kleine Unterschied, das; die ruiuänijcheu Juden mit Ausnahme des Herrn C a t; mtd eilt paar Ttlheitd Auserlesener iiberhaupt keilt anb eriuerbeit, nicht einmal am Laude rvohitcit dürseit. Wie sic unter diesen Umständen mit dem Bauer iverreisern könnten in der Liebe zun; Lande, bleibt eilt Reistet.) Wir inollen zeigen, das; ivir gute Patrioten sind, das; tvir in erster Linie das Glück des Landes ivünschen. Wir brauchen eine Statistik der einheimischen Juden u. s. >v. Ter ganze Kongreß ist ein Beweis, das;, katim die ärgsten Berfolgmtgen ausgehört habeit, die Verfechter der ruinänischen A s s i m i l a t i o die Roiimnisierer, schon stark ihr Haupt erheben. Glauben diese Herren ivirklich, mit solche>t patriotischei; Komödien die verbissenen Gegner der Juden eitles Bessereit ztl belehret; r Wir wollen aber zu ihrer Ehre koitstatiereit, das; die Telegramme, die die Wiener „liberalen" Blätter brachtet;, iitsoiveik erlöge i; ivaren, als der Lopgres; doch nicht so iveit ging, gegen Beritnrd L a z a r e ztl protestiere;;. Tas hnbei; sich die Wiener ^chinöcke aris den Fingern gesogen. — Gleichzeitig fand in Jassy eilt zionistischer Kongreß statt. Es sprächet; Tr. 4! i e in i- r o iv e s, Tr. Lippe, Stacht itnb Lindere. Sllle kstedner hobe>; die Notwendigkeit hervor, schon iir der S ch n l e die ilationateir Ideale zu pfleget;. Ich ;;;ache sie auf;;;erksa;n, das; die Negier;l;;g ivieder eii;e Kampagne tu der österreichischei; ;ii;d deutschen B o r s e ;; p r e s s e zu ihren (fünften inizeitiert. Tie Situatioi; des Kabinets Stourdza gestaltet sich iitsolge der Enthnttnngei; über den Sltislosungsschivii;del immer schtvieriger. Biititei; kurzeir; soll das Monument Iva»; Bratiatins enthüllt iverdei;, jei;es Führers der heute regierenden Liberalen, der unter der passiven Zustimmung der Wiener Blätter die helltige s;isten;atische anti- semitische Gesetzgebung i;;a;rgurierte. Das Rlomnnent e;;thält mehrere Basreliefs, darunter eines, das den König als v e r- kleidet e i; Diene r darstellt, der sich unter Fiihrultg B r a- t i a ;; ll s >;ach Run;ä>;ie>; schleicht. Sehr helde>;hast ! Wir vernüssei; ein Basrelief, das B r a t i a n it darstellt, ivie er die auslättdische Presse besticht.
Zur Hygiene des studentischen Lebens. Ein Leser unseres Blattes sendet uns die Abschrift eines Briefes ein, den Geh. Medizinalrat Prof. Senator an ihn gerichtet hat. Der Empfänger des Briefes glaubte die Bemerkung gemacht zu haben, daß der Tabak in jüdische;; Kreisen, namentlich bei den Studierenden, in hohem Masse schädlich wirkt, und schrieb darüber an Pros. Senator. Die Antwort, zu deren Veröffentlichung der Empfänger ermächtigt wurde, dürste bei der wissenschaftlichen Bedeutung des Briefschreibers vollste Beachtung in jüdischen Kreisen verdienen.
Während die Gefahren, welche der A l k o h o l m i ß b r a u ch für die Gesundheit herbeiführt, jetzt nicht bloß den Aerzten allgemein bekannt, sondern auch in den weitesten Laienkreisen endlich anerkannt und gefürchtet werden und während die Bekämpfung dieses Mißbrauches jetzt Gegenstand vielfacher Brstrebungen und das Ziel vieler Mäßigleits- und Enthaltsamkeits-Vereine ist, gilt der Tabak als ganz oder fast ganz unschädlich. Jedenfalls sind die schädlichen Folgen, des Tabakmrßbrauches, insbesondere des übermäßigen Rauchens im Publikum viel zu wenig bekannt und werden auch von manchen Aerzten noch unterschätzt.
Dies erklärt sich daraus, daß das Rauchen langsamer seine Wirkungen entfaltet, als der Alkoholgenuß, und daß oie danach auftretcnden Erscheinungen weniger augenfällig und weniger stürnüsch verlaufen. Darum werden die im Gefolge übermäßigen Rauchens allmählich, bei dem einen früher, bei dem anderen später sich einstellenden Symptome übersehen oder nicht beachtet, oder falsch gedeutet, das heißt anderen Ursachen zu- geschriebeu.
Zu diesen Symptomen gehören Störungen der verschiedensten Organe, so von seiten des Herzens: Herzklopfen, Beklentmungsgesühle, unregelmäßiger und aussetzender Puls; voi; seite;i der V e r d a u u n g s o r g a;; e : Trockenheit in; Mund und Rachen mit Kratzen und Schluckbeschwerden (der bekannte Raucherkatarrh), Appetitlvfigleit, Unregelmäßigkeit drr Stuhlentleerung; von seiten des N e r v e n s y st e m es : Eingenommenheit des Kopfes, Schwindelgefühl, Ohrensausen, Schlaflosigkeit, Störungen der Geschlechtsfnnktionen und anderes mehr.
Alle diese Erscheinungen können, wenn das Nattchen rechtzeitig eingestellt oder wenigstens, erheblich eingeschränkt wird, wieder verschwinden, ohne dauernden Schaden zu hinterlassen. Andernfalls aber bilde;; sich, wenn au.ch erst im Verlaufe von Jahren, bleibende Veräitderungen und Schädigungen der Organe aus, die nicht weniger verderblich sind, als die durch Alkohol- rnißbrauch hervorgerufenen Krankheitszustände.
Bor allen; sind es die Blutgefäße, welche bei fortgesetztem Tabaknnßbrauch mit der Zeit erkranken. Es konunt zu Verkalkung der S ch l a g (Puls) a d e r n und je nachdem angegriffene;; Aderbezirk zu Erkrankungen des Herzens, oder des Geht r u s, oder der Nieren, oder aller dieser Organe zu- sanunen. In anderen Fällen sind es wieder mehr die Nerven, welciie geschädigt werden, so daß die verschiedener; Formen der Nervös i t ä t oder 9t e n r a st e ;; i e, Unlust und Unfähigkeit zu ernster Tätigkeit, Verstinnnung und Reizbarkeit, Abnahme der geistigen und körperlichen Energie, Impotenz u. s. u>. entstehen, rnit einem Worte ein vorzeitiges G r e i s e n t u
Mir sind in; Laufe der Jahre gerade aus Rußland, wo besonders viel Mißbrauch rnit Zigaretten getrieben rvird, eine große Zahl von Personen (darunier auch besonders Aerzte und Advokaten) vorgekonnnen, die rnit 50 Jahren ergraut waren und den Eindruck von Greisen nrnchten, hauptsächlich infolge über- mvß-geu Tabakraucheiis, wenn auch andere Monrente (Ent- behrnugen, Sorge, frühere Ausschweifungen) häufig unt inr Spiele waren.
Wie es scheint, wirkt übermäßiges Rauchen von Z i gare l t e u schädlicher, als von Zigaren oder von Pfeifen, vielleicht weil zu jenen ein anderer stärkerer Tabak verwendet wird, vielleicht sind auch die Dämpfe des mitverbrenueuden Papiers oder andere, nur nicht bekannte, llinstände von Bedeutung.
Die Gründe, ;varu»; gerade unter den jüdischen, zumal unter den russischen Studenten das Rauchen so außerordentlich verbreitet ist, liegen auf der Hand. Die größte Mehrzahl derselben ist uüt den;, was mau „Glücksgnter" nennt, nicht übermäßig gesegnet und muß auf mancherlei Vergnügungen und Zecstreuuugen, die ihre besser gestellten Alters- und Standes- genossen sich verschassen können, mehr oder weniger verzichten, darunter na;;;e>;tiich aus das wüste Kneipenlebeu, das auch wohl ihren Gewohnheiten und Neigungen wenig znsagt. Dafür bieten ihnen die zugleich weniger kostspieligen Zigarren oder Zigaretten einigen Ersatz. Wenn sie die ersten Nnaunehnilichkeiten, nielche der Neuling i»; Rauchen dnrchzumaehen hat, überwunden haben, ist ihuen das Rauche;; Genuß, Zerstreuung und Trost, die ihnei; über ;;;ancherlei Bitternisse des Lebens hinweghelsen. Ja, vielen wird durch daS Rauchen die geistige Arbeit erleichtert.
Darun; ist gegen einen mäßigen Genuß des Tabaks nichts einzuwondei«, nan;ei;ilich wenn schwere importierte Zigarren vermieden werden, lknd diese werden wohl von den wenig begüterten Studenten nicht mißbraucht werden. Schädlich ist hier, ;vie überall, das Nebermaß. Da die individuelle Toleranz sehr verschieden ist, das heißt einer mehr verträgt als ein anderer, so läßt sich ein bestinmttes, von jeden; einzuhaltendes Maß für das Tabalrauchen so wenig wie für andere Genüsse festsetzen. Ganz in; altgerneinen dürften drei, höchstens fünf leichte Zigarren mittleren Kalibers oder acht bis zwölf Zigaretten die tägliche Menge darstellen, ivelche bei länger fortgesetzten; Rauchen nicht oder allenfalls nur in ganz seltenen Ausnahmsfällei; überschritten iverden sollte. Vor den; 18 oder 20. Lebensjahre sollte überhaupt nicht mit den; Rauchen begonnen werden. Daß endlich bei gensissen Krankheitszuständen oder Krankyeitsanlagen das Rauchen ganz zu unterbleiben hat, ist eigentlich selbstverständlich, wird aber in; jugendlichen Leichtsinn gar zu oft vergessen.
Chicago. (Kongreß des a m epikanische n j ü d i - s ch e n G e m e ! ndeb ;> n d e s.) Vor kurzer Zeit hielt der amerikanische jüdische Gemcindcbund „Union of American Hebrciv Con- grcgcitions" seine 18. Versammlung ab, welche seit 30 Jahren regelmäßig alle zwei Jahre stattznfinden pflegt. Die Bedeutung dieser ältesten jüdischen Organisation in Amerika hat, seitdem das kon- serbatibe Elenrent infolge der starken Emigration einen mächtigen Zuwachs erfahren hat, wesentlich abgenommen. Dennoch dürfte die Union noch lange ihre Rolle nicht ansgespielt Habei; und gerade die letzte Versammlung hat bewieset;, daß die Uilion noch berufen ist, das Schicksal des amerikanischen Judentums lebhaft zu beeinflussen. Die Versamnrlung wurde von dem Vizepräsidenten Woolner mit einer. Ansprache eröffnet, in welcher der Vertreter der von Jsaac Wise begründeten Union vor dem konservativen Judentum eine tiefe Ver- beugnlig machte und namentlich die Reorganisation des konservativen „Jüdischen theologischen Seminars" in New-Uorl mit Freuden begrüßte. Der Kassenbericht wies für das berflosserie Jahr eine Einnahme von 74 000 Dollars auf. Mr. Wolfs, Vorsitzender des Komitees zum Schutz der bürgerliche>; und religiösen Rechte der amerikanischen Inden, berichtet über die Bemühungen des Mr. Gold- vogle für dei; Schutz der nach Rußland reisenden amerikanischen Juden und hebt hervor, daß Rußland der Hort des Antisemitismus in Europa ist und daß n;an in Rumänien für die Juden nichts wird erreichen können, so lange der mächtige russische Nachbar die Juden ungestraft malträtieren darf. Auf seine Veranlassung wurde seinerzeit Mr. Benjamin Peizotto zum amerikanischen Gesandten in Rumänien ernannt und nun hofft er es durchzusetzen, daß die Vereinigten Staaten ihre rumänische Gesandtschaft wieder errichten und womöglich einen Juden als Gesandten nach Rumänien schicken iverden. Mr. Wolfs fügte hinzu, daß in Washington nicht ein Hauch von Antisemitismus zu spüren sei, daß ferner in den maßgebenden Regierungskreisen nicht die geringste Bestrebung zur Verminderung der Einwanderung besteht, und daß namentlich niemand daran denkt, eine;; Unterschied zwischen jüdischen und nichtjüdischen Emigranten zu machen. Das Komitee verfolgt jetzt das dem Senat vorliegende neue Einwanderungsgcsetz sorgfältig, und es sei ihm bereits gelungen, manche ;>nerwünschte Vestimmnngcn ans demselben zu entfernen. Gegenivärtig sind Verhandlungen im Gange, dem Jargon die Anerkennung als europäische Sprache zu verschaffen, wodurch 55 Perzent aller jüdischen Einwanderer vor dem Schicksal bewahrt sein würden, als „Jlliteraey" zurückgewiesen zu werden. In den letzten berein- halb Jahren sind 251 000, also über eine Viertel Million Juden eingewanüert. Von diesen sind 70 Perzent in New-Dork, 19 Perzent in den Staaten Illinois, Pennsylvania und Massachussetts und nur 11 Perzent ii; den silbrigen 49 Staaten verblieben. Demnach hat sich die Zahl der jüdischen Bewohner des Ghetto bon New-Dork in den letzten viereinhalb Jahren um nahezu 200 000 Seelei; vermehrt.! Zur "Fundierung des von der Union unterhaltenen Seminars, des „Hebpelv Union College", wurde;; in der Versammlung selbst! 100 000 Dollars gezeichnet. Ferner wurde beschlossen, die Institution der Wanderprediger, ivelche in kleinen Gemeinden ohne Rabbiner vo;; Zeit zu Zeit Gottesdienst mit Predigt abhalten, lebhafter als bisher zu fördern. Lebhafte Disknssion hat die von Dr. Philipp- soi; gegebene Anregung, eine,; Kongreß sämtlicher amerikanischer Inden einzuberufen, ivodnreh der JndividunliSiinis, an dem das amerikatlische Judeittmn so schwer krankt, am beste;; bekämpft werden > könne, herborgernfei;. Mai; ließ jedoch den Gedanken schließlich^ fallet;. Der Kongreß wurde am 22. Januar geschlossen und der! tnichste Kongreß wird im Jahre 1905 wiedernn; in Chicago abgehal- ter; iverden.
Odessa. H i e r st a r b nach langwieriger Krankheit heit der bekannte jüdische Schriftsteller Moses Basilewsky. Von feinen zahlreichen Werken sind besonders bekannt: die russische. Uebersetzung des Traktats „Baba-Kama", „Der Eit'.fluß des ^ Monotheismus auf die Entwicklung des Wissel;s". Er vcröffettt- i lichte in russischer Sprache eine ga;;ze Reihe von Forschungen über ( jüdische Gelehrte nebst deren biographischen Skizzel;, cbe>;so ^ historis ch - plp losophisehe Studie;; über Spinoza, über die Wissen-! schnft und die Poesie der Jude;; in der Probeiwe in; 13. und 14.! Jahrhiiiidert, über den Anfang der A;;siedlung der Juden in Eug-, land, über „Bar-Kochba" und noch viele a>;dere Schriftei;. Der Dahii;geschiede;;e übersiedclte vor ungefähr 12 Jahren nach Odessa. Seine Werke sind von; Gelehrtei;-Komitee des Ministeriums der VolkSanfklärniig in den Bibliotheken der jüdischen Schulen zuge- lasscn. M. Basileivsky starb im 04. Jahre seines Lebens, seine Fannlie im größte;; Elend znrücklassend. Friede seiner Asche! !
New-Uvrk. (Ein d e ;; t s ch e r I n d e, d e r e s z n m G e- sandte >; g e b r a ch t h a t.) Natürlich in Amerika; in Deutschland kann dergleichen selbswerständlich nicht borlommen. Vor kurzem starb der hervorragendste Jude in; Ivesttichen Amerika, Sakolnon Hirsch. Von Geburt ein Württeinberger, tvar er, da seine Ettern arm ivaren und elf Kinder hatten, rnit deutscher Elemeiitarschnl- bildnng ausgerüstet, 1853 in; Atter von vierzehn Jahren ansgc- ivandert, un; in Amerika sein Glück zu lunchen. Von Stufe zu Stufe arbeitete er sich geschäftlich empor. Er geivaan das Vertrauen seiner Miibnrger in den; Maße, daß sie ihn zum Deputierten, daun zun; Senator wählten und er schließlich als Gesaadttr der Vereinigten Staaten nach Konstantinopel geschickt tvurde. ^cinen; alten Vaterlande bewahrte er seine Anhänglichkett insofern, als er dafür sorgte, daß in seinem Wohnorte, Portland, der Unterricht in der deutsche;; Sprache eingeführt tvurde. Weder hinderte seine jüdische Abstantinuiig ihn, die höchsten politischen und diplomatischen Ehreiistellen und Aemter zu übernehme», noch verhinderten diese ihn, seinem Glauben die höchste Treue zu betvahren. Die. Amerikaner tveisen mit Stolz darauf hin, daß ihre Jnstitutioiiei; der Ent-
fattnng geistiger und moralischer Kräfte leine liinftlichen Hindernisse in den Weg legen, die ainerilanischei; Inden iviedernn; sind stolz darauf, daß einer aus ihrer 'Mitte den; Vaterlande große Dienste hat leisten können und dafür reiche Anerkennung gefunden hat.
Ans dem alten Phönizien. S i d o n, einstmals die Königin der Meere, die so blühende Stadt der Phönizier, ist heute nichts mehr als ein düsterer und trauriger Flecken von 45 bis 18 000 Seelmr, ein großes Dorf ohne Handel und ohne Industrie. Die große Masse der Bevölkerungen lebt fast ausschließlich von den Einkünften aus den zahl- -reichen Gärten, welche die Stadt umgeben und deren Produkte man eniweder nach Egypten oder nach England ausführt, woselbst die Orangen von Saida, wie es scheint, sehr gesucht sind. Die Bevölkerung ist in ganz kleinen, sehr verfallenen Häusern dtlrchcinander eingepfercht. Die Häuschen sind hergestellt aus Steinen, welche das Land bedecken und welche nicht behauen zu werden brauchen, da die Phönizier, ihre im Orte ganz unbekannten Vorfahren, sich diese Mühe für ihre Nachkommen schon gegeben haben. Ich verzichte darauf, Ihnen dieses Gewirr der engen Straßen zu beschreiben, angefnit fast bei jedem Schritte von Gewölben, die Häuser tragen, welche wie in der Luft schweben und wo cs — ohne irgend welche Uebertreibung — bei hellem Mi'Rag finster ist. Ich habe die ältesten Viertel von Jerusalem und Damaskus besucht, da habe ich aber nichts gesehen, was diesem verwüsteten Anblick ähnlich wäre, wie in Saida, ainer kleinen Stadt, die den Reisenden fast unbekannt ist und wohin die moderne Zivilisation noch nicht gedrungen ist. Eine dieser düsteren kleinen Gassen führt durch ein kleines, enges und niedriges Tor in das israelitische Stadtviertel. Gehen wir durch dieses Tor, so sind wir im G h e t t o. Stellen Sie sich einen langen, engen und fast dunklen Hof, einen möglichst krummen Gang vor, dessen größte Breite nicht an allen Stellen 2 Meter beträgt. Rechts und links stehen Häuser mit zwei oder orer Stockwerken oder eher mit in der Mauer angebrachten Zellen, welche nur von dem engen Durchgang her, der die Straße bildet, rin wenig mattes Licht erhält. Ich habe mich mehr als ;inmal während meiner Besuche im israelitischen Stadtviertel gefragt, ob man sich in Europa, um Galeerensträflinge ilnter- zubringen, mit einem solch schrecklichen Gefängnis begnügen würde, wo das Elend hier Tausende unserer Glaubensgenossen einschließt. Wenn eine passend eingerichtete Schule einige Minuten entfernt, an der Grenze jener so schönen, die Stadt umgebenden Gärten, einige jüdische Familien zum Wegzug aus dem Olhetto bewegen könnte, welchen Dienst würde sie nicht dadurch der jüdischen Bevölkerung erweisen, da diese Einschließung nicht wenig zur Demütigung und zur Entmutigung beiträgt. Aber setzen wir unseren Gang weiter fort in dieser einzigen Straße, die nicht einmal gepflastert ist. Die Unglücklichen, welche sie bewohnen, verlangen vergebens, daß man ihnen die Erlaubnis dazu gibt, diese lange Straße, welche wie der Hof eines ihnen gehörigen Hauses ist, auf eigene Kosten pflastern zu lassen; die Behörden geben es nicht zu. Ganz im Hintergründe kommen wir endlich! zu einem kleinen Platz von ungefähr 160 bis 200 Quadratmeter, lvrhin die Hellen Sonnenstrahlen durchdringen können und wo man ein wenig frei atmen kann. Auf diesem Platze befinden sich die Synagoge und ganz im Hintergründe die Talmud- Thora-Schule. Die beiden kleinen Zimmer, ivelche die Kinder der Gemeinde Var Wind und Wetter schützen, sind verhältnismäßig gut gelegen und erhalten durch die kleinen, in der engen Mauer angebrachten Fenster ein wenig Licht. Mer welch ein trostloser Anblick bei diesem Hellen Lichte. In jedem dieser kleinen zienilich schmutzigen Räume sitzen ungefähr 40 Kinder im Alter von 2, 3 bis 10 Jahren auf dem Boden, um einen Rabbiner geschart. Der erste, den wir sehen, ist ein mehr als 80jähriger Greis, welcher alle Leiden der Welt -erduldet. Als ivir uns nähern, erhebt er sich; ich gebe mir Mühe, ihm diese Anstrengung zu ersparen. Ich frage ihn, ivie alt er ist. 82 Jahre, antwortet er mir schüchtern. Und er arbeitet noch, der. arme Alte; die El- tern zögern nicht, ihm den Unterricht ihrer Kinder anzuvcr- trauen! Ihn könnte man nicht beschuldigen, seine Kräfte während feiner Jugend verbraucht zu haben.
Ans Transvaal. In Johannesburg wollte die „Anglo- Jevish-Assvciation" eine Filiale gründen. Die zu diesem Zwecke von Mr. Max Langermann einberufene Versammlung sprach sich jedoch gegen eine solche Gründung ans. Hingegen wurde beschlossen, behufs Gründung eines „Lara ol’D 'pniies“ eine neue Versammlung einzuberufen. In Klerksdorp wurde Ende vorigen Monates die nenerbaute Synagoge unter anß'rordentlichen Festlichkeiten eingeweiht. Die Emweihungs- rede hielten Rev. E a st, der langjährige Rabbiner von Klerks- dvrp und Rev. Dr. Hertz ans Johannesburg.
Gine neue Dichtung Carmen Sylvas. Wie
uns gemeldet wird, vollendete die Königin von Rlimänien, Carmen S y l v a, soeben eine große dramatische Szene in englischer Sprache. Das Interessanteste dabei ist, daß die Königin von Rilmänien, während doch in Nnnstiiiieii Jnden- verfolgnngen stattsinden, eine vertriebene verzweifelte Jüdin zur Heldin ihrer mitleidsvollen Dichtung machte. Gertrud Giers, die der König;;; nahestehende Künstlerin, soll das Gedicht in Amerika rezitieren.
London. Die. nnlttärische Channkafeier, welche vo»; indischen Militärgeistlichen F. L. Cohen seit einigen Jahren in der Zentralsynagoge alljährlich abgehalten lvird, hatte immer ein ganz besonderes Gepräge gehabt. Die AiNvesenheit von christlichen (Geistlichen, deS Lord Mayors, des gesamten Magistrats der City, sowie, zahlreicher christlicher Offiziere in ihren glänzenden Uniformen Pflegte bon jeher dieser Feier ein offizielles Gepränge zu verleihen. Diesmal übte der Gottesdienst auf die Londoner Bevölkerung durch die Anwesenheit des gefeierten Marschalls küoberts eine ganz besondere Anziehungskraft aus. Aus diese»; Grunde nmßte die Charlotten-