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JÜDISCHE ZEHUNG

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rvnrrm Mit Beilage:DER JÜDISCHE NATIONALFONDS A nn

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Nr. 10,

Wien, Freitag, den 10. März 1916 5. Adar II 5676.

X. Jahrgi

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Aufruf!

Die jüdischen Landarbeiter in den Kolonien Palästinas schalten allwöchentlich einen Fasttag ein, um die durch den Weltkrieg geschaffene Krise überdauern zu können.

Diese Nachricht genügt zur Beleuchtung der Situation, in welcher sich unser Stolz, unser teuerstes Gut, das neue jüdische Bauerngeschlecht in Erez Israel, gegenwärtig befindet. Das Palästinawerk, von heroischen Pionieren unter unsäglichen Entbehrungen begonnen und in kurzen Jahrzehnten zur Blüte gebracht der Hunger soll es bezwingen!

Das aufstrebende Land, in den Anfängen vielverheißender Entwicklung, ist ohne eigenes Verschulden durch das furchtbare Völkerringen in eine verzweifelte Lage geraten. Zu Wasser und zu Lande von jeglicher Einfuhr abgesperrt, Etappenraum der türkischen Südarmee, vermag Palästina, das in dem letzten Jahre auch von der Heuschreckenplage heimgesucht wurde, in seiner natürlichen Entfaltung gehemmt, seine jüdischen Pioniere nicht z,u ernähren. Die materielle Kriegsnot droht unsere Siedler, Arbeiter, Lehrer und Schüler zu vernichten!

Das dürfen wir nicht dulden! Wir wollen und müssen neben allen Lasten, die uns der Krieg auferlegt, auch diese Pflicht erfüllen: Unseren palästinensischen Kolonisten über die Gegenwart hinweghelfen, ihren Kindern die Schule erhalten und ihren opfermutigen Lehrern die .heilige Arbeit der Erziehung des neuen Geschlechtes ermöglich^pjv indem wir ihnen da s karge Brot sichern.

Es gilt eine jüdische, aber nicht weniger eine patriotische Pflicht!

Das hat die Judenschaft Deutschlands und Bulgariens voll erkannt, indem sie für diesen Zweck bereits 100.000 M aufgebracht hat.

Wir österreichischen Juden wollen ihnen nicht nachstehen! Tun wir unsere Pflicht und steuern wir dem

Palästinahilfswerk für die Kolonien bei.

Unsere Pioniere tun das ihrige, sie essen bloß an sechs Tagen der Woche.

Versäumen wir unsere Gewissenspflicht nicht I

Der erste Ausweis erscheint in derJüdischen Zeitung und in derSelbstwehr vom 17. März 1. J.

Exekutivkomitee der Zionisten Oesterreichs Palästinahilfswerk für die jüdischen Kolonien Wien, XV11I. Hasenauerstraße Nr. 43.

Zur Lage in Palästina.

Wiederum kommen Nachrichten aus Palästi­na, die alle Juden zur Hilfstätigkeit aufrufen.

Die jüdische Bevölkerung des heiligen Lan­des hat in unaufhörlich steigendem Maße mit Mangel und Not zu kämpfen.

Sie kämpft und leidet in dem Bewußtsein, daß ihr Ausharren Verständnis und Mitgefühl, aber auch tatkräftige Unterstützung bei all de­nen auslösen wird, denen Erez Israel ein heili­ges! Wort und eine teure Hoffnung ist.

Die Arbeiter, die Zumai in der Kriegsf- zeit mit dem Geringsten !$ich bescheiden; leiden bittere Not. Einige Tage der Woche müsSen Arbeiter, Handwerker, Schüler und jene Kreise, die auch sonst auf Unterstützungen an­gewiesen waren, hungern, weil die Mittel nicht reichen. Die Eingänge an Hilfsgeldern haben sich in den letzten Monaten rapide verrin­gert. Nach dem Bericht, der dem Hilfswerk für Palästina erstattet worden ist, sind insgesamt eingegangen Francs 978.213.63, davon in den Monaten Oktober bis Dezember 1914 Francs 371.173.67, in den Monaten Jänner bis Juni 1915 Francs 460.378.86 und in den Monaten Juli bis Dezember 1915 Francs 146.661.60. Während al­

so die Eingänge für die Hilfszwecke in den er­sten drei Kriegsmonaten durchschnittlich per Mo­nat Francs 123.724.55 betrugen, sind 'solche in den weiteren sechs Monaten auf einen Monats­durchschnitt von Fr. 33.801.62 in bar (nach Einrechnung des Wertes der amerikanischen Le­bensmittelsendung auf Fr. 76.729.72) und in dem zweiten Semester 1915 sogar auf Francs 24.443.60 per Monat gesunken.

Dem erwähnten Berichte entnehmen wir noch folgende Einzelheiten:

Die Einnahmen im Lande selbst, welche die Juden erzielt haben, sind verhältnis­mäßig gering. Die Kaufleute machten im 1 allge­meinen im Laufe der Krisis gute Geschäfte. Von den Handwerkern sind es nur die Schuh­macher, Schneider und Klempner und die Inhaber mechanischer Werkstätten, die ihren Lebensun­terhalt verdienen können. Dagegen sind die zahl­reichen Maurer und alle Art Bauhandwerker, An­streicher, Tischler und dergleichen fast gänzlich brotlos. Besonders in Jaffa, wo das Bauhand- werk in der Periode des iBauaufschwunges in Tel-Awiw im Laufe der letzten sechs Jahre zahl­reiche Familien gelernter und ungelernter Hand­werker ernährt hat, sind infolge des absoluten Stillstandes im Baugewerbe ca. 180 Familien fast brotlos.

Von den Kolonien in Samaria befindet sich nur Chedera zurzeit in einer ziemlich günstigen Lage.

In den galiläischen Kolonien ist diel allgemeine Situation anfangs eine befriedigende gewesen. Jedoch hat sich die Lage in den letz­ten zwei bis drei Monaten sehr merklich dadurch verschlechtert, daß alle Kolonisten mit ih|ren; Gespannen für Arbeiten beim Wegebau für meh­rere Wochen herangezogen wurden. Diese Arbei­ten verursachen jedem Kolonisten durchschnitt­lich Ausgaben in der Höhe von etwa 300 Francs und ziemliche Störungen bei der Vorbereitung; des Bodens für die neue Saat während der Be­stellzeit. Die Arbeiten für das neue Wirtschafts­jahr werden überdies dadurch aufgehalten, daß die Kolonisten und Arbeiter jetzt zum Militär­dienst einberufen werden.

Die Kolonisten in den jüdischen Pflanzungs­kolonien in Judäa erzielten infolge der Ver­nichtung der Ernte durch die Heuschrecken ker­ne Einnahmen, mit Ausnahme der Mandelpflan­zer und der wenigen Orangenbesitzer, deren Pflanzungen von den Heuschrecken verschont geblieben sind. Wäre nicht das Heuschrecken­unglück im vorigen Jahre gekommen, dann hät­ten unsere Kolonien, trotzdem der Export un­möglich ist, doch nicht ganz unansehnliche Ein­nahmen auf dem Inlandsmarkte erzielen können. Leider stehen aber alle Kolonisten mit Ausnah­me der Mandelpflanzer und der wenigen Oran­genbesitzer, die verschont geblieben sind, ohne Ernte und deshalb ohne jegliche Einnahmen da.

Diesen allseits so bedeutend ver­ringerten Einnahmen steht eine ganz be­deutende Erhöhung der Ausgaben für die notwendigen Lebensrnittel gegen­über. In Städten und Kolonien werden Regie­rungssteuern mit einer in Friedenszeiten unbe­kannten Strenge eingetrieben. Außer den jetzt allgemein eingeführten Gewerbesteuer (Temet- tu), des Oschers, der Grundsteuer, die während des Krieges teilweise mit Zuschüssen erhoben wird, gibt es verschiedene Leistungen für öffent­liche Zwecke, zu denen die Bevölkerung ange­halten wird. Ganz unerträglich wirkt aber die bedeutende Teuerung von Brot und Mehl. Es kosteten: Zu Beginn der Krisis: Weizen 21 Cent., Mehl 30 Cent., Brot 23 Cent., Erbsen 46 Cent., Butter 430 Cent., Zucker 43 Cent., Lin­sen 42 Cent., Petroleum 13 Frcs. per Kiste; Ende Dezember 1915: Weizen 53 Cent., Mehl 70 Cent., Brot 50 Cent., Erbsen 110 Cent., But­ter 705 Cent., Zucker 480 Cent., Linsen 53 Cent., Petroleum 90 Frcs. per Kiste.

Auch die wichtigsten Medikamente sind meist auf das Vielfache gestiegen. So kostet jetzt:

Chinin 230240 Francs das Kilogramm und Watte 56 Francs das Pfund.

Die Ernährung der weiten Volks­schichten ist eine durchaus unzureichende. Besonders viel haben die Arbeiter in den Kolo­nien zu leiden. Es gehört jetzt zur re­gelmäßigen Erscheinung, daß die Arbeit er zwei bis drei Tage in der Woche kein Brot haben. Die Nahrung einer Arbeiterküche besteht oft im Laufe von, 24 Stunden aus einem Bohnen- oder Linsenbrei., aut Wasser gekocht, ohne Brot oder sonstige Zutaten. Es kommt oft vor, daß Arbei­ter ein oder zwei Tage in der Woche arbeiten, ohne zu essen, oder vor Hunger zur Arbeit nicht gehen kön­nen. Die wenigsten Kolonisten sind nämlich imstande, bar zu zahlen.

Ein großer Teil der Handwerker und son­stigen Einwohner, die nicht Kolonisten sind, ha­ben ebenfalls mit Hunger und Not zu kämpfen. Infolge der Unterernährung, des sehr langen, und warmen Sommers und infolge anderer Grün­de ist die Morbidität und Mortalität viel höher als i n normalen Zeiten. Dies trifft besonders für Jerusalem zu, wo nach