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während man zurzeit der Mahlkampagne zehnmal soviel Flugblätter. Jierausgab. Er wirft der Leitung vor, daß sie Palästina als Luxussache betrachte. 1 Bei'diesen Worten entsteht ein ungeheurer Tu­mult. Nach Schluß seiner Rede ist Muntsclnk der Gegenstand außerordentlicher anhatlender Ova­tionen.

Zum Schluß replizieren namens der Leitung die Abg. Grünbaum und Dr. Thon. Dr. Thon wirft den Delegierten mangelnde politische Schulung vor und antwortet scharf auf die gegen seine Person wegen seiner Tätigkeit im Landtag gerichteten Angriffe.

Dritter Tag.

Leo Lewiie erstattet das Referat über die Palastinaarbeit. Ohne auf die theoretischen Streitfragen einzugehen, charakterisiert er kurz ä*e wichtigsten Probleme der Palästinakolonisa- tion und- geht dann über auf die Frage der prak­tischen Tätigkeit des polnischen Palästinaamtes. Ais wichtigste Aufgabe bezeichnet er die Schaffung eines ' gut funktionierenden Inf ormations- bnreaus, das jederzeit über alle Einzelfragen Auskunft geben kann. Gleichzeitig müsse .das Bureau eine Auslese der Emigranten vornehmen und auch die Resultats, registrieren. Im Anfang werde man zweifellos die Einwanderung eindäm- men müssen. In der Frage der Vorbereitung des Menschenmateriales ist Referent der Ansicht, daß man auf künstlichem Wege keine landwirtschaftlichen Arbeiter erzeugen könne, sondern nur.' organisch durchdas Anwachsen des jüdischen Grundbesitzes. Uebrigens ist ST der An­sicht; daß anfangs gar keinelandwirt­schaftlichen Arbeiter nötig sein werden, weil unser Kolonisationselenjent hauptsächlich aus selbständigen und selbsttätigen Bauern be­stehen wird. Lewite bemerkt, er setze auf die Organisierung von kaufmännischen Gruppen, die über Kapital verfügen, weit größ ere Hoffnung als auf alle Chaluzim.

Diese Aepßerung ruft große Aufregung her­vor. Muntschik wendet sich, heftig gegen den Referenten. Es gebe einen Unterschied zwischen Galuthzionismus und Palästinazionismus. Statt . sich um ein Mandat, im Seniorenkonvent zu raufen, sollte Grünbaum der . polnischen Regierung offen erklären: Gebt uns_Mittel und wir werden jähr­lich 100.000 Juden herausführen. Die Immigration darf nicht beschränkt werden. Redner tritt den Angriffen auf die .Chaluzzim heftig entgegen. Dank derNarrischkeiteg der Bflu gd Chaluzzim haben wir überhaupt erst die Möglichkeit ernstlich von Palästina zu sprechen. Bei Erwähnung der ge­fabenen Pioniere erhebt sich der ligke Flügel der Zeire Zion, die Rechten bleiben sitzen, was auf der Linken ..heftige' Entrüstung hervorruft ...

Es-sprechen-noch-Podlisch.ewski, der einen ganz bürgerlichen Standpunkt ednnimmt, Ing. Kerner und Eiges, der über die Not­wendigkeit der- Nationalisierung -des. Bodens spricht '

Hierauf gelangt ein Vertrauensvotum für die abtretende Leitung zur Annahme.

In der Aibendsitzuna wird die General­debatte über das Referat Lewites abgeführi. Während der Rede Mereminskis erscheint Botschafter Morgenthau im SäaL Der Vorsitzende .Df. Thon hält eine Begrüßungs­ansprache -und Bittet Morgenthau, dem Präsiden­ten Wilson .den Dank.der Konferenz für sein Ein­treten zugunsten 'der Juden zu übermitteln. Darauf hält-Morgenthau ehre Ansprache, in welcher er die Bereitwilligkeit des amerikani­schen Judentums betont, den polnischen Juden zu Hilfe zu kommen. Er schildert den Eindruck, den das jüdische Elend in Polen auf ihn gemacht hat, und erklärt, es -müsse ein Plan für die gesamte Hilfsarbeit entworfen werden.

JOPiSCHE XEIWJNQ

Vierter Tag. ,

Diese Sitzung ist der Kulturfrage gewidmet und ausgefüllt mit einer großen Debatte über die Sprachenfrage. Dr. Braude tritt für eine He- 'bräisierung in Palästina und in der Diaspora ein. Jedoch soll jeder Elterngruppe in der Schulfrage Selbstbestimmungsrecht gegeben werden. In der Debatte vertritt Schalkowitsch einen vermitteln­den Standpunkt Da die Sitzung unbedingt an diesem Tag geschlossen werden muß, wird die Redezeit beschränkt und eine Generaldebatte ab­geführt, wobei sämtliche Redner hebräisch spra-, ceha. Besonderen Eindruck machte die formvoll­endete Rede des Delegierten Dr. Ri eg er.

Das Zionistische Zentralkomitee für Weiß­rußland hat einen Kurier mit einem Begrüßungs­schreiben von Minsk geendet, welcher eben ein- gelangt ist. Das Begrüßungsschreiben wird unter großem Beifall verlesen.

In .der Nachtsitzung .wird die Debatte, über das Referat Dr Braudes fortgesetzt

Nach der Pause erstattete Abg. Ha-1 - glas ; sein Referat über die sozial-ökono­mische Lage der Juden in Polen, welches mit großer Aufmerksamkeit angehört wird und an das sich eine längere Debatte an- kriüpft , .

Delegierter Grünbaum legt eine poli­tische Deklaration vor, welche einstim- mi gangenommen wirdj hierauf eine Anzahl poli­tischer Resolutionen, welche gleichfalls ein­stimmig bei Stimmenthaltung der Zeire Zion an­genommen werden. Wir werden den Wortlaut in der nächsten Nummer veröffentlichen.

Bei den Wahlen ins Zentralkomitee wer­den gewählt:

Für.. Warschau: Olschwanger,

Eiges, Bichowski, Grünbaum, Gott- lieb, Hartglas, Hurwitz, Thon, Le­wite, Minz, Podliczewski. Posnan- ski, . Pdrtner, Klumel, Kle.inmann, Schalkowitsch, Scheinmann, .Frau Stein;

i|ür die Provinz: Braude, Lewin, Freitag und RoseribIatt (Lodz), Basach und Frau Basach (Lublin), Dia.mant, Le seht sch, Fränkel (Radom), floro witz (Czenstcchau), Lewin (Grodczisk) u. a.;

für Galizien: Dr. Wahrhaftig, Hilf­stein und Schwarzbard (Krakau), Nei­ger (Tariiow); Dr. Syrop (Neu-Sandez), Dr. Kornhäuser (Jaslo);

für Pose n: Dr. Ko 11 e n s c h e r und Krause. ...

Gegen 5 Uhr früh wird die Konferenz ge­schlossen. ....... / .. ,

Das Tempo der Kolonisation

Von Dr. ,ArÜiiir Rappln.*) ;

Eine vielfach aufgeworfene Frage ist'jdie, welche: Höchstzahl von Juden Palästina aufnehmen kann. In dieser Form ist die Frage überhaupt nicht za beantworten; Ein Land ist nicht ein Schiff oder ein Eisenbahnabteil, in dem nur für soundso viele Personen Platz ist. Die Aufnahmefähigkeit eines Landes wechselt vielmehr mit seinen jewei­ligen .Produktionsbedingungen. Es ist theoretisch denkbar,, daß diese Produktionsbedingungen in Palästina später so günstig sein werden, daß Pa-

:*) Wir entnehmen diesen Aufsatz dem in unseren Blatte bereits besprochenen neuen Buch Dr. Ruppins:Der Aufbau des Landes Israel. Angesichts des Streites.. der gerade um die Frage des Tempos unserer Kolonisation geführt wird, ist es von höchstem Interesse, die Anschauung des leitenden Mannes unserer Palästinaarbeit hierüber zu hören.

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lästina die ganzen 15 Millionen Juden der Weit aufnehmen kann.' Aber diese 1 theoretische "Mög­lichkeit besagt für die Aufnahmefähigkeit im ge­genwärtigen Moment gar nichts. Hierfür gilt viel­mehr der Satz, daß Palästina nur so viele Men­schen aufnehmen kann,als seine: Wirtschaft in Konkurrenz mit änderen Ländern lohnbringend zu beschäftigen imstande ist. Ob und wieweit di« Produktionszweige eines Landes sich in Konkur­renz mit den gleichen Produktionszweigen anderer Länder behaupten könnend hängt wiederum vo* den Gestehungskosten der Rohstoffe, von der Höhe der Arbeitslöhne, der technischen Höhe der Pro­duktion, den Zollverhältnissen, der Entwicklung der Verkehrsmittel, der Nähe zum Absatzmarkt usw. ab. Solange die zukünftige Gestaltung dieser Faktoren in Palästina für uns noch in Dünkel ge­hüllt ist. solange wir nicht einmal wissen, wie di» zukünftige. politische Gestaltung Palästinas und Osteuropas, von wo die meisten Einwanderer kommen sollen, sein, wird, so .lange ..kan» nur ein Prophet sich vermessen, auf die Frage, binneu welcher Zeit Palästina die zur Mehrheits­bildung erforderlichen jüdischen Einwanderer auf- nehmen kann.. bestimmte Antwort zu geben. . .

Wenn ich : nach diesen Vorbemerkungen iia. folgenden trotzdem ein Kolonisatiousprogramm äufsteiie und darin den Zeitraum, bis zu dem wir in Palästina die zur Mehrheitsbildung erforder­liche 1 bis IK Million Juden.haben können, auf etwa 20 Jahre ansetze, so ist es klar; daß die Ent­wicklung- damit in keiner Weise im voraus fest­gelegt' werden soll. Es ist möglich, daß wir di« Periode -der Mehrheitswerdung schon in einer kürzeren Zeitspanne durchlaufen, es ist auch mög­lich, daß sie länger dauert. Ich habe zwar natürlich diejenigen Ziffern eingesetzt, die mir am wahr­scheinlichsten sind, aber ich verfolge mit diesem Programm weit weniger den Zweck, über das Tempo der zukünftigen Kolonisation ziffernmäßig» Voraussagungen zu machen, als vielmehr eia konkretes Schema zu geben, weil ein solches Schema.- in dem bestimmte Zahlen eingesetzt sind, eine viel schärfer umrissene Darstellung ermög­licht. - ' ; -

Die von mir eingesetzten Ziffern bleiben weit hinter denjenigen zurück, die von anderer Seit» als möglich angesehen werden. Hier wird mit einer Schnellkolonisation oder Massehko- lonisatiön gerechnet die den vielen Millionen Juden in Osteuropa, die sich zum Aufbruch rüsten, den Weg nach Palästina frei machen und in kurzer Zeit 5 bis 6 Millionen Juden nach Palästina kon­zentrieren wilL Am bemerkenswertesten ist ein Aufsatz des bekannten Statistikers Prof. Carl Bällod über diese Frage.**) Für ihn Ist die An­siedlung ein rein technisches Problem. Er berech­net die guten Kulturboden Palästinas und fragt: Was ist aus dieser Fläche zu machen, welch» Menschenmenge kann sie ernähren? oder:..wi»' sind die fruchtbaren Täler und Ebenen herzurich-, te n. um. den Lebensmittelbedärf für . eine so große Siedietir.asse von' 6 Millionen zu liefern? Antwort: Ich würde- etwa 500 : hochmoderne landwirt­schaftliche Betriebe zu je 600 ha in den bewäs­serten Tiefebenen und ebensoviel, aber von ie 800 ha Fläche, in der Hauran-Hochebene Vor­schlägen. Diese Großbetriebe sollen durch groß»- Bewässerungsanlagen und starke Düngung mit künstlichem, aus der Luft (Ammoniak) oder-aus dem Toten MeeT (Kali) zu gewinnenden Dünge-. mltteln das Fünffache der jetzigen Emteerträgnisse pr> Hektar hervorbringen. Zugtiere werden völlig durch Maschinen^ Autöpflüge und Autowagen er­setzt. Als Arbeiter für diese Großbetriebe, deren Produkte eine Bevölkerung, von 6 Millionen Ju­den mit Getreide, Fleisch. Zucker. Reis. Baum-

**) Palästina als jüdisches Ansiedlungsgebiet. Schriften des deutschen Komitees zur Förderung der jüdischen Palästinasiedlung. Berlin 1918.

Eine Broschüre Robert Strickers

- Im Verlag derWiener Morgenzeitung _er- schien soeben" Nr. 1 derSchriftenreihe zur jüdi­schen Bewegung, welche er sukzessive zu. edieren beabsichtigt Sie betitelt sichD er j üdi- $che Nationalismus und enthält die vier Flugschriften, die anläßlich der WaMbewegung von Ing. Robert Stricker verfaßt worden waren.

Durch .die öffentliche Wirksamkeit Strickers ist seine Art, die Dinge zu sehen und darzusteüen, in den weitesten Kreisen bekannt und geschätzt Beim Lesen seiner Artikel treten die eminenten Qualitäten, des Autors besonders Mar vorAügen: Die durchdringende Verstandesschärfe. Die mit jintrügjicher Kraft durch alle Schleier falscher Ideologien und Selbsttäuschungen dringt und die Dinge in ihrer nackten Qualität erfaßt, die polemi­sche Wucht,, die sich ebenso stark in der rück­sichtslosen Zerfaserung jedes trügerischen Schei­nes, wie in der satirischen Zuspitzung der Dialek­tik erweist, die ungemeine Bildkraft der Sprache, die unwiderlegliche Logik, der Beweisführung und die Leidenschaftlichtoeit der Ueberzeugung. Witz und Geist leuchten aus jedem Satze; die kräftige, manchmal vieleicht allzu kräftige Ausdrucksweise verrät die Energie dieses als Politiker wie als Taktiker gleich selten begabten Mannes. Dabei verrät der Autor, -was noch weni- ; ger beobachtete wurde, aber denen, die seine Laufbahn seit langem verfolgen, schon von frühe­ren Arbeiten bekannt ist, auch vorzügliche litera­rische Qualitäten; Sein erster Aufsatz über die Abwehr des Antisemitismus beginnt wie ein Ro­man, der antithetische Aufbau -wirkt mit plasti­scher Kraft Jede Zeile atmet Leben Die Tat­sachen: werden nicht mit epischer Breite, sondern mit epigramatischer Kürze In plastischer Deut­

lichkeit und dadurch viel eindrucksvoller darge­stellt Stricker sagt nicht etwa: Nach dem Ab­wirtschaften des klerikalen österreichischen Re­gimes erhielten wir eiri sozialistisches..aber' lauch dieses erweis-sich als antisemitisch, sondern: Die schwarze Fahne ist rot geworden, der Judenpogrom äst geblieben.. Solche Anschaulich­keit der Darstellung offenbart die Schärfe der Beobachtungsgabe, wie die Kunst des Ausdrucks.

Die vier Abhandlungen:Die wirksame Ab­wehr des Antisemitisihüs,Schadet 1 der jüdische Nationalismus-den Juden. :Wie können wir unsere Jugend jüdisch prziehen, ,',D5e Vertreter des jüdischen Volkes enthalten in komprimierter Kürze ein Arsenal von Argumenten für die jüdisch- nationale Politik und gegen die .assimilationisefee Ideologie. Eine Meine Einwendung wäre nur gegen den Titel der Broschüre zu machen. Nach ihm erwartet man eine Abhandlung über Wesen,' Inhalt und Geschichte des jüdischen Nationalismus. Wohl ist aüs den vier Aufsätzen fast alles Grundlegende über Einstellung, Anschauungsweise und Ziele des jüdischen Nationalismus zu erfahren.' Doch sind sie ihren Wesen nach überwiegend:^praktisch-- politisch -und polemisch und nicht theoretisch ge­richtet. Dies wäre im Titel züm Ausdruck zu bringen gewesen. ,

Die Broschüre Strickers - wird durch die Lebendigkeit und Eindringlichkeit, mit der sie ge­schrieben ist; auf die jüdische Oeffentlichkeit gewiß stärker und dachhaltiger wirken, als die ausführlichsten theoretischen. Auseinandersetzun­gen. Mit 'ihr hat der Autor, der in der Führung der jüdiischmatibnjalen iPolatfik äde eminentestem praktischen - Erfolge aufzuweisen hat, der Sache, der er- seit seiner Jugendzeit mit-dem vollen Ein-' satz seiner-Persönlichkeit lebt, einen neuen großen Dienst erwiesen. __ __ Adolf B ö h m.

Literatur

Ost und West Illustrierte Monatsschrift für das gesamt» Judentum. Herausgegeben und redigiert von ; Leo : Winz, Berlin, XIX. Jahrgang. Die in diesem. Jahre bisher erschienenen Hefter der Zeitschrift Ost und West, es sind dies die drei Doppelheft» des ersten Halbjahres, zeichnen sich wieder vor- allem durch ihren künstlerischen Inhalt aus.- Die jüdischen Künstler: Malva Schalek (von- Max Uelrath). Hugo Kr ayn .(von. Karl Schwarz) und Boris Keith (von Felix Theilhaber) werden m ihrem-Entwicklungsgang dargestellt und Ihrer: künstlerischen Eigenart, charakterisiert, welchen» Unternehmen die gelungenen Reproduktionen ihrer. Werke zustatten kommen. Die. Zeitschrift erwirbt sich'durch diese Bekanntmachung der jüdische» Künstler ein großes Verdienst Eine ganze Auf- = satzreihe ist der hebräischen- Sprache nid ihrer historischen Stellung im Judentum gewidmet Dr. B. Friedberg berichtet über Erlebnisse'mit jüdi­schen Ideologen, .jJüdische Vorkämpfer- für das Menschenreich der. Zükunft.- Das Problem der Trennung von Staat und-, Kir che. behandeln, von verschiedenem Standpunkt ; Georg N er­mann und B. Saphra. Dr. Warschauer steuert sozialpsychologische Bemerkungen bei. Das Halbjahr enthält außerdem eine Reih» belletristischer Beiträge und Noten. r :

' Theodor Heczl: Altneuland. Achte Auflage. Berlin-Wien. .8. Harz-Verlag. HerzlsAltnea- land. das jahrelang .vergriffen und im Buchhandel nicht erhältlich war. ist jetzt im Verlag B. Harz neu aufgelegt worden. Es komm; zur rechten Zeit Wenn ihr wollt ist es'kein Märchen: nie dieses Buch aktueller als beute. Heute erst ver­stehen wir.es ganz, sind erstaunt über das Wunder