Seile 2 Nr . 1 Der Israelit 2 . Januar 1930 8 . rR . Schillerstrasse 1 RWAREN fchaftliche , politische und geistige Grundlagen , von denen die frühere Autorität getragen war , erschüttert . Desto schöner ist die Ausgabe und das Ideal , die Autorität der Eltern und Erzieher und des Gottesgesetzes wieder auszurichten . Freilich : Die Jugend ist eine andere geworden und die Eltern sind andere geworden , nicht nur die Ver¬ hältnisse haben sich gewandelt . . Heute erfordert diese Aufrichtung unverhält¬ nismäßig mehr Selbstverleugnung auf Seiten der Jungen und der Alten , wenn auch an sich die Er¬ ziehungsweisheiten der Alten auch heute . noch ihre Probe bestehen . Individuelle Behandlung , liebe¬ volle , von düstrer Strenge ebenso wie vo > ri ver¬ zärtelnder Nachsicht entfernte Beobachtung , vor allem das gemeinsame Lernen und die gemein¬ same Lebensform , sie müssen auch heute noch ihren Zauber auf das Gemüt des Jugendlichen ausüben und in ihm den Wunsch wachrusen , nach¬ zuhandeln ur . d nachzuwandeln und sich dem be¬ freienden und erlösenden Einfluß des Erziehers — der eine in keuscher Zurückhaltung , der andere in überströmender Begeisterung — zu beugen . Aber : ohne Autorität gibt es nicht nur kein Ju¬ dentum , gibt es überhaupt ' keine Erziehung . Keiner predigt so leidenschaftlich die Freiheit teil der Erziehung wie Litt . Aber auch er verwahrt sich ganz entschieden gegen die Meinung , als ob echte erzieherische Willensmacht Willkür , Eingriff und Ablenkung bedeute , ja , er verteidigt den konservativen Zug , welcher jeder Erziehung als Erziehung innewohnt . „ Sie atmet nun einmal im Element der Tradition , weil sie des Geistes , den sie d ' er werdenden Seele zu¬ führen will , nicht anders als in der tradierten Form habhaft werden kann . " Und Kerschenstei - ner warnt : „ Es ist nicht der klarste Kopf , welcher das Prinzip der Autorität aus dem Bildungsver¬ fahren ausschalten will , oder glaubt , sie ausschal¬ ten zu können . " Die Ehrfurcht „ vor dem , was um uns , vor dem , was über uns , vor dem , was unter uns, " das ist auch der Sinn altjüdischer Autorität , deren Anerkennung die Herzen der Väter den Kindern , die Herzen tter Kinder den Vätern wieder zusühren muß . lvochenrundschau . Eine neue Valfour - Erklärung . Im Nachrichtenteil dieser Nummer ist eine soeben von Lord V a l f o u r , Lloyd Gorge und General S m u t s in der „ Times " veröffent - lichte Erklärung wiedergegeben , die sich aus¬ nimmt wie eine Art „ Flucht in die Öffentlichkeit " . Man kann dabei im Zweifel darüber sein , welche Beweggründe die drei hochherzigen und weit¬ blickenden Staatsmänner , die sich für die ehrliche Einlösung des in der Balfour - Erklärung gege¬ benen Versprechens vor ihrem Gewissen verant - worlich fühlen , zu diesem auffälligen Schritte ge¬ trieben haben . Entweder sind der Erklärung verschwiegene und unbefriedigend verlaufene Ver¬ handlungen mit der gegenwärtigen Regierung ^ vorangegangen — dann könnte man die Ver - > Währung der drei Männer als Zeichen tiefer Re¬ signation deuten , die lediglich die eigene Ehre vor j Mißdeutungen schützen und die Verantwortung ! für alles Geschehene und seine verhängnisvollen i Konsequenzen ablehnen will . Oder aber es han - j beit sich um einen von der Labour - Partei gebil - ' ligten Schritt zur Einleitung einer durch Labour und Liberale getragenen neuen Palästina - Po¬ litik , dann wäre Grund zum Optimismus vor¬ handen . Aus dem Kommentar , den die „ Times " - der Erklärung hinzufügt , und der ebenso diplo¬ matisch gehalten ist wie die Dreimänner - Erklä - rung selbst , läßt sich die aufgeworfene Frage N ' icht entscheiden . Daß es , wie das Blatt ' meint , von vornherein ein „ delikates Unternehmen " war , eine „ Politik der Balfour - Deklaration mit den anerkannten Rechten der Araber " in Einklang zu bringen , das hat auch Lloyd George gefühlt , als er in seiner denkwürdigen Rede beim Amts¬ antritt Herbert Samuels die Nationalheim - Poli - tik ein gemeinsames, , great adventure “ des bri¬ tischen und des jüdischen Volkes nannte , auf dessen Ausgang man gespannt sein könne . Aber grade weil die englischen Politiker über die Ge¬ fahren ihrer arabisch - jüdischen Palästina - Politik nicht im Unklaren waren , fühlen ' sie sich als ! Ehrenmänner umso fester an die in voller Kennt - inis der Sachlage erteilten Zusagen gebunden . Ihre Sache ist es , dafür zu sorgen , daß die vier Faktoren , die an diesem feierlich vor den Augen der Kulturwelt vollzogenen Staatsvertrag betei¬ ligt waren : Mandatarmacht , Völkerbund , Araber und Juden so rasch wie möglich an emen gemein¬ samen Verhandlungstisch gebracht werden, , auch wenn es dazu , soweit Araber und Juden in Be¬ tracht kommen , eines leisen Druckes bedürfte . Beide Teile , die Objekte der Palästina - Politik sind , dürfen im Zeitalter des Selbstbestimmungs¬ rechts der Völker wohl verlangen , nicht bloß als mehr oder minder eingeschüchterte „ Zeugen " vor einer Iktersuchungskommission erscheinen , son¬ dern in freier Aussprache bei eitler aus friedlichen Interessenausgleich gerichteten Neuordnung der Palästina - Administration Mitwirken zu dürfen . Syflphus - Arbeik ? In einer fast beleidigend anmutenden Dürf¬ tigkeit der äußeren Ausstattung , mit einem grell - roten Umschlag versehen , liegt uns etirJe kleine Broschüre der unermüdlichen Bertha Pappen¬ heim vor , die unter dem Titel „ Sysiphus - Arbeit ( ohne Fragezeichen ) nach einer temperamentvol¬ len Einleitung Korrespondenzen aus den Jahren 1924 bis 1929 " über die Schaffung einer wirk¬ samen jüdisch - internationalen Organisation ' zur Bekämpfung des Mädchenhandels enthält . Es ist kein Zufall , daß der gleiche Gegenstand in den letzten Heften der „ Zeitschrift für jüdische Wohl¬ fahrtspflege " in einer Reihe von Auseinander¬ setzungen behandelt wird , an denen sich zunächst der bekannte jüngere Sozialpolitiker Dr . Max Kreutzberger in Berlin , dann der Generalsekretär der , ,Jewish Association for the protection , of girls and women “ in . London , M . o h e n , endlich noch eine Vertreterin des jüdischen Frau¬ enbundes und ein Psychoanalytiker beteiligt ha¬ ben . Man gewinnt aus der Lektüre der Pappen - heimfchen Broschüre in Verbindung mit diesen Aufsätzen ein ziemlich klares Bild über den ge¬ genwärtigen Stand des schwierigen Problems und über die Meinungsverschiedenheiten , die bis heute einem harmonischen Zusammenarbeiten auf diesem Gebiete entgegenstehen . Wenn ein¬ zelne Persönlichkeiten , denen man guten Willen und Urteilsfähigkeit gewiß nicht absprechen kann wie vor allem Dr . Kreutzberger , aber auch der Herausgeber des „ Tagebuches " , Leopold Schwarz - schild , die E x i st e n z des ganzen Problems be¬ streiten und sich mit den Tatsachen , die sie ja nicht zu leugnen vermögen , durch die Behauptung ab - finden , es handele sich hier lediglich um u n a b - wendbare Konsequenzen äußerster Armut und konstitutiver menschlicher Schwäche , so ist dieser Standpunkt logisch und ethisch völlig un - nninrr Vs WK Von Oelka Sänger . Besprochen von A . Mannheimer in Dettelbach . Vor uns liegt ein 30 Seiten starkes , drucktechnisch gut ausgestattetes Büchlein in Kleinoktav . Es will nach dem Titel bieten „ Einige Hinweise auf den Mizwauskreis des täglichen Lebens , speziell für Frauen und Mädchen " . Die thorakundige Verfasserin gehört zu jenen idealen Frauen¬ gestalten , auf die der weise Salomo das Wort gemünzt : nv ' 2 n ’ six , sie überschaut die Gänge ihres Hauses . Das verrät eigentlich schon der Titel des Büchleins . In der Tat , Frau Sänger hat allenthalben Umschau ge¬ halten im jüdischen Heim , im Wohnraum , Küche und Keller , auf den Tagesverlauf der werktägigen Woche , des Sabbats , Neumonds und der Festzeiten . Sie fand und findet überall etwas , das nicht jedem bekannt oder ge¬ läufig ist , selbst gesetzestreuen Frauen und Mädchen , ja Thorabeflissenen . So dürfte manchem neu sein , was Frau Sänger Seite 5 bemerkt : Auch beim Abendgebet darf man von Anfang bis nach der mw mm nicht sprechen , so wie beim Morgengebet , also auch nicht im 71 * 01 sin 7 * 12 antworten . Es könnten noch mehr ähnliche Beispiele angeführt werden . Wie mancher weiß auch nicht , wie er sich auf der Reise mit d » t zu verhallen hat , wenn sich ihm . nicht Waschgelegenheit bietet . ( S . 6 . ) Sehr aktuelle Dinge sind auch 20 — 22 berührt . ( Lichtmachen , Tragen am Sabbat ) . Praktische Winke für die jüdische Küche finden wir S . 28 — 30 . Den Pflichtgebeten — leider oft auch in orthodoxen Häu¬ sern vernachlässigt — hat die Verfasserin besondere Sorg¬ falt zugewendet Die Darstellung ist überall klar und deutlich , ohne Weitschweifigkeit . Ein kurzgefaßter Anhang ergänzt noch manches im Hauptteil . Frau Gella Sänger will nicht als modern gebildete Dame brillieren . Sie sucht als würdige Tochter des Heimgegangenen Justiz¬ rates Dr . Naphtali Hirsch den Manen der teueren Eltern gerecht zu werden , ihnen ein Denkmal der Liebe zu setzen . Darum darf sie sagen : ' ^ 02207 ^ ^ 1022 , ich habe einen himmlischen Wettkampf gewagt vrms av mit meiner Glaubensschwester . Wir wünschen dem Büchlein nnins i - s nvs weite Verbreitung in jüdischen Gemeinden und Häusern , damit der Verfasserin Herzenswunsch , Jü - dischkeit zu wecken und zu verbreiten , in vollstem Maße in Erfüllung gehe : 22 . — Das Buch ist um billigen Preis in jeder jüdischen Buchhandlung zu erstehen , sowie vom Verlage selbst : Simon Sänger , Fürth in Bayern . Die Lhanukakichker . Von Rabbiner Dr . M . Lewin in Hamburg . Als Lichtspender und Sorgenbrecher grüßen wir all¬ jährlich immer von neuem das liebliche Chanucka , das die winterliche festtagsarme Zeit zu herzerhebender Weihe unterbricht - Schlicht , einfach und anspruchslos , wie es ist , ein getreues Spiegelbild der jüdischen Volksseele , be¬ gnügt es sich mit dem kurzen Stündchen , das wtt ihm weihen , um bei frommem Sang und lustigem Spiel das Licht der Erhebung zu verbreiten . Anders wie die übrigen Feste ist dieses Chanucka . Seine eigentliche Feier voll¬ zieht sich nicht am Tage , sondern erst dann , wenn die Sterne am Himmel funkeln und das Kommen der Nacht ankünden . Hinaus in die Schatten der nächtlichen Finster¬ nis werfen die Chanuckaflammen ihre Strahlen und wer¬ den so zum Sinnbild für die Gottesgnade , die aller Nacht ein Ziel setzt . Was Israel einst erfahren hat mn pn ann a ' » o „ in jenen Tagen um diese Zeit " bleibt das ewige Erlebnis eines jeden , der mit reinem Herzen und mit schuldfreier Seele seinen Lebenstraum zu deuten sucht . Alle Widersprüche und Gegensätze , die er gewahrt , lösen sich in dem gläubigen Bewußtsein für das einst der Patriarchensohn Joseph als Motto gefun¬ den : a ' j > > ji2 7 ^ si > s ^ n Fürwahr , Gottes ist die Deutung . " Wann hatte das Israel des Exils nicht eine Nacht in seinen Schicksalen zu durchleben ? Da bot Chanucka mit den Erinnerungen , die es weckt , immer einen Hoff¬ nungsanker . Die Lichter , die wir zünden , künden uns von Mut und Entschlossenheit , von Opsersinn und Todes¬ verachtung , von Energie und Ausdauer , von Erhebung und . Sieg der Väter und mahnen uns , diesen gleich uns um die Menora des Judentums zu scharen und das Licht unseres Glaubens vor aller Verunreinigung zu hüten , damit wir mit der Selbstverleugnung der Maka - bäer allen - feindlichen Mächten trotzen und dem Gottes¬ gedanken den endgiltigen Sieg auf Erden sichern , rvnin ana ' » » wn ^ > man 12 - psi vip i ^ n . . Diese Lichter sind heilig , wir dürfen ihren Schein benutzen . " Ihr Zünden ist Selbstzweck . Das ist der Sinn der Lichter . Sie wollen Hoffnung verbreiten und unser jüdisches Selbstbewußt¬ sein heben . nsvi - 12 nns ^ * > 2 Das Licht , das einem leuchtet , strahlt für viele . Das Judentum ist zum Licht geworden für die ganze Kulturwelt . Aus unserem Bekenntnis ist Licht zugeströmt der ganzen Menschheit . Um dieses er¬ habenen Zieles willen haben Israels Söhne freudig jederzeit ihre beste Kraft eingesetzt , und als Märtyrer häufig ihr Leben preisgegeben . Nichts anderes erstrebten sie als den heiligen Dienst an der Menora der Menschheit zu versehen . Zu solchem Nacheifern spornen uns die Lichter . Weiter müssen wir Hüter des Lichtes sein , Pfle - |