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Der Israelit

22. Juni 1933

'Aber was dann?

Wenn nicht eine machtvolle, in absoluter Geschlossenheit dastehende Organisa­tion der reinen Idee des sinaitischen Judentums den lebendigen Körper darbietet, so ist aller Liebe Wüh' umsonst, und der leiblose religiöse Gedanke oder der in Kehlllos oder Vereine, zersplitterte und daher unlebendige Teil-Organismus wird den Wettbewerb mit der zionistischen Ideologie und ihren praktischen Lockungen nimmermehr bestehen können.

Dann bleibt nur der bescheidene, für Feierstunden der Beschaulichkeit erlaubte Trost, das; die jüdische Geschichte auch auf dem R m w c g über die vollendete zionistische Assimilation des jüdischen Volkes an die Nationen der Erde endlich zum Ziele führen wird: -ün'brt YiböK npm r>n ub nx

Wochenrundschau.

Feststellungen.

Als die Flut des Hasses mit Ausschluß und Ent­rechtung über die deutsche Iudenheit dahinzubranscn begann, hatte es für einen Augenblick den Anschein, als riefe sich die jüdische Gesellschaft im ersten Schrecken einZurück" zu. Zurück zum jüdischen Hause, zu­rück zur Familie, zurück zur jüdischen Solidarität, zurück ins altväterliche Heim, wo das Kamin so warm und das Licht so hell und traut brennt. Rufe und Appelle in den Zeitungen, vorab in unserem Blatte, fanden kräftiges Echo auch in Kreisen, die sich bis dahin weitweg von der jüdischen Gasse bewegten. Alan vernahm erfreuliche Kunde von jungen jüdischen Rlenschcn, die sich heimsandcn. Jüdische Geschäfte wurden für den Boykott von außen durch eine Ver­mehrung der jüdischen Kundschaft entschädigt, jüdische Hotels glaubten, sich für eine höhere Frequenz ein­richten zu können. Sollte nun dieser ganze Anlauf nur ein Leerlauf gewesen sein; sollte jetzt, nachdem die akute Gefahr vorbcigezogen und sich Aus-! schluß und Entrechtung in gesetzlichen Bahnen kon­solidieren, alles wieder beim gewiß nicht guten Alten bleiben?

Uns liegt das Schreiben eines angesehenen jü­dischen Wirtes in einem bekannten norddeutschen Seebade vor. Cs heißt darin u. a.:Auf Ihre An­frage, ob mein Haus mehr als bisher von Kreisen ausgesucht wird, die ihm früher sernblieben, erwidere ich Ihnen: An den pflngsttagen hielten

sich hi er rund 200 jüdische Gäste auf. von diesen wohnten sage und schreibe neun im j ü d i s ch e n H o t e l , unter denen allerdings sechs, die früher nicht ins jüdische Hotel kamen."

Es genügte also die Zeitdistanz von sechs Wo­chen,' vom Boykottsabbat am l. April bis zu den Pfingsten, alles vergessen zu machen?

Aehnliche Berichte wie aus jenem Seebade gehen uns von allen Seiten, von Kurplätzen in Kord- und Süddeutschland, zu. In einem Taunusdorse waren die nichljüdischen Hotels am pfingstfeste.von Juden besetzt, im gut eingeführten jüdischen Restaurant reichte aber die Zahl für den Alinjang'ttesdicnst nicht aus.

Ganz im Einklang mit diesen Tatsachen stehen auch andere Wahrnehmungen, die uns von zu­verlässiger Seite verbürgt werden. In den F a m i - l i e n b ä d e r n sieht man, kaum daß sie eröffnet sind, alle altbekannten Gestalten wieder, sofern den Juden der Zutritt noch nicht ver­boten ist'. . . In den Easehäusern sind manche Spieltische am Rachmittag a r i c r r r e i n. Die Bridge-Klubs in den Familien funktionieren wieder bis in die tiefe Rächt hinein, in die Nachtstunde hinein, die m anche jüdi s ch e Ri u t t e r w e i n e n ö i m B e t t e sitzen sieht, in d e r S o r g e, w i e s i e morgen d a s B r o t u n d d i e Rl i l ch für ihre Kinder bcsch a f- f c n s o l l. Am S a b b a t n a ch m ittag kann man wieder ältere und jüngere jüdische Rlen scheu in den Cafes sehen, leider auch solche, die sich zu den Gesetzestreuen zählen, bei einer Taffe Kaffee, die, wie das heute bei den modernen Eafeeinrichtungen gar nicht anders fein kann,' eigens für den jüdi­schen Gast bereitet ist; bei hohlen leichtferti­gen Gesprächen über Politik, Geschäft und Tages­klatsch, just zur Stunde, da ernste Menschen sich im Vortragsraume an einem Worte der Lehre er­götzen und aufrichten in der Zeit der tausend Röte, oder die freie Sabbatstunde benutzen, um ihren Kin­dern aus den jüdischen Wissensschätzen, der Sidra oder den Vätersprüchen, das Rüstzeug für eine unbe­kannte Zukunft zu geben. Wie abgestumpft muß da schon einer für die Rot der Mitbrüder, ja für die schwankende Unsicherheit des eigenen Lebens sein, wenn er heute noch den Mut und den Sinn ausbringt, deni heiligen Sabbat köstliche Minuten für das Eafe- hausleben zu entziehen.

In einem Berliner Blatt lasen wir vor einiger Zeit, die jüdischen Familien verbrauchten, nach Fest­stellung des Lichtwerkes, in diesem Sommer mehr Licht weil sie sich mehr in ihre Häuser zurückziehen. Mehr Licht! Es könnte dies eine gute jüdische Botschaft sein, wenn es das alte gute traute jüdische Licht wäre, das ein rei­ches jüdisches Innenleben beleuchtete. Soll das Licht

schon wieder verlöschen, die Lichtrechnung zurückgehen "

Mehr Charakter, mehr Selbstachtung, mehr Rück sicht auf die Rot der Zeit und die unsäglio ... g e i st i g e Rot unserer K i n d er, die schwei­gend Geschichte erleben. Die Mussar- und Dschuwah- aktion, von der sich in der ersten Zeit einige Ansätze zeigten, darf nicht auf halbem Wege stehen bleiben, darf nicht zurückdämmen, wenn nicht Jeremias wie­der zu uns sprechen sott:

'1NP°? X? noi» DDan 71X WX2N XW°? Vergebens schlug ich eure Söhne, sie haben keine Lehre daraus gezogen."

Aber vielleicht ist von der Seite, wo sich der Ur- kern des von Schickungen und Wandlungen unbe­rührten lebendigen Judentums befindet, jener Weck- und Werberuf zur Aufklärung und Wegweisung noch, gar nicht ergangen. Des guten Leipieles von allen, die sich zur Gemeinde der Treugebliebenen zählen, bedarf es auf alle Fälle, auch der Einwirkung von Mann zu Mann und von Mund zu Mund, was aber keineswegs im Cafe und am Spieltisch geschehen kann. Führet Jugend und auch Aeltcre, die bis dahin den Weg noch nicht kannten, an die (Duellen der Lehre heran, sie werden euch danken !'

Zur GaMäs-Frage.

Er.ez Iisroel-Fragen sind heute für uns G e g e n- w a r t s f r a g e n von greifbarer Rähe. Darum feien hier auch einige Worte der Frage des G o l i l gewidmet.

Die sogenanntenHilnloth", die Massenwanderun­gen zum Grabe von Rabb-t Schimeon ben Jocht nach Miron bei Safed, die dieses Jahr über 20.000 Men­schen in Palästina um die Mitte der Gmerzeit gen Rorden in Bewegung gesetzt haben, rollten wieder ein- nial die Galiläa-Frage in den palästinensi­schen Blättern auf. Die Wege von Safed nach Mi­ron waren dieses Jahr so geebnet, die Autostraßen so instand gesetzt, daß sich der Massenverkehr rei­bungslos abwickeln konnte. Aber die Wohnverhält­nisse sind in Safed und Umgegend nach wie vor mangelhaft, die Laukultur sehr im Rückstände, das Hotel- und Verpflegungswesen primitiv und dem Fremdenstrom wenig förderlich. Wäre hier nicht ein Punkt, von dem aus auf brachliegendem und zu­kunftsreichem Boden Hilfe vielen eristenzsuchcnden jü­dischen Familien gerade aus Deutschland entstehen könnte?

Bei dem Aufbau Palästinas wurde der Rorden sowohl von der Regierung wie von den jüdischen In­stanzen etwas stiefmütterlich behandelt, was sich heute sehr rächt. Bei der Besiedlung des Cmek, die ein Wunder der jüdischen Liebe, wie der Kraft des g'tt- gesegneten Crez Iisroel-Bodens darstellt, hatte man bewußt die Städte unten am Kinerethsee wie oben

Korach und die korachiden.

Korach, der Rebell der Sidra, lebt in der Tradition und in der Darstellung von Talmud und Midrasch ganz und gar nicht als der absolute Bösewicht, als welcher er im schriftlichen Texte uns auf den ersten Blick erscheint. Er war ein großer Gelehrter. Und diese große Gelehrsamkeit in Verbindung mit der hochadeligen Ab­stammung verleitete ihn zu jenem Hochmut, nährte in ihm den Ehrgeiz, einen Moses und Ahron zu übertreffen.

Das große Wissen um die Thoragesetze war mit ein Instrument seines Aufstandes. Er knüpfte an die Z i - z i s f ä d e n, mit denen die vorhergehende Sidara ge­schlossen hatte, an. Er hüllte sich und seine Mannen in Gewänder aus purer Tcheleswolle und stellte an Mo­ses die herausfordernde Frage, ob auch solche Gewänder noch des Schmuckes eines Tchelesfadens bedürfen, ob ein Haus, das voller heiliger Bücher ist, eine Mesufah be­nötige? Hätte Moses, wie er erwartete, die Frage mit Nein beantwortet, so hätte er daraus die Nutzanwen­dung gezogen: Auch das Volk ist in seiner Ganzheit ein Gewand aus lauter Tcheleswolle. Wozu dann der Fa­den, wozu der Führer? a*n»v?p b5>s nws aber,

der sie durchschaute, bejahte die Frage. Nun wurde die Fahne des Aufstandes dennoch erhoben. Es ging auch schließlich ohne Zizzis und Mesusa . . .

i Nicht nur die großen Ahnen in der Vergangen­heit stachelten seinen Ehrgeiz an, noch mehr stieg ihm I ein großer Name, den er aus seinem Stamme kommen sah, zu Kopf. Er sah eine lange Kette von Generatio­nen und an deren Spitze Samuel, den Propheten, der einem Moses und Ahron zur Seite gestellt wird, wie es heißt:

-tovsnipa brrwvi ronaapnsi nw»

Was Korachs Ueberheblichkeit und Anmaßung ins Unermeßliche trieb und ihm schließlich den Untergang brachte, das waren auch seine großen N e i ch t ü m e r. Diese rührten von Aegypten her, wo er das Schlüssel­amt verwaltete, und zwar hatte er einen der von Josef vergrabenen Schätze entdeckt und ausgehoben. (Talmud Pfachim.)

Und die Söhne Korachs starben n i ch 1." Sie waren an dem Aufstand nicht beteiligt, oder hatten im letzten Moment Buße getan. Von diesen werden M. II, 6, 24, genannt: Assir, Elkana und Abiafsaf. Ihre Nach­kommen stellten die Helden und Torhüter in den Tagen von David (Chronik I, 9). Auch Sänger vor dem Herrn waren die späteren Korachiden, deren Lieder als timö nnp mb rmnb in die Psalmen Davids ausgenom­men wurden.

Korach selbst ist aber kein Ehrenname. Er heißt so, weil er nmp die kahle Oede in Israel (nach der Vernichtung seines Anhanges) verschuldet hat. Sein Stammbaum wird in der Sidra nur bis L e v y und nicht weiter zurück bis Jakob geführt. Weil Jakob (M. I, 49) betete: 'wi »rai tmn brr omoa»Bei ihrem Rat­schlage weile meine Seele nicht, mit ihrer Gemeinschaft sei meine Ehre nicht verbunden."

Auf den ersten Ansturm der Rotte Korachs erwiderte Moses: m jn>i ipaAm Morgen wird es G'tt zeigen," nicht in»morgen", sondern npaMorgen". ' Der Morgen, die Sonne bringt es an den Tag. Wie sich da das Licht von der Finsternis sondert, wie sich Tag und Nacht voneinander scheiden, weil sie nicht zusammen wohnen können, so hatt G'tt Menschen von M e n - lchen gesondert und den einen die Macht und das Licht und die Gaben verliehen, die anderen zu lehren und zu leiten.

Ein Nomade zeigte einmal dem Seefahrer und Wüstenwanderer Rabba bar bar Channa die Stelle in der Wüste, wo der Boden Korach und seine Freunde ausgenommen hatte. Er sah eine Rauchsäule aus dem Boden kommen und hörte Stimmen aus der Erde dringen, die da riefen:Moses sprach die Wahr­heit, seine Lehre ist wahr, und wir dienten der Lüge." (Talmud, Baba batra 74).

Die Gemeinde Korachs hat keinen Anspruch auf die zukünftige Welt, lehrt Rabbi Akiba, wie es heißt:Und sie gingen verloren aus der Gemeinde," verloren hie und dort, für immer. Rabbi Jehuda, Sohn Betereas, über sagt:Verloren gleich einem verlorengegangenen Gegenstände, der sich wieder findet." Sie haben Anspruch auf Fortleben und werden teilhaftig der Auferstehung und der künftigen Welt.

So zu lesen in Mischna Sanhedrin und dahin neigt auch die überwiegende Ansicht aller Gelehrten, die nicht müde werden, in Agadot und Miszellen uns dis au fb ausnd e Kra ft und Energie der Kora­ch iden zu veranfchaullchen. wenn sich diese zum Gutem wendet, wenn im Strome der Zeit' sich,' aus Kor-ach ein-, Samuel heraus entwickelt.