Probleme der Fremdenindustrie in Palästina

Von C. Z. Klötzel, Jerusalem.

Die Fremdenindustrie gehört zu jenen Wirtschaftsgebieten Palästinas, die rein äußerlich betrachtet in der letzten Zeit den größten Aufschwung genommen haben. Insbesondere die Hotellerie und das Gastwirtsgewerbe ist in starkem zahlen­mäßigen Aufstieg begriffen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht we>*igstens in Tel Aviv und Haifa ein neues Hotel, ein paar neue Pensionen, Restaurants und Kaffees eröffnet werden. Selbst in Jerusalem, wo die Entwicklung weniger stür­misch ist, gibt es eine Anzahl Neugründungen, z. B. entstehen überall in den Vororten wie Rehaviah, Talpioth und Beth Ha- keremGarten-Kaffees", die sich in dieser Stadt mit wenig Möglichkeit zum Spazierengehen rasch große Beliebtheit er­worben haben.

Mit diesem quantitativen Aufschwung der Fremdehindustrie geht ein äußerst wichtiger qualitativer Hand in Hand. Es ist zweifellos ein großes Verdienst der deutschen und der öster­reichischen Alijah, daß sie in kurzer Zeit das palästinensische Unterkunfts- und Verpflegungswesen auf einen vorher nicht gekannten Standard gebracht hat, der auch verwöhnten euro­päischen Ansprüchen zu genügen beginnt. Es trifft zu, daß manchmal des Guten etwas zuviel geschehen ist und die eine oder andere Neugründung sich etwas im Stil vergriffen hat, den sie vom Kurfürstendamm oder vom Kärnfner-Ring in die Allenby-Straße von Tel Aviv verpflanzen wollte. Aber der gute Einfluß überwiegt bei weitem. Er erstreckt sich sowohl auf die fremdenindustrielle Leistung wie auf die ästhetische Form, in der sie dargeboten wird. Es wird heute in Palästina im Durch­schnitt doch schon sehr viel besser gekocht, als noch vor einem Jahr, man wohnt sehr viel bequemer und praktischer, und es gib; eine ganze Reihe von Hotels und Pensionen, in denen europäischer Komfort und eine Ausstattung der Räume im besten europäischen Geschmack zu durchaus angemessenem Preis geboten wird. Selbst die schwächste Seite des palästinen­sischen Hotel- und Restaurantwesens, die Bedienung, beginnt langsam sich zu bessern, wenn auch grade auf diesem Gebiet noch sehr viel nachzuholen ist.

Schwer zu beurteilen ist die Frage, ein wie hoher Pro­zentsatz der gastronomischen Neugründungen lebensfähig blei­ben wird. Die jetzt beendete Saison war wenigstens für Tel Aviv, die Messestadt, besonders gut, und eben darum als Maß­slab nicht sehr geeignet. Es kann auch nicht übersehen wer­den, daß ein größerer Teil der neuen Betriebe in Händen von Leuten lieg», die nicht grade im Gastwirtsgewerbe groß ge­worden sind. Und wenn auch im Allgemeinen die Umstellung au; den neuen Beruf gut gelungen zu sein scheint, so wird doch erst in einiger Zeit festzustellen sein, ob die Kalkulations­basis, auf der sich die neuen Gründungen aufbauen, die rich­tige isi*. Vor allem ist noch der Nachweis zu führen, daß diese Basir. gesund genug ist, um auch in weniger fetten Zeiten sich alr. tragfähig zu erweisen..

An solche Zeiten scheint man jedoch in der palästinensi­schen Fremdenindustrie noch nicht zu denken, und hierin offenbart sich eine ihrer schwächsten Seiten, auf die nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden kann. So imposant ihre Entfaltung sich nach außen hin ausnimmt, so wenig impo­nierend ist ihre innere Entwicklung. Es mag nach dem bisher Gesagten paradox klingen, wenn man erklärt, eine palästi­nensische Fremdenindustrie bestehe eigentlich gar nicht Und doch ist es so, nämlich wenn man unter dem BegriffFr,emden- industrie" das versteht, was in Europa darunter verstanden wird: einen gut organisierten Gewerbezweig. Die palästinen­sische Fremdenindustrie ist überhaupt nicht organisiert, befindet sich in einem völlig anarchischen Zustand. Wenn es Beziehun­gen zwischen ihren einzelnen Mitgliedern gibt, so sind es solche der Konkurrenz. Von der Notwendigkeit und den Vor­teilen einer Kooperation weiß man hier noch nichts und will man nichts wissen. Jeder glaubtam kräftigsten allein" zu sein, und da trotz Beschränkung der Einwanderung und größter Schwierigkeiten für die Touristik immer noch viel Men­schen ins Land kommen, die behaust und verpflegt sein wollen, so wird jeder, der im Interesse zukünftiger Entwicklung auf Zu­sammenfassung und Organisation drängt, als unliebsamer Störenfried empfunden.

Man muß sagen, daß diese Haltung, die ziemlich allge­mein ist, nicht grade für die Voraussicht der beteiligten Kreise spricht. Es ist schließlich kein Geheimnis, daß die klassischen Reiseländer wie die Schweiz und Italien ihren Ruf und ihren Erfolg der straffen und intelligenten Organisation verdanken, in der alle Faktoren der Fremdenindustrie, von den Staats­bahnen bis zum kleinsten Hotel, zusammengefaßt sind. Es ist eine völlige Verkennung ihrer Lage und ihrer Aufgabe, wenn

die palästinensische Fremdenindustrie glaubt, ohne etwas Ähn­liches auskommen zu können. Sie übersieht dabei völlig, daß derFremdenverkehr, von dem sie heute lebt, ein durchaus anormaler ist: sie lebt in der Hauptsache von Fremden, von denen der größte Teil keinen größeren Wunsch hat, als mög­lichst bald zuEinheimischen" zu werden. Was wird geschehen, wenn der Zustrom dieser Pseudo-Fremden eines Tages aufhört oder auch nur aus irgendeinem Grunde für längere Zeit ver­siegt? Dann wird die palästinensische Fremdenindustrie plötz­lich die Erfahrung machen, daß die wirkliche Palästina-Touristik viel zu klein ist, um sie zu beschäftigen. Und sie wird es plötz­lich bitter bereuen, daß sie das Wichtigste versäumt hat, was ihr als Gesamtheit am Herzen liegen sollte: durch Organisation ' und Propaganda für die Stärkung und Erweiterung der wirk­lichen Touristik zu sorgen.

Es ist sehr bezeichnend, daß die ersfle schüchterne Er­kenntnis von der Notwendigkeit organisatorischen Zusammen­schlusses der palästinensischen Fremdenindustrie aus ihrer Begegnung mit einer sehr starken und schlagkräftigen Organi­sation kommt. Die Frage des Personals und der Anstellungs­bedingungen ist eine der Hauptsorgen des hiesigen Gastwirts­gewerbes. Die straff organisierte Arbeiter- und Angestellten­schaft fet natürlich dem isolierten Unternehmer gegenüber im Vorteil und ist durchaus berechtigt, diese günstige Lage aus­zunutzen. Es hat den Anschein, daß der erste Versuch einer Organisation der Hotellerie und der verwandten Betriebe von dem Wunsche ausgehen wird, mit den Gewerkschaften von Macht zu Macht zu verhandeln.

Das ist begreiflich und legitim, aber nichts wäre verfehlter, als wenn eine Organisation des palästinensischen Gastwirts­gewerbes nichts anderes und nicht mehr sein wollte, als ein Unternehmerverband". Sehr viel gewonnen wäre schon, wenn sich die Erkenntnis Bahn bräche, daß das, was nötig ist, ein Berufsverband ist, der hinreichend Autorität hat, um das für den ganzen Industriezweig Wichtige und Nützliche allen Instanzen gegenüber vertreten und fordern zu können. Eine solche Autorität nach außen könnte nur gewonnen werden durch starke Autorität nach innen. Ein Hotelverband, der bei­spielsweise gegen die exorbitanten Preise aufgetreten wäre, die in manchen Hoteis von Tel Aviv während der Messe gefordert worden sind, hätte auch das Recht, seine Mitglieder gegen Preisunterbietungen von Außenseitern zu schützen, * die offenbar nicht zu kalkulieren vermögen.

Vor allem aber brauchen wir in Palästina ^en großen Verkehrsverband, der alle anVFremdenverkehr Inter­essierten umschließt: die Gastwirtsbetriebe, die Verkehrsunter­nehmungen, die Reisebüros, die Stadtverwaltungen, die gesamte Kaufmannschaft, die vom Fremdenverkehr Vorteil hat. Und die erste Aufgabe dieses Verbandes müßte es sein, eine groß­zügige Palästina-Reise-Propaganda in der ganzen Welt zu ent­falten. Selbstverständlich müßte ein solcher Verband alle Interessierten also nicht etwa nur die jüdischen! umfassen, und seine Werbung müßte sich an alle Kreise draußen rich­ten und nicht nur an die Juden. Palästina war ein Reise­land oder, wenn man will: ein Land der Pilgerschaft- zu allen Zeiten für die Bekenner aller drei Weltreligionen, und i könnte es heute mehr sein als je. Nur darf man nicht das Wunder erwarten, daß Reisende in dieses Land strömen wer­den, ohne daß man es ihnen ins Gedächtnis zurückruft und seine Reize schildert. Es gibt aber draußen in der Welt kein einziges Palästina-Plakat, keine Werbedrucksache größeren Stils, es gibt keine systematische Palästina-Propaganda in der Weltpresse, die Touristen herbeiziehen könnte. (Die Propa­gandamittel der zionistischen Institutionen, die andern Zwecken dienen, bleiben hier mit Recht außer Anschlag.)

Es wird einem manchmal entgegnet, Propaganda sei Auf­gabe der Regierung. In der Tat bemühen sich die Regierungen fast aller Länder, Reisepropaganda größten Stils zu machen und die Fremdenindustrie in ihren gleichgerichteten Bemühun­gen zu unterstützen. Aber wer die Geschichte der Verkehrs­werbung kennt, der weiß, daß alle derartigen Bestrebungen mit der Initiative der interessierten Kreise begonnen haben und erst nach einiger Zeit, wenn die ersten Erfolge sich einstellten, die Regierungen sich auf ihre Pflicht besannen. Nun haben wir in Palästina eine Regierung, der man alles andere nach­sagen kann, als daß sie eine eifrige Förderin der Touristik sei. Ihre einschränkenden Maßnahmen bilden das schwerste Hin­dernis für die Entwicklung der palästinensischen Fremdenindu­strie. Gegen diese Politik der Regierung anzukämpfen, wäre eine der größten und wichtigsten Aufgaben eines palästinen­sischen Verkehrsverbandes. Sein Vorhandensein würde aber

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(Fortsetzung Seite 4)