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Zum Zweiten dann, wenn ein Leichenzug varüberzieht; die Majestät des Todes zwingt jeden empor, und der Gruß des sehlichten Menschen ist eine Blüte des Lebens, die am Sarge rankt. In diesem Abschiedsgruß schwingt die Botschaft der Unsterblichkeit ebensosehr, wie die von der Würde des Men־ sehen, auch wenn Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit ihr Opfer gefordert hat.

Zum dritten endlich dann, wenn einst die Bringer der Erst- linge durch die Tore Jerusalems einziehen. Die sangen: So ist es denn wahr geworden, unser Fuß darf in Deinen Toren stehen. Jerusalem. Und alles in Jerusalem erhebe sich, der Schuster ließ seine Ahle liegen, der Arbeiter Hacke und Kelle, der Schmied ließ seinen Hammer sinken, alles erhob sich und grüßte die Kommenden; Brüder, riefen sie, Brüder, Ihr seid zum Frieden gekommen. Ihr habt, das wollten sie sagen, Ihr habt den Frie- den zwischen Erde und Himmel geschlossen, Ihr hebet opfernd das Irdische zur Ewigkeit empor. Wir grüßen Euch in und mit dem Namen Gottes.

In das Brausen dieses Grußes mischte sich der Chor der Leviten, der zu innigem Lied wurde. Jetzt mag ich Dich er- heben, mein Gott, denn Du hast mich aus der Tiefe gehoben. Und das große jüdische Volksfest gipfelt in der schlichten Handlung eines Grußes, der vom Sinai her gen Zion tönte.

P. K.

Von der Eigenart des talmudischen Denkens.

(Auch eine Schewuoth-Betrachtung) von Rabb. Dr. Raphael Breuer זצ״ל .

Den Talmud richtig kennen und verstehen, heißt vor allem der Eigenart des talmudischen Denkens sich bewußt werden. Man hat eine Gemoro noch nicht richtig verstanden, wenn man ihre technischen Schwierigkeiten überwunden hat. Man muß auch in die* Geheimnisse ihrer Denkmethoden ein gedrungen sein. Man muß auch heimisch sein in der noch ganz unerschlossenen Welt, die sich auf dem Grunde dieses Meeres ausbreitet und nur der könnte stolz von sich behaupten, daß er in einer Sugjo wirklich ״ klar ist, der nicht nur talmudisch zu denken versteht, sondern auch der Eigenart dieses Denkens sich kritisch bewußt wurde.