Herausgegeben unter Mitwirkung von Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern
von
DAVIS TRIETSCH und LEO WINZ.
Bezugs- und Insertions-Bedingungen auf der letzten Textseite.
Alle Rechte vorbehalten.
Heft 1
Januar 1902
II. Jahrg.
„OST UND WEST."
Ein Jahr ist vergangen, seit wir mit unserer Zeitschrift auf den Plan getreten sind .... Und wenn wir heute zurückblicken auf die geleistete Arbeit und auf das, was wir uns damals als ein erstes Jahrespensum vorgenommen hatten, so dürfen wir — wie vieles auch besser gemacht werden könnte und besser gemacht werden soll — mit unserem Werke wohl zufrieden sein.
Wir lesen nochmals durch, was wir vor zwölf Monaten in unserem Programm-Artikel versprochen und in Aussicht gestellt haben und glauben, sagen zu können, dass wir unsere Versprechungen gehalten haben, soweit es uns in dieser kurzen Frist nur möglich war.
Noch ist zwar der jüdische Osten und Westen nicht geeint, aber an zahlreichen Brücken haben wir milgebaut, die über den grossen und tiefen Abgrund führen. Leichte und noch schwankende Brücken zunächst, auf denen noch nicht allzuviele den Weg hinüber und herüber gefunden haben — aber tausend gute Werkleute sind an der Arbeit und täglich werden die Brückengerüste stärker und fester und täglich wächst die Zahl derer, die sich darüber wagen. Die Arbeit schreitet vorwärts und bald werden wir statt der leichten Holzstege Brücken haben von Eisen und Stein, Brücken, die allen Stürmen trotzen und eine Verbindung herstellen, die nie wieder gelockert werden soll.
Noch giebt es nicht die jüdische Kunst, von der wir sprachen--aber
wer von denen, die unsere Zeitschrift kennen, hat nicht ihre verheissungs- vollen Anfänge gesehen — Anfänge, schöner, stärker und vielseitiger als die meisten auch nur ahnen konnten! Und nicht auf unser neues jüdisches Organ blieb die Kunde von dem Werden einer jüdischen Kunst beschränkt ... es ist uns vergönnt gewesen, vielen, die zweifelnd von ihr hörten, den vollgültigen Beweis zu erbringen, dass sie im Entstehen sei, und die frohe Botschaft wurde weiter getragen — viel weiter, als unser junges Organ aus
eigener Kraft sie tragen konnte.--Die jüdische Kunst hat ihre Höhe
noch nicht erreicht, aber zahlreicher, als wir selber glaubten, sind die