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ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT

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FÜR MODERNES JUDENTUM.

Herausgegeben unter Mitwirkung von Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern

von

DAVIS TRIETSCH und LEO WINZ.

Bezugs- und Insertions-Bedingungen auf der letzten Textseite.

Alle Rechte vorbehalten.

Heft 7

Juli 1902

II. Jahrg.

DIE ANFAENGE DES JUEDISCHEN KAPITALISMUS.

Von Dr. Franz Oppenheimer. (Schluss.)

Nach der Rückkehr aus dem Exil, nach dem furchtbaren Aderlass, der das unglückliche Land so menschenarm gemacht hatte, muss der Handel einige Zeit lang wieder zurückgetreten sein, da alle Hände für die Nahrungsmittelerzeugung nötig waren, und jene verhängnisvolle Landverteilung zunächst einmal behoben war, auf die wir beide Seiten des altjüdischen Kapitalismus zurückführen konnten. Aber allmählich hatte er sich bestimmt wieder entwickelt in dem Maasse, wie die Be­völkerung wieder wuchs und unter friedlichen Regierenden ihre Wohlfahrt entfaltete. Die An­gabe des Josephus, dass noch zu seiner Zeit die Juden wenig Interesse am Handel gehabt hätten, muss, darin hat Herzfeld recht, sehr mit Vorsicht aufgenommen werden. Denn die grosse Handels­macht der riesigen Judengemeinde in Alexandria ist allgemein bekannt, ohne dass Josephus ihrer Erwähnung thäte; und es ist überliefert, dass im Seleukidenreich die Juden in allen neugegründeten Städten das volle Bürgerrecht genossen und als besonders betriebsam und gewerbfleissig galten (Beerl 91). Und was für das Ausland feststeht, das dürfen wir für die Heimat als wenigstens in gewissem Grade vorhanden annehmen; schon die ungeheuren Pilgerfahrten der auswärts wohnenden Israeliten zum Osterfeste in Jerusalem müssen allen Handel mächtig angeregt haben. Und dass der weitgespannte Handel der hellenistischen

Periode Palästina plötzlich aus den Maschen seines dichten Netzes hätte gleiten lassen, ist doch mehr als unwahrscheinlich.

Sicher bleibt, dass schon lange vor dem babylonischen Exil, geschweige denn vor der Zerstörung Jerusalems durch Titus, jüdische Kauf­leute und Reeder über die ganze damalige Welt zerstreut waren. Und diese Thatsache ist von Wichtigkeit: erstens* zerstört sie die auch unter Juden weitverbreitete Meinung, als habe erst dieser furchtbare Schlag die Juden zu den Kaufleuten der Welt gemacht. Das ist nicht aufrecht zu halten. Sie waren längst zerstreut, ehe das Land als Staat vernichtet war, und die Zerstörung Zions wird kaum mehr geleistet haben, als die Ver­stärkung der jüdischen Kolonien in aller Welt: neue werden kaum in grosser Zahl entstanden sein. Die Vertriebenen, soweit sie dem Feuer und Schwert der Römer entronnen waren, suchten in Ost und West die Glaubensgenossen und Ver­wandten auf. Bei dieser Gelegenheit sei übrigens darauf hingewiesen, dass wahrscheinlich ein be­deutender Teil der jüdischen Kolonien im Osten, in Armenien, den Euphratländern, am Schwarzen und Kaspischen Meere bis tief nach Baktrien hinein schon den Exulanten, den Fortgeschleppten der assyrischen und babylonischen Feldzüge ihre Entstehung verdankten. Es kehrten nicht alle heim, viele blieben, wo sie waren. Nur so lässt