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ILLUSTRIERTE MONATSSCHRIFT^^ FÜR DAS GESAMTE JUDENTUM.
FÜR DAS GESAMTE JUDENTUM.
Herausgegeben und redigiert
von
LEO WINZ.
Alle Rechte vorbehalten.
Heft 11.
November 1907.
VII. Jahrg.
DIE LEHRANSTALT FUER DIE WISSENSCHAFT DES JUDENTUMS
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Mit Beginn des Wintersemesters bezieht die Lehranstalt ihr neu errichtetes eigenes Heim. Sie tritt damit aus der Verborgenheit heraus in das Licht der Oeffentlichkeit Die allgemeine Aufmerksamkeit wird sich ihr mehr als bisher zuwenden, und diese Veränderung kann ihr nur yon Nutzen sein; es gibt wenige Institutionen innerhalb der Gemeinde, über deren Bedeutung und Aufgaben nach einem so langen Bestehen so geringe sichere Kunde verbreitet ist, so viel Unklarheit herrscht.
^ Die Lehranstalt hat im Jahre 1872 ihie Tätigkeit begonnen, ihre Gründung geht sogar bis 1867 zurück. Solange dauerte es, bis wenigstens das Mindestmass von Kapital aufgebracht war, das zu ihrer Eröffnung und Erhaltung notwendig schien. Ihre Entstehung verdankt sie dem 1869 verstorbenen Stadtrat Moritz Meyer, der den Grundstock für die Mittel bereit stellte, als ihre geistigen Väter müssen Professor Lazarus und Sanitätsrat Neumann bezeichnet werden. Es erübrigt sich an dieser Stelle zu wiederholen, welche führende Stellung Lazarus in allen geistigen Bewegungen des modernen Judentums einnahm, wie Neumann für die politischen Rechte und die geistige Freiheit der Juden, für die Pflege ihres Schrifttums jederzeit energisch eintrat. Sie fanden einen getreuen Genossen und eifrigen Mitarbeiter an Ludwig Philippson, der 1837 bereits einen Aufruf zur Gründung einer „jüdisch-theologischen Fakultät" erlassen hatte, der auch später tatkräftig für diese Idee wirkte und, als sie ihrer Verwirklichung entgegengeführt werden sollte, seine Mithilfe nicht versagt hat. Unter dem Namen „Hochschule für die Wissensehaft des Judenthums" wurde das neue Institut 1870 begründet.
Die Hochschule war dazu bestimmt, ein Mittelpunkt wissenschaftlicher Tätigkeit im weitesten
Nachdruck verboten.
Sinne des Wortes zu werden, sie sollte sich nicht darauf beschränken, ihre Jünger für ein praktisches Amt tüchtig zu machen, sondern für jedermann geöffnet sein, der über das Judentum, über seine Vergangenheit und Literatur belehrt sein wollte, sollte jedermann als Lehrer zulassen, der wissenschaftliche Anregung für die Erkenntnis des Judentums zu bieten hatte. In erster Reihe sollte sie natur- gemäss der Ausbildung von Rabbinern, Predigern und Religionslehrern dienen, für diesen Zweck war ihr Lehrplan eingerichtet. Aber darüber hinaus sollte sie jedermann zugänglich sein, dem jüdischen Akademiker, welcher Fakultät er auch angehörte, dem jüdischen Privatmann, der seine Müsse der Wissenschaft zu widmen bereit war; die Hochschule sollte eine Vereinigung „der alten Jeschiba und des Beth-Hamidrasch für die heutigen Juden gemäss den neuen wissenschaftlichen Forderungen und Lebensverhältnissen" sein, gewissermassen die Zwecke einer Volkshochschule mit verfolgen. Auch nichtjüdischen Studierenden, welche ihren Unterricht suchten, sollte die Hochschule ihre Pforten öffaen. Die Hochschule wurde als eine selbständige Stiftung begründet, „Unabhängigkeit von den Staats-, Gemeinde- und Synagogenbehörden" war eines der Leitmotive der Gründer der Anstalt; ein zu diesem Zweck gebildeter Verein übernahm ihre Erhaltung und Fortfuhrung. Dadurch sollte verhütet werden, dass die Hochschule das Organ einer der verschiedenen religiösen Parteien würde; unabhängig von dem Parteigetriebe sollte sie allen religiösen Richtungen dienen können, soweit sie in wissenschaftlicher Forschung ihre Begründung suchten, sie sollte die Vertiefung und Ausbreitung der Wissenschaft um ihrer selbst willen ohne Rücksicht auf das praktische Leben, anregen. Die Lehrer werden verpflichtet, „die Vorträge lediglich im reinen Interesse der Wissenschaft des Judentums, ihrer